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Nachhaltig(e) Arbeit schaffen.

„Zukunftsfähigkeit, gute Arbeit und Verteilung von Beschäftigung“ – mehr als nur Untertitel der 9. Nachhaltigkeitskontroverse am 13. April an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien.

Fred Luks, Leiter des WU-Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit und Moderator der Veranstaltung, begrüßt das zahlreich erschienene Publikum und vier Podiumsgäste. Arbeit sei zu einem zentralen Aspekt von Nachhaltigkeit geworden, eröffnet Luks und bittet Beate Littig aufs Podium. Die Soziologin, Universitäts-Lehrbeauftragte und Leiterin der Abteilung Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) führt mit einem Impulsreferat ins Thema ein. Anschließend diskutiert Littig mit Sigrid Stagl (WU-Professorin, weltweit erster Doktortitel in Ökologischer Ökonomie), Michael Schwendinger (Sozialwissenschaftler und Arbeitszeitforscher) und Helwig Aubauer (Bereichsleiter Arbeit und Soziales in der Industriellenvereinigung).

Warum ist nachhaltige Arbeit ein Thema?

Seit gut 20 Jahren verfolgt Beate Littig das Forschungsthema Arbeit: „Damals, auf der Nachhaltigkeitskonferenz in Rio, kam Arbeit als Thema nicht vor.“ Heute hingegen sei es zentral. Als Gründe dafür nennt die Soziologin unter anderem Geschlechterverhältnisse, Verteilungskämpfe, und dass die Formel ökonomisches Wachstum führe zu mehr Beschäftigung und diese führe wiederum zu mehr Wohlstand heute nicht mehr uneingeschränkt gelte. Dies liege sowohl an ökonomischen, als auch ökologischen Gründen. So würden Migrationsbewegungen zunehmen und mit ihnen auch die Zahl der Klimaflüchtlinge.

Green Jobs – Good Jobs?

In Zusammenhang mit Nachhaltigkeit und Arbeit gebe es drei Diskursstränge, erklärt Littig. Erstens, Grüne Arbeit zu schaffen, zweitens, Arbeit neu definieren und umverteilen und drittens, anders arbeiten und leben. Gewerkschaften und NGOs hätten sich immer wieder besonders für das Schaffen von sogenannten Green Jobs als Ausweg aus der Krise eingesetzt. Doch sei hier Skepsis angebracht. Laut Littig gebe es viele Inkonsistenzen des technologiegetriebenen Konzepts der Green Economy, wie zum Beispiel Rebound Effekte(1), den Aufstieg einer globalen Mittelschicht an Konsument*innen – und damit verbunden – einen steigenden Ressourcenverbrauch, negative sozialökologische Folgen globaler Produktion erneuerbarer Energien oder die Ökonomisierung von Natur. Anbau von Zucker und Soja für Agrarsprit beziehungsweise industrielle Landwirtschaft habe nicht nur negative ökologische Auswirkungen, sondern auch bedrohliche Folgen für die vertriebene (indigene) Bevölkerung: Stichwort Landraub. „Green Economy löst die sozialen und ökologischen Widersprüche des Kapitalismus nicht.“ Green Jobs seien auch nicht selbstverständlich „gute Arbeitsplätze“ mit guter Bezahlung und guten Aufstiegschancen, betont die Soziologin.

Arbeit neu definieren und umverteilen.

Nachhaltige Arbeit beziehe sich laut Littig auf Geschlechtergerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Partizipation, internationale Verteilung und Umverteilung. Aktuelle Konzepte gingen von einem erweiterten Arbeitsbegriff aus, der auch die immer noch primär von Frauen geleistete Versorgungsarbeit (Care-Arbeit) und das Ehrenamt miteinbeziehe. „Gerade in der Flüchtlingskrise wurde und wird sehr viel ehrenamtliche Arbeit geleistet“, nennt Littig ein Beispiel. Es müssten „selbstbestimmte, geschlechtergerechte Lebensführung“ und bessere Möglichkeiten zur Gesundheitserhaltung Arbeitender hergestellt werden. Menschen dürften sich während ihrer Arbeit „nicht vernutzen“.

Mischarbeit.

Nachhaltige Arbeit sei „Mischarbeit“ und umfasse vier Dimensionen: Erwerbsarbeit, Versorgungsarbeit, Gemeinschaftsarbeit (Ehrenamt/zivilgesellschaftliches Engagement) und Eigenarbeit (z.B. Hobbygärtnern). Nachhaltige Arbeit sichere aber auch ein ausreichendes und faires Einkommen, unterstützt etwa durch Transferleistungen oder ein Grundeinkommen. Mischarbeit mit Mischbelastungen, Erwerbsunterbrechungen und Einkommensmischungen seien laut Littig für viele Menschen ohnedies schon Realität.

Anders arbeiten und leben – mit Muße.

Global gesehen befänden wir uns immer noch am Übergang von einer Agrar- in eine Industrie- und Wirtschaftsgesellschaft, bemerkt Littig. Orientierungsleitlinie und visionärer Gesellschaftsentwurf sei „das Gute Leben für Alle“, in dem Menschen dank ausgewogener Work-Life-Balance mehr Zeit für Familie, persönliche Interessen und Ehrenamt hätten. Die Forschungslage zu Arbeitszeitverkürzung sei dürftig, sagt Littig und verweist auf das einzige bekannte Pilotprojekt und Experiment zur Verkürzung der Arbeitszeit auf sechs Stunden pro Tag in einem . Die Befunde für Gesundheit und Arbeitszufriedenheit seien in dem Experiment durchwegs positiv, jedoch könne Arbeitszeitverkürzung nicht alle Probleme auf dem Weg in die sozialökologische und ökonomische Transformation lösen. In Deutschland würden derzeit wissenschaftliche Postwachstumsprojekte gefördert, in Polen Muße-Cafés. Die Erforschung der Muße sei relevant, wenn Menschen durch Arbeitszeitreduktion mehr Freizeit bekämen. Muße definiert Littig als jene Zeit, die nicht instrumentell genutzt werde, die allein der Kontemplation, dem Zu-Sich-Selbst-Kommen, diene.

Umverteilen und „teure“ Kurzarbeit(2).

In der anschließenden Diskussion erklärt Arbeitszeitforscher und Sozialwissenschaftler Michael Schwendinger, seine Studie für die Arbeiterkammer Wien habe ergeben, dass 17,5 Prozent der unselbständig Beschäftigten im Schnitt 35 Minuten kürzer arbeiten wollen. Das entspreche mehreren tausend Vollzeitäquivalenten. Helwig Aubauer kontert, die Industriellenvereinigung tue sich grundsätzlich schwer mit dem Umverteilen von Arbeitszeit und Umwandeln in Arbeitsplätze: „Wir wollen lieber wachsen und Standort- und Wettbewerbsfähigkeit stärken.“ Schwendinger verteidigt die Studienergebnisse und spricht sich dafür aus, zumindest einen Teil des Volumens der Arbeitszeit-Verkürzungswünsche in Arbeitsplätze umzuwandeln. Er räumt aber ein, dass dies nicht 1:1 für das gesamte Volumen möglich sei, da nicht immer alle gerade benötigten Qualifikationen, Organisations- und Infrastrukturen vorhanden seien.

Als Aubauer die „teure Kurzarbeit“ in der Krise kritisiert, gibt Schwendinger zu bedenken: „Was wäre denn eine kostengünstigere Alternative zu Kurzarbeit gewesen?“ Kündigungen und der dauerhafte Verlust von Fähigkeiten und Wissen hätten Gesellschaft und Unternehmen letztlich mehr gekostet.

Biophysische Grenzen.

Sigrid Stagl weist auf die biophysischen Grenzen der Erde hin. Diese müssten ernst genommen werden, eine alleinige Wirtschaftswachstumsorientierung stoße an ökologische Grenzen. Wirtschaftswachstum und gleichzeitige Senkung des Ressourcenverbrauchs seien derzeit nicht machbar. Die wichtige Beziehung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sei primär durch die Institutionen in einem Land bestimmt – und daher veränderbar. So könnten Produktivitätsgewinne etwa durch weniger Arbeit statt Geld ausgezahlt werden. Die Professorin für Ecological Economics plädiert auch für eine ökologische Steuerreform.

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Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und São Paulo studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.