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Frauen, nicht Gentechnik, werden die Welt ernähren

Vandana Shiva, weltbekannte, mehrfach ausgezeichnete Umweltaktivistin und herausragende Denkerin, besuchte Wien und Graz auf Einladung des Grazer Elevate-Festivals, um uns an ihrem Wissen, ihren Erkenntnissen und Erfahrungen teilhaben zu lassen. Einiges davon ist hier zusammengefasst.

Von Eva Lachkovics

Die Globale Gesellschaft steht vor enormen Herausforderungen: Klimawandel, rasch wachsende Weltbevölkerung, Umweltkatastrophen, entfesselte Finanzmärkte und Machtkonzentration auf immer weniger, immer mächtigere transnationale Konzerne. Die Auswirkungen davon bedrohen die biologische Vielfalt und damit Landwirtschaft und Ernährung weltweit sowie das friedliche Zusammenleben auf unserem Planeten. Ob die Klimakonferenz in Paris im kommenden Dezember endlich entsprechend darauf eingeht, ist zu bezweifeln. Vandana Shiva setzt vielmehr auf Empowerment und Initiativen der Zivilgesellschaft und macht uns allen Mut.

Ernährungsgrundlage

Vielfalt ist die Grundlage des Lebens, wird Vandana Shiva nicht müde, zu betonen. Doch schon die so genannte „Grüne Revolution“ der 60er und 70er hat mit ihren riesigen Monokulturen von Hochertragssorten, die nur mit Agrochemikalien und Kunstdünger gedeihen konnten, eine Menge an biologischer Vielfalt verdrängt. Die industrielle Landwirtschaft, die dazu noch zunehmend genmanipulierte Pflanzen (GMOs) einführte, setzte die Zerstörung von fruchtbarem Land und des traditionellen Reichtums an Arten und Sortenvielfalt, im Süden vor allem in den Händen der Frauen, fort. Die Bäuerinnen verloren ihren gesellschaftlichen Status, Millionen Bauern wurden von ihrem Land verdrängt oder verjagt.

Wie wichtig dieser Reichtum ist, zeigt das Beispiel eines traditionellen Saatguts aus der Saatgutsammlung, die Vandana Shiva gemeinsam mit indischen Bäuerinnen aufgebaut hat. Der Tsunami von 2004 versalzte die Böden in der südindischen Küstenregion, so dass laut Experten das übliche Saatgut dort fünf Jahre nicht gedeihen hätte können. Die traditionelle salztolerante Reissorte, die Vandana Shiva aus ihrer Sammlung brachte, wuchs jedoch und rettete die Existenz der Bäuerinnen und Bauern. Die Gentechnik hätte viele Jahre gebraucht, um ein halbwegs geeignetes Saatgut zu entwickeln, wenn sie es überhaupt geschafft hätte.

Die indischen Frauen wussten und wissen, dass die Eigenschaften jeder Pflanzensorte unschätzbar wertvoll für unvorhersehbare Ereignisse sein können. In Zeiten des Klimawandels ist ihr Saatgut eine unersetzliche Ressource. Ihr traditionelles Wissen und das vieler anderer Frauen des Globalen Südens wird jedoch zunehmend zurückgedrängt.

Gifte der industriellen Landwirtschaft

Industrielle Landwirtschaft kommt nicht ohne Gifte aus. Die derzeit angebauten GMOs produzieren fast ausschließlich selbst Gifte, entweder das Insektengift des Bacillus thuringiensis (Bt) oder ein Resistenzgift gegen das krebsverdächtige Herbizid Glyphosat (Markenname z.B. Roundup von Monsanto). Aufgrund von Resistenzen bei Insekten und Beikräutern und der größeren Anfälligkeit für Krankheiten und Schäden der GMOs müssen trotzdem immer mehr Pestizide und Herbizide eingesetzt werden. Vandana Shiva bezeichnet das als Krieg gegen die Natur.

Die Gifte unterscheiden nicht zwischen nützlichen und schädlichen Insekten oder Beikräutern. Sie zerstören Leben im Boden - Bakterien, Regenwürmer, Insekten etc. -, das wesentlich zu seiner Fruchtbarkeit beiträgt. Monokulturen laugen die Böden aus. Wasser wird für die Bewässerung der GMOs und hochgezüchteten Pflanzensorten und für die Massentierhaltung im Übermaß benötigt, Gewässer werden kontaminiert. Die Wasserkonzerne, allen voran französische, profitieren bereits enorm von der steigenden Trinkwasserknappheit. Dazu kommt, dass durch Kunstdünger ein Glashausgas entsteht, das um ein Vielfaches schädlicher als CO2 ist.

Einige wenige internationale Konzerne mit enormer Finanzkraft treiben diese Art der Landwirtschaft voran und machen die BäuerInnen zunehmend von patentiertem Saatgut und den Chemikalien, die für sein Gedeihen notwendig sind, abhängig. Sie wollen die Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion und damit noch mehr Macht und Profit. Auch das ist Teil des Krieges, den Vandana Shiva anprangert.

Flucht als Folge industrieller Landwirtschaft

Die Schwächen der industriellen Landwirtschaft führen oft zu Hungerkrisen in ländlichen Gebieten. So wurden in Regionen Syriens Böden ausgebeutet und der Grundwasserspiegel halbiert. Der klimabedingten Dürre 2009 konnte nichts mehr standhalten. Etwa 1,5 Millionen Hirten und Bauern und Bäuerinnen flüchteten in die Städte, wo bereits Flüchtlinge aus dem Irak versorgt werden mussten. Die soziale Situation verschärfte sich dramatisch und führte zur Eskalation der Gewalt. Laut Vandana Shiva war auch der Arabische Frühling unter anderem ein Hungeraufstand gegen den enormen Anstieg des Brotpreises als Folge von Dürre und Lebensmittelspekulation. Der Klimawandel zeigt sich nicht nur in Rekordtemperaturen, sondern auch durch die Flüchtlinge vor den Toren Europas, ist Vandana Shiva überzeugt.

Landwirtschaft in Indien

In Europa wurde die kleinbäuerliche Landwirtschaft großteils schon früher zerstört als in Indien. Doch auch in Ländern wie Polen, Bulgarien, Slowakei, die erst relativ spät der EU beigetreten sind, werden nun kleinteilige Landwirtschaft und Biodiversität der Agrarindustrie geopfert. Die EU-Förderpolitik und die strikten Saatgutregeln sorgen dafür.

In Indien sind es vor allem globale Regelungen wie Patentrechte für Saatgut, die zur Zerstörung der traditionellen Landwirtschaft führen, aufgrund der Armut am Land mit drastischeren Folgen als in der EU. Ernteausfälle von GMO-Baumwolle aufgrund ihrer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten und andere Schäden verursachen wahre Tragödien. Vandana Shiva berichtet von etwa 300.000 Selbstmorden unter Bauern in den Baumwollanbaugebieten Punjab, Maharashtra und Andra Pradesh seit 1995.

Doch angesichts der Misserfolge mit der GMO-Baumwolle wendet sich Indien immer mehr von genmanipuliertem Saatgut ab. Für Nahrungsmittel ist es ohnehin nicht zugelassen. Zusätzlich haben sich bereits fünf indische Staaten der Ausrichtung auf Biolandbau verpflichtet, weitere fünf werden folgen.

Wer kann die Welt ernähren?

Vandana Shiva macht deutlich, dass kleinbäuerliche ökologische Landwirtschaft insgesamt viel produktiver als industrielle Landwirtschaft mit ihren anfälligen GMOs und Monokulturen ist. Selbst die Welternährungsorganisation (FAO) hat das bereits festgestellt ebenso wie der Weltagrarbericht 2009, an dem über 400 WissenschafterInnen aus der ganzen Welt mitgearbeitet hatten. In Indien sind hauptsächlich Frauen für die kleinbäuerliche ökologische Landwirtschaft verantwortlich. Reisfelder ohne Gift, wo z.B. wie früher auch Enten, die zusätzliche Nahrung liefern, leben können, oder kleine Hausgärten mit einer Vielfalt an Obst, Gemüse und Kräutern, liefern vielfältige Nahrung mit Vitaminen und Spurenelementen. Nicht Gentechnik sondern die nachhaltige Landwirtschaft von Frauen wird die Menschheit erhalten, sagt Vandana Shiva.

Die Zivilgesellschaft kann die Welt ändern

Viele NGOs, Initiativen und Bewegungen beeinflussen die Politik und verändern die Welt. Vandana Shiva erzählt von wichtigen Erfolgen: Indische Frauen, die nicht lesen und schreiben konnten, aber die Weisheit besaßen, dass ihr Wald lebenswichtig ist, retteten ihn, indem sie die Bäume umarmten, bis sie deren Erhalt erreichten. Ebenso haben vor allem Frauen eine Coca Cola-Fabrik in Indien, die den Menschen in der Umgebung das Wasser wegnahm, zum Schließen gebracht. Frauen auf der ganzen Welt sammeln traditionelles Saatgut, um es zu erhalten.

Als KonsumentInnen müssen wir unser Augenmerk darauf legen, wie sich die Landwirtschaft in der EU und global entwickelt und unser Konsumverhalten in Richtung nachhaltiger Landwirtschaft ausrichten – regionale, saisonale Nahrungsmittel aus biologischer Landwirtschaft kaufen oder, noch besser, selbst in kleinen Gärten und innovativen Projekten produzieren.


Vandana Shiva ist eine weltbekannte Umweltaktivistin und zählt zu den herausragenden Denkerinnen unserer Zeit. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher, darunter „Der Kampf um das blaue Gold – Ursachen und Folgen der Wasserverknappung“, „Biopiraterie – Kolonialismus des 21. Jahrhunderts“, „Erd-Demokratie – Alternativen zur neoliberalen Globalisierung und Leben ohne Erdöl – Eine Wirtschaft von unten gegen die Krise von oben“.

Die Gründerin von Navdanya („Neun Saaten“), einer wegweisenden Bewegung für Biodiversität, für die Rechte von Bäuerinnen und Bauern sowie für die Erhaltung heimischer Kulturpflanzen, rief ebenso die Research Foundation for Science, Technology and Ecology ins Leben. Deren Studien bestätigten den ökologischen Wert der traditionellen Landwirtschaft Indiens und waren sehr hilfreich für den Kampf gegen destruktive Entwicklungsprojekte.

Vandana Shiva ist Mitglied des Club of Rome, des Exekutivkomitees des Weltzukunftsrates und Vizepräsidentin von Slow Food International. Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt sie den Alternativen Nobelpreis und den Global 500 Award der Vereinten Nationen. Bevor Vandana Shiva zur Aktivistin wurde, war sie eine der führenden Physikerinnen Indiens.


Die Biochemikerin Eva Lachkovics engagiert sich ehrenamtlich bei sowie . Sie ist Mitglied des Vorstands der sowie stv. Bezirksvorsteherin des 3. Wiener Gemeindebezirks.