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„Trolls just wanna have fun“ – wie Shitstorms unsere Gesellschaft prägen.

Vermehrt ziehen in jüngster Zeit Shitstorms über das Land. Wie sie entstehen, welche Auswirkungen sie haben und wie sie abzuschwächen oder zu verhindern sind, war Thema der Podiumsdiskussion.

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, Fernsehsprecherin Lisa Gadenstätter und Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger – sie alle waren 2014 Opfer eines Shitstorms. Die GBW Wien und der Grüne Parlamentsklub laden daher am 18. November ins Wiener Depot, um über „Social Media zwischen Shitstorm und Flowerrain“ zu diskutieren. Dieter Zirnig von neuwal.com leitet das Gespräch mit Ingrid Brodnig, Falter-Journalistin und Expertin für Netzpolitik und den digitalen Wandel, und Marco Schreuder, netzpolitischer Sprecher der Grünen.

Shitstorms: Massenaufregung im digitalen Zeitalter.
Ingrid Brodnig erklärt zu Beginn einige der wichtigsten Kennzeichen und Voraussetzungen für Shitstorms. Dabei definiert die Journalistin Shitstorm als „Phänomen der Massenaufregung in digitalen Kanälen.“ Die Empörung sei dabei so groß, dass die Situation in einem Maße eskaliere, wie es außerhalb des Internets nicht möglich wäre. Charakteristisch für Shitstorms sei, dass die Menge relativ rasch nicht mehr über den eigentlichen Anlassfall diskutiert, sondern sich die Empörung auf ein anderes Thema oder die Person allgemein verlagere. Shitstorms seien dadurch sehr unberechenbar. Der Begriff an sich werde laut Brodnig zu inflationär verwendet, die „Massenaufregung“ müsse so groß sein, dass auch Medien darüber berichten. Ein zentraler Aspekt, der zur verbalen Eskalation führe, sei die vermeintliche Anonymität der digitalen Welt: Je sicherer sich jemand im Schutze der Anonymität fühle, desto radikaler fällt tendenziell die Wortwahl aus. Auch die Boulevard-Presse beeinflusse Shitstorms, stellt die Journalistin fest: In vielen Fällen gießen Zeitungen noch Öl ins Feuer, um aufzubauschen und damit ihre Reichweite zu erhöhen.

Als Bundesrat bettet Marco Schreuder den Shitstorm in einen politischen Kontext und sieht diesen als Teil der sich ändernden politischen Kommunikation. Früher hätten sich Politiker*innen in erster Linie vor den Wahlen für die Meinung der Bürger*innen interessiert. Empörung und verbale Fehltritte beschränkten sich auf den Stammtisch. Heute sei direktes Feedback von den Wähler*innen jederzeit möglich und die Fähigkeit zuzuhören in der Politik daher umso gefragter.

Der Troll – Master des Shitstorms.
Trolle sind Personen, die bewusst einen Shitstorm durch verbale Entgleisungen, Verhetzung und Provokation vorantreiben. Je mehr sich andere über ihre Aussagen ärgern, desto bestärkter fühlen sie sich. So seien laut Brodnig negative Bewertungen wie im Forum von derstandard.at „Crack für die Trolle“, weshalb Facebook bewusst auf einen „Dislike-Button“ verzichtet habe. In diesem Zusammenhang verweist die Journalistin auf eine interessante Studie, wonach Trolle häufiger an psychopathischen Störungen erkranken.

Verwüstung nach dem Sturm.
Antifeministische Bewegungen seien nach Schreuder bei Shitstorms besonders aktiv. Als Beispiel nennt der Politiker das „trollige Wort“ „Gender-Wahn“. Ausgehend von antifeministischen Shitstorms, habe es sich inzwischen auch in politischen Parteien etabliert. „Die Gefahr eines Shitstorms besteht vor allem darin, dass radikale Positionen einiger weniger in der Mitte der Gesellschaft ankommen“, so Schreuder. Diese Einschätzung bestätigt Brodnig anhand einer US-amerikanischen Studie: Testpersonen lasen einen Artikel über Nanotechnologie, unter den Forscher*innen sachliche Pro- und Contra-Argumente gepostet hatten. Bei der Hälfte der Testpersonen waren die Contra-Argumente mit Beleidigungen gespickt. Diese Personen standen dem Thema Nanotechnologie anschließend deutlich negativer gegenüber als jene Personen, die dieselben Argumente ohne Beleidigungen gelesen hatten. „Hasspostings können dazu führen, dass man einem Thema negativer gegenüber steht und gesellschaftspolitische Themen desavouiert werden. Shitstorms können daher durchaus den politischen Mainstream ändern“, argumentiert Brodnig.

Wie nimmt man einem Shitstorm den Wind aus den Segeln?'
Im Zuge des Shitstorms gegen die ORF-Moderatorin Lisa Gadenstätter entstand als Gegenkonzept der „Flowerrain“. Um der Moderatorin seine Solidarität auszusprechen, konnte man ihr online Blumen schenken. Brodnig steht dem eher skeptisch gegenüber: „Der Flowerrain ist zwar gut gemeint, aber keine Lösung für das eigentliche Problem.“

Nachdem Trolle Aufmerksamkeit suchen, kommt aus dem Publikum die Frage, ob das Ignorieren der Kommentare eine mögliche Lösungsstrategie wäre. Nach dem Motto „don‘t feed the troll“ müsse man laut Brodnig nicht auf jeden Blödsinn einsteigen. Manche Trolle seien aber so untergriffig, dass eine Reaktion unabdingbar sei. Eine wichtige Strategie sei daher, Räume zu schaffen, die Trolle nicht für ihre Zwecke missbrauchen können. Als positives Beispiel verweist die Journalistin auf das Forum von Zeit Online, da Moderator*innen alle Kommentare vorab prüfen, obwohl dies zeit- und kostenintensiv sei. Auch die New York Times setze auf Moderation in den Online-Foren. Die Tageszeitung schaltet ein Forum zu einem Artikel nur dann frei, wenn auch die personellen Ressourcen für die Moderation des Forums gegeben seien. Für Brodnig ist das „im Notfall die ehrlichere Lösung, als alles offen lassen und nicht kontrollieren zu können.“

In Anlehnung an die jüngste Buchveröffentlichung der Journalistin fragt Schreuder nach den demokratiepolitischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen. Trolle, so der Politiker, seien der Meinung, dass das Recht auf Meinungsfreiheit über dem Schutz vor Verhetzung, Mobbing und Stalking stehe. Dabei sei es wichtig eine faire Balance zu finden und den Fokus wieder stärker auf Partizipation und Meinungsbildung zu legen. So sei eine sachliche und konstruktive Auseinandersetzung zu wichtigen gesellschaftspolitischen Themen möglich.

Links.

Buchempfehlung.
Brodnig, Ingrid (2014): Der unsichtbare Mensch. Wie die Anonymität im Internet unsere Gesellschaft verändert. Wien: Czernin Verlag.

Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Sie ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien.