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Grünes Wachstum im Wandel.

Ist Wirtschaftswachstum unabdingbar für ein gutes Leben oder müssen wir uns endgültig davon verabschieden? Zwischen diesen beiden Polen existieren verschiedenste Standpunkte zum Thema Wachstum, die an diesem Abend ausgelotet werden.

Unter der Leitung von Ines Omann (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Leipzig) versammeln sich am 23. Februar 2016 Vertreter*innen der Initiativen Wachstum im Wandel, Degrowth und Gutes Leben für alle in der Volkshochschule Wiener Urania. Zur Diskussion steht die Rolle des Wachstums – oder vielmehr dessen Abwesenheit – bei Lebensqualität und globaler Gerechtigkeit.

Fred Luks, Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der WU Wien, vertritt an diesem Abend die Initiative (WiW). Ziel dieser Initiative ist es, mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteur*innen über das Thema Wachstum ins Gespräch zu kommen. Hier treffen etwa politische Entscheidungsträger*innen und CEOs zusammen, wodurch sich vielfältige Standpunkte ergeben. „Wir wollen wandeln, nicht gewandelt werden.“ Dieses Zitat ist am selben Tag auf der gefallen und spiegelt laut Luks sehr gut den Spirit der Initiative wider.

Demgegenüber herrscht in der Degrowth-Bewegung eine eindeutig wachstumskritische Sicht vor. Laut der Mitorganisatorin der Nina Treu vom ist die Grundidee von Degrowth, Forschung mit Aktivismus zu verbinden. Die Einbeziehung von Vertreter*innen aus Wirtschaft und Politik steht dabei eher im Hintergrund. Obwohl auch die Degrowth-Bewegung durchaus heterogen ist, herrscht Konsens darüber, dass die Länder des globalen Nordens schrumpfen müssen, der Wandel von unten kommen und friedlich vonstattengehen sollte. Einigkeit besteht auch dahingehend, dass der Kapitalismus überwunden werden muss.

Ein zentrales Charakteristikum der Initiative ist für Andreas Novy (Institute for Multi-Level Governance and Development an der WU Wien und Obmann der Grünen Bildungswerkstatt) der Versuch, einen Dialog zwischen ökologischen und sozialen Akteur*innen herzustellen. Zwischen ökologischer Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit besteht ein Spannungsverhältnis, das es zu überwinden gilt. Das Konzept des Guten Lebens spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle, da es einerseits auf eine neue, weniger konsumorientierte Definition von Lebensqualität abzielt, andererseits auch globale Verteilungsaspekte berücksichtigt. Im Zentrum der Initiative steht nicht die Frage nach Wirtschaftswachstum per se, sondern die Vision des guten Lebens für alle. Es muss laut Novy wieder möglich sein, menschliche Bedürfnisse abseits der derzeitigen Konsumkultur zu befriedigen.

Wie erreicht der Wandel die Mitte der Gesellschaft?
Nachdem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der drei Initiativen dargelegt wurden, ist das Publikum an der Reihe. Bei der Frage, wie man den Wandel in die Mitte der Gesellschaft bringen kann, sind sich Luks und Treu einig: Anstatt Pamphlete zu verbreiten, müsse man praktische Beispiele vorleben, die Menschen in ihren Alltag integrieren können. Novy betont, wie wichtig die Bildung von Allianzen ist. Der Wandel lässt sich nicht durch individuelle Änderungen des Lebensstils, sondern nur durch kollektives Engagement herbeiführen.

Wo bleibt der globale Süden in der Wachstumsdebatte?
Immer wiederkehrend ist in der Wachstumsdebatte die Forderung, dass reiche Länder zu schrumpfen hätten, während Länder des globalen Südens noch weiterwachsen dürften. Diesem Hinweis aus dem Publikum begegnet Treu mit einem Statement von Shalini Randeria, Leiterin des (IWM). Randeria hat am selben Tag auf der WiW-Konferenz darauf hingewiesen, dass Wirtschaftswachstum im globalen Süden oft die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zerstört, anstatt für Wohlstand zu sorgen. Die Referent*innen sind sich darin einig, dass wir damit aufhören müssen, den Menschen im globalen Süden vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Unsere Verantwortung liegt darin, unsere Lebensweise zu ändern und damit ein Vorbild zu bieten.

Welche Rolle spielt Wissenschaft?
Die Bedeutung der Wissenschaft im Transformationsprozess sieht Novy vor allem im Aufzeigen von Lösungsansätzen und blinden Flecken. Die Wissenschaft sollte aufdecken, dass die Gesetze des Marktes als Leitprinzip alle anderen Institutionen dominieren und dadurch die politische Sphäre entmachten. Treu verweist in diesem Zusammenhang auf eine , die im Zuge der Degrowth-Konferenz 2014 erstellt wurde. Diese umfasst unter anderem 400 wissenschaftliche Paper, die sich mit der Wachstumsthematik auseinandersetzen.

Wie kommt es zu einem Systemwechsel?
Eine der zentralsten Fragen kommt zum Schluss: Wie lässt sich das kapitalistische System überwinden? Novy und Treu weisen darauf hin, dass Revolutionen stets mit langfristigen, sozialen Prozessen verbunden waren. So wie wir heute nur eine vage Idee von einer Gesellschaft jenseits von Wachstum und Kapitalismus haben, erging es auch Menschen vor 300 Jahren, die sich ein Leben in einer Industriegesellschaft nicht vorstellen konnten. Obwohl niemand eine solche Transformation steuern kann, haben politische Akteur*innen die wichtige Rolle, Prozesse anzustoßen. Luks warnt in diesem Zusammenhang auch vor einer „Privatisierung der Nachhaltigkeit“, indem Verantwortung auf individuelle Konsumentscheidungen abgeschoben und der Einkaufszettel wichtiger als der Wahlzettel wird. Dieses Thema muss politisch bleiben. Am Ende entlässt Luks das Publikum mit einem optimistischen Zitat des ökologischen Ökonomen Herman Daly: Politische Wunder seien wahrscheinlicher als physikalische.

Die Autorin Stefanie Gerold hat in Wien Socio-Ecological Economics and Policy studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.