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Sicherer Hafen: Irakisch-Kurdistan.

Die im März gestartete Mossul-Offensive hat eine neue Fluchtwelle innerhalb des Iraks ausgelöst. Doch nicht nur der Islamische Staat (IS), auch die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten lassen das Land nicht zur Ruhe kommen.

Hinter dem Dibaga-Camp im Norden Iraks hängt die schwarze Rauchwolke eines Ölfeldes am Horizont. Wassertanks und Blechdächer glänzen in der Sonne, ein Netz aus Stromkabeln spannt sich über die weißen Hütten. „Es geht uns schlecht hier“, sagt Thamir Jasin. Thamir trägt eine braune Galabiyya, das bei arabischen Männern häufig anzutreffende knöchellange Gewand, dazu blaue Schlapfen. Haar und Bart sind kurz geschoren. In der Ortschaft Dibaga gebe es keine Arbeit für ihn, die Hauptstadt Erbil ist 40 Kilometer entfernt. „Und sehen Sie, wie wir leben müssen“, der 33-jährige Familienvater deutet auf die Hütte hinter ihm; ein Wohn- und Schlafraum mit einer angebauten Küche, umgeben von einer niedrigen Mauer. „Hier wohnen drei Familien“, sagt er. „Insgesamt 21 Menschen.“ Damit das Zusammenleben auf engem Raum einigermaßen klappt, schlafen die fünf Männer der Familien in der Moschee.


Im Flüchtlingscamp Dibaga leben mehr als 6.000 Menschen. Die meisten von ihnen kommen aus der Region Mossul. Laut Angaben der kurdischen Regierung sind 1,8 Millionen Internally Displaced Persons (IDP; im Inland Vertriebene) und Flüchtlinge aus Syrien in Kurdistan. Das Land, das sich in einer Wirtschaftskrise befindet, stößt damit an seine Grenzen. Das Dibaga-Camp ist eines von 26 Camps in Kurdistan und wurde mit finanzieller Unterstützung des „Emirates Red Crescent“ („Roter Halbmond“ der Vereinigten Arabischen Emirate, Schwesternorganisation des Roten Kreuzes) errichtet.

Während der Großteil des Iraks im Chaos versunken ist, blieb die nördliche Region Irakisch-Kurdistan relativ stabil. 2014 war es dem Islamischen Staat von Syrien aus gelungen, etwa ein Drittel des Landes unter seine Kontrolle zu bringen und Mossul einzunehmen. Auch Irakisch-Kurdistan verlor damals Gebiete an den IS, konnte die Eroberung der Hauptstadt Erbil aber verhindern. Mit Hilfe ausländischer Militärberater und Waffenlieferungen gelang es den Kurden, den IS zurückzudrängen und die Grenzen Kurdistans zu sichern.

 

Thamir Jasin zündet sich eine Zigarette an. Vor einem Monat musste er sein Dorf verlassen, weil es zu Kämpfen zwischen der irakischen Armee und dem IS kam. „Die irakische Armee sagte, wir müssen weg.“ Das war ihm recht. Denn unter der Herrschaft der Daish, wie die Araber den IS nennen, gab es kein Leben, wie er sagt. „Wir durften nicht rauchen, die Männer mussten lange Bärte und kurze Hosen tragen, die Frauen verschleiert gehen. Wer sich widersetzte, wurde bestraft.“

 

Mossul-Offensive.

Ende März 2016 startete die irakische Armee die Offensive auf Mossul, unterstützt von den kurdischen Peshmerga und der Luftwaffe der internationalen Koalition. Dorf um Dorf befreien sie vom IS, wann die irakische Armee Mossul erreichen wird, ist jedoch ungewiss. Derzeit stehen die Truppen etwa 50 Kilometer vor der zweitgrößten irakischen Stadt. Die Offensive hat eine weitere Fluchtwelle ausgelöst. Tausende mussten ihre Dörfer verlassen.

Wie das Magazin berichtete, beschwerten sich einige der sunnitischen Flüchtlinge im Dibaga-Camp über die irakischen Soldaten, die in ihre Dörfer kamen. Durch schiitische Einheiten innerhalb der Armee soll es zu Übergriffen auf sunnitische Dorfbewohner gekommen sein. Das Ende Saddam Husseins hatte auch zum Ende der sunnitischen Hegemonie im Irak geführt. Die Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten traten verstärkt unter der Regierung des Schiiten Nuri Al-Maliki (2010-2014) zu Tage. Al-Maliki brachte gezielt Schiiten in hohe Position von Armee und Regierung, benachteiligte strukturell die sunnitische Bevölkerung und trieb dadurch viele Sunniten in die Armee des IS. Schiitische Milizenführer wiederum haben angekündigt Rache üben zu wollen für Schiiten, die von Sunniten des Islamischen Staates getötet wurden.

Von solchen Übergriffen weiß Thamir Jasin nichts. Mit Schia-Milizen habe er keine Probleme gehabt. „Sie gaben uns Wasser und zu essen“, sagt er.

 

„Die sind schlimmer als Daish“.
Juma Atiya, weißes Käppi, Brille und langer, an der Oberlippe abrasierter Bart, ist der Imam der Camp-Moschee. Um der Mittagshitze zu entgehen, lädt der 55-Jährige in seine Unterkunft. In einem mit Matratzen ausgelegten Raum lässt er von seiner Tochter Tee bringen. „Ich bin Salafist“, sagt er. Und um klar zu machen, dass er sich vom jihadistischen Flügel innerhalb dieser ultrakonservativen Strömung distanziert: „Was die Daish tun, ist nicht Islam.“ Denn es sei besser, die Kaaba in Mekka zu zerstören, als einen Menschen zu töten, zitiert er aus dem Koran.

 

Wenn die Kämpfe einmal vorbei sind und er in sein Dorf zurückkehren kann, wird er von vorne beginnen müssen. „Die Daish haben mein neu erbautes Haus zerstört“, sagt er. Aber auch von den Schiiten im Irak hält der Salafist wenig. Von seinen Söhnen, die in der irakischen Armee kämpfen, wisse er, dass schiitische Milizen brutal gegen die sunnitische Bevölkerung vorgehen. Sie hätten ohne ersichtlichen militärischen Grund Wohnhäuser und Geschäfte von Sunniten zerstört und Menschen verschleppt. „Die sind schlimmer als Daish."

Zuhause auf Zeit.
Vor dem Haupteingang des umzäunten Camps stehen drei große weiße Zelte. Hier sind die neu Angekommenen untergebracht. Matratzen stapeln sich an den Innenwänden, Frauen und Kinder sitzen in Gruppen beisammen. Zaynab Sleman kam vor drei Tagen hierher. Zu Fuß ist sie mit Ehemann und Kindern aus ihrem Dorf geflohen. Fotografiert werden will sie nicht, es gebe noch Verwandte im IS-Gebiet, denen Gefahr drohe. „Unsere Männer sind noch in Makhmour“, sagt sie. Jener Stadt, von der aus die Mossul-Offensive gestartet wurde und wohin die Flüchtlinge aus den umkämpften Gebieten fliehen, bevor sie auf die Camps in Kurdistan verteilt werden. In Makhmour werden männliche Flüchtlinge von den Kurden überprüft. Stellt sich heraus, dass sie IS-Sympathisanten sind, werden sie verhaftet.

Am Rande der Ortschaft Dibaga liegt der Friedhof. Abseits der anderen Gräbern sind die Toten aus dem Camp begraben: 15 Grabsteine mit den Namen der Verstorbenen. Neben dem Friedhof wird ein neues Camp errichtet. Zelt um Zelt, quadratisch angeordnet; temporäres Zuhause für Menschen auf der Flucht. Auch die Toten sind nur zwischenzeitlich am Friedhof bestattet. Gemeinsam mit den Flüchtlingen werden sie später in die Dörfer zurückgebracht, aus denen sie kamen. Aber dazu muss erst Frieden einkehren.

 

Der Autor, Markus Schauta, berichtet für österreichische und deutsche Tageszeitungen und Magazine aus dem Nahen Osten und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.