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Arbeiten im grünen Schafspelz.

Grünes Wirtschaftswachstum klingt irgendwie nach grünem Wirtschaftswachstum – und damit gut: Jobs, saubere Umwelt, fröhliche Menschen und Tiere. Nur beißt sich die Katze dabei in den Schwanz. Aber vielleicht auch nur ein bisschen, denn irgendwo müssen wir ja anfangen.

Auch einen Tag nach Auftakt der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris (COP 21) fand auf der Universität Wien wieder die Ringvorlesung „“ statt, diesmal zum Thema „Green Growth oder Degrowth“. Politologe Ulli Brand begrüßte neben dem vollen Hörsaal Beate Littig, Leiterin des Soziologie Departments am Institut für Höhere Studien (IHS) und Clive Spash, Ökonom am Institute for Multi-Level Governance and Development der Wirtschaftsuniversität Wien.

Geschlossenes Denken, offene Welt.
Zu Beginn präsentiert Clive Spash sein Tagespensum. Drei thematische Blöcke will er besprechen: Was ist das Problem mit unserem Wirtschaftssystem? Ist „Green Growth“ die Weltrettung? Wie könnte ein sozio-ökologisch verträgliches Wirtschaftssystem aussehen? Los geht’s mit Makroökonomie: Geld fließt in die eine Richtung, Güter und Dienstleistungen in die andere. Umso schneller und mehr, umso größer das Wachstum. So einfach und gut die Standardwirtschaftstheorie und es gibt auch nur einen Haken, so Spash: das Modell sei in sich geschlossen. Die Verfügbarkeit und Endlichkeit von Inputs (bspw. Rohstoffe) und der Umgang mit Outputs (bspw. Müll) werden systematisch ausgeblendet – von „Externalitäten“ ist die Rede. Ungünstig nur, dass dieses Modell in einer offenen, nämlich der realen Welt funktionieren sollte. Diese schaut so aus, dass unser Ressourceninput und Mülloutput seit etwa zwei Generationen exponentiell steigt. Mehr Wachstum heißt mehr Input, heißt mehr Output – „that's not so complicated“, sagt Spash. Erschwerend hinzu kommt, dass es nicht nur ein Quantitäts-, sondern auch ein Qualitätsproblem gibt. Moderne Smartphones, Kunstdünger und Solarpaneele haben nämlich gemeinsam, dass sie aus hochgiftigen und zudem oft seltenen Elementen bestehen. Allerdings, so Spash, gibt es in der wirklichen Welt keine Externalitäten – im Gegenteil: diese gehören inhärent und unvermeidlich zu unserer Art des kapitalistischen Wirtschaftens dazu.

Umweltzerstörung als Wachstumschance.
Hinter „Green Economy“ stecke die Idee, alles in der Welt als Kapital zu betrachten, Natur genauso wie Menschen. Hat alles seinen Preis und wird am Weltmarkt gehandelt, wird nichts mehr unbedacht zerstört – so die Theorie. Der Clou an der Sache: Wachstum alias der ursprüngliche Umweltzerstörer, werde damit auf wundersame Weise zu Wachstum alias dem Weltverbesserer. Verseuchte Meere, zerstörte Wälder? Alles Investitionschancen, bspw. für verbesserte Entgiftungsanlagen oder Aufforstungsprojekte, finanziert durch börsennotierte Umweltfonds. Und diese Denke ist durchaus kein Nischenprogramm, UN-Berichte und der viel zitierte argumentieren genau so: Umweltzerstörung birgt Wachstumschancen und Wachstum löst Umweltprobleme – die es zuvor verursachte, müsste man ergänzen.

Degrowth als sozio-ökologisch-ökonomische Utopie.
Damit alles wieder gut wird, bedarf es einer radikalen Wende in nahezu allen Lebensbereichen, so Spash. Umverteilungsmaßnahmen wie bspw. von Joseph Stiglitz vorgeschlagen, sind ihm beileibe zu wenig. Hier nur einige Stichwörter: multifunktionale, gemeinschaftlich organisierte Siedlungen mit lokaler Nahrungs- und Energieversorgung, statt anonymer, betonverwüsteter Millionenstädte, Abkehr von Mobilfunk mit seltenen Metallen und einem Himmel voll Satelliten, Verstaatlichung der kompletten Grundversorgung von Wasser über Energie zu Mobilität und Wohnraum, Einführung von Mindest- und Höchstgehältern, Zerschlagung von globalen Konzernen, Minimalisierung des Ressourcen- und Energieverbrauchs, Umkehr von kapitalintensiver, automatisierter zu arbeitsintensiver Produktion, Neugestaltung demokratischer Prozesse und Bekämpfung von Machtkonzentration. Die dazu passende Bewegung – gleichzeitig provokatives Konzept und sozial-ökologische Utopie – der Spash sichtlich nahe steht: Degrowth.

Arbeiten am Grünen.
Beate Littig konzentriert sich auf das Thema Arbeit. Die Verknüpfung zur Nachhaltigkeitsdebatte sei recht jung – erst seit Rio+20 werde verstärkt von „sustainable development“ und damit auch nachhaltiger Arbeit gesprochen. Littig unterscheidet dazu drei Diskursstränge. Der erste dreht sich um den Begriff „Green Jobs“. Oft ist die Rede von einer Win-Win-Situation: gute, gesunde und ökologisch verträgliche Arbeit – alle profitieren. Was jedoch ein „Green Job“ sei, sei gar nicht einheitlich definiert – die Win-Win-Situation daher oft Träumerei: Einerseits seien viele Green Jobs alter Wein in neuen Schläuchen – lediglich die Betitelung habe sich verändert. Damit blieben andererseits die Makel unserer Arbeitswelt bestehen: Prekarität, Gender-Gap, Gesundheitsbelastung, etc.

Der zweite Diskursstrang dreht sich um eine Neudefinition von Arbeit sowie deren Umverteilung – vor allem auch zwischen den Geschlechtern. Gewerkschaften reden meist nur von Erwerbsarbeit, Pflege- und Reproduktionsarbeit werde ausgeblendet. Nachhaltige Arbeit müsste diese Bereiche mitberücksichtigen. Auch das Thema Arbeitszeitverkürzung spiele dabei ob seiner vielfältigen Chancen eine wichtige Rolle: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, bessere Work-Life-Balance und damit Gesundheit, mehr Zeit für Weiterbildung und demokratische Partizipation – allein der ökologische Effekt sei strittig, hier gebe es noch erheblichen Forschungsbedarf. Allerdings räumt Littig ein, sei Arbeitszeitverkürzung natürlich nur für die westliche Welt praktikabel, die Nord-Süd-Perspektive werde darin kaum je behandelt.

Als dritten und letzten Diskursstrang nennt Littig überhaupt ein radikales Umdenken des traditionellen Arbeitsbegriffs. Zahlreiche sozial-innovative Projekte wie Transitiontowns, Eco-Villages, Gemeinwohlökonomie und Share-Economy würden schon heute versuchen, Wandel zu leben.

Auf die entscheidende Frage von Ulli Brand, wo wir anfangen sollen, um nachhaltige Arbeit zu erreichen, hat Littig leider auch kein Geheimrezept. Der Diskurs müsse jedenfalls zuerst stärker werden. Und sonst, naja, vielleicht müssten wir mangels Alternative doch bei guten Green Jobs beginnen.

Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.