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Urban Gardening: Widerständig oder neoliberal?

Urbane Gärten sprießen in den letzten Jahren aus dem Boden. Doch schaffen die neuen grünen Aktivitäten eine ökologischere und gerechtere Stadt für alle? Oder spielen sie einer neoliberalen und ausschließenden Stadtentwicklung in die Hände? Dies diskutierten internationale Konferenzteilnehmer*innen am 23. und 24. Oktober 2015 in der VHS Ottakring.

Urban Gardening – wo die Widersprüche sprießen.
Anfangs brachten nur mutige Guerillagärtner*innen ohne Genehmigung Brachflächen zum Blühen. Heute fördert die Stadt Wien sogar Gemeinschaftsgärten. Das urbane Gärtnern ist im Trend – nicht nur in Wien. Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Schaffen Gemeinschaftsgärten neue städtische Gemeingüter, die allen eine gemeinsame Nutzung des urbanen Raumes und eine ökologischere Lebensmittelproduktion ermöglichen? Oder privatisieren sie öffentlichen Raum und treiben durch Aufwertung des Viertels Verdrängungsprozesse voran? Internationale Wissenschaftler*innen und Menschen aus Politik und sozialen Bewegungen nutzten die vom Forschungsprojekt „“ organisierte zweitägige Konferenz für Diskussion und Vernetzung. Schon im Titel zeigte sich das Spannungsfeld um Gemeinschaftsgärten und Co: „Grüne städtische Gemeingüter? Grüne urbane Aktivitäten im öffentlichen Raum – zwischen Aufwertung, Privatisierung, sozial-ökologischer Transformation und Recht auf Stadt.“  Im Zentrum standen daher das emanzipative Potential und mögliche Widersprüche und Fallstricke des Urban Gardening. Schafft es Alternativen oder fügt es sich passgerecht in neoliberale Stadtentwicklung ein?

... als Element neoliberaler Stadtentwicklung?
Schon seit mehr als zehn Jahren beschäftigt sich Marit Rosol von der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit diesen Fragen. In ihrer Keynote Lecture zeigt sie Zusammenhänge rund um urbane Gärten auf. „Diese neuen grünen Aktivitäten müssen im Kontext der aktuellen Phase neoliberaler Stadtentwicklung gelesen werden.“ Habe sich der Staat in einer früheren Phase des Neoliberalismus vor allem zurückgezogen, so aktiviere er im Rahmen neuer Regierungstechniken jetzt Gemeinschaften und Individuen. „Partizipation, die Förderung freiwilliger Arbeit und aktive Bürger*innenschaft sind neue Leitbilder, die die urbane Austeritätspolitik begleiten“, so Rosol.
So könnten durch Engagement der Zivilgesellschaft für grüne Infrastruktur Verantwortlichkeiten ausgelagert und Kosten gespart werden, erläutert Rosol das Kalkül von mehr Partizipationsmöglichkeiten: Die Förderung von Selbsthilfe und Gemeinschaftsorganisationen soll soziale Einschnitte kompensieren. Diese Strategien sind für Rosol Kern neoliberaler Regierungstechniken. „Außerdem werden von Stadtverwaltungen urbane Gärten immer mehr als Ressource für Aufwertung und Imageproduktion gesehen“, was im Wettbewerb der Städte um Kapital und finanzstarke Einwohner*innen von Vorteil sei.
Wenn Gemeinschaftsgärten öffentlichen Raum privatisieren, stelle sich die Frage des Ein- und Ausschlusses: „Welche Gruppen partizipieren? Und welche Nachbar*innenschaften sind privilegiert, wenn eine grüne Infrastruktur vor allem durch private Arbeit aufrechterhalten wird?“
Zuletzt weist Rosol auf das Problem der Gentrifizierung hin. Schöne, saubere Gemeinschaftsgärten, die das Viertel attraktiver machen, ziehen einkommensstärkere Bevölkerungsschichten an. Das kann Verdrängungsprozesse verstärken, wenn Mechanismen fehlen, die entgegenwirken und bezahlbares Wohnen garantieren.

... als Ort gelebter Utopien?
Also lieber ganz die Hände vom urbanen Gärtnern lassen? Nein, denn die grünen Aktivitäten beinhalten laut Rosol auch emanzipatives Potential, wenn sie als Commons, als städtische Gemeingüter, geschaffen und verwaltet werden. Soziale Bedürfnisse entgegen und jenseits der Logiken von Markt und Staat zu befriedigen, eröffnet einen neuen Umgang mit Ressourcen und urbanem Raum, so Rosol. „Ihre Stärke liegt dann darin, die Logik von Privateigentum und Tauschwert herauszufordern, die bis jetzt maßgeblich urbanen Raum produziert.“ Die Aktivist*innen würden so einen alternativen Raum schaffen, der Möglichkeiten zum Lernen und Experimentieren biete, verschiedenste Menschen zusammenführe und solidarische Netzwerke schaffe, streicht Rosol das transformative Potential heraus.

... in einen größeren Zusammenhang bringen.
Diese Aktivitäten ließen sich so in Zusammenhang mit Kämpfen um das Recht auf Stadt bringen. Sie erlauben Verbündete zu finden und ein gegenseitiges Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, das hilft, wenn Projekte in Gefahr sind. Denn häufig sind Gemeinschaftsgärten Zwischennutzungen, ermöglicht in Baulücken oder Brachen. Sobald sie einer profitträchtigen Bebauung oder Nutzung im Wege stehen, werden sie geräumt. Von Partizipation sei dann kaum mehr die Rede, wie in der anschließenden Diskussion festgestellt wird. Vielmehr seien dann Kämpfe für den Erhalt des Projektes nötig, die sich ganz bewusst gegen die Inwertsetzung von Raum stellen müssten. Damit würde auch das widerständige Potential von Urban Gardening wieder deutlicher und die Notwendigkeit von Allianzen mit anderen Aktivist*innen.

Auch nach der Konferenz bleibt offen, ob Urban Gardening generell ein Element des Widerstands gegen oder ein Element für neoliberale Stadtentwicklung ist – nicht nur wegen unterschiedlicher Rahmenbedingungen in den Städten. Deutlich wurde aber: Es braucht Bewusstsein über Widersprüche von grünen städtischen Aktivitäten. Denn nur so lassen sich emanzipative Potentiale ausschöpfen und mögliche Fallstricke vermeiden. Die Widersprüche werden nicht in einzelnen Projekten aufgelöst werden können. Durch Vernetzung und Austausch werden sie aber besser bearbeitbar. Die Konferenz war dafür ein erster Schritt. Bei all den offenen Fragen werden unweigerlich weitere Schritte folgen.

Zum Weiterlesen.

Rosol, Marit (2012): Community Volunteering as Neoliberal Strategy? Green Space Production in Berlin. In: Antipode 44 (1): 239-257.

Der Autor Raphael Kiczka forscht und lehrt zu Themen der Stadtentwicklung und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.