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Vom Weggehen und Ankommen – Migration und Emigration aus historischer Sicht

Über eine Veranstaltung mit Martin Pollack und über das Buch „Der Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien“.

Von Edith Vanghelof1




Am 12. Mai 2016 hat die Grüne Bildungswerkstatt Wien in Kooperation mit der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur eine Veranstaltung mit Martin Pollack organisiert. Der Saal war voll. In der anschließenden Diskussion ging es natürlich auch um die heutigen Flüchtlingsbewegungen und Themen.

 

Migrationsbewegungen aus Galizien

Es gibt Bücher, die uns helfen die Welt zu verstehen. „Der Kaiser von Amerika.  Die große Flucht aus Galizien“ von Martin Pollack ist eines dieser Werke. Die großen Migrationsbewegungen am Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts aus Europa in die neue Welt zeigen Parallelen zur heutigen Situation. Die Zustände in damaligen Galizien waren die Gründe dafür: Hunger, Armut, Korruption, Pogrome gegen Juden.

Pollack schildert die mit unfreiwilligen Massenbewegungen von Menschen einhergehenden negativen Phänomene von damals – Schlepperei, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Übervorteilung von Unwissenden, Korruption – und wir sind an heute erinnert.


Das Geschäft mit der Not

Die Zielländer sind jetzt einige der damaligen Herkunftsländer. Es waren die Hungersnöte von 1847, 1849, 1855, 1865, 1876, 1889 im damaligen Kaiserreich, die Armut, die Korruption, und der Judenhass sowie wie auch die Pogrome in Russland die auslösende Faktoren. Zwischen 1881 und 1910 wanderten 25% der jüdischen Bevölkerung Galiziens in die USA aus. Die Ermordung Zar Alexanders II. in Russland 1888, löste eine Welle von Pogromen aus. 500.000 Menschen kamen in der Folge nach Galizien und wollten weiter in die USA. Die Hauptmotivation war die Hoffnung auf ein Leben, auf ein besseres Leben - in Frieden und Sicherheit. Genauso wie heute.

Im Staatsgrundgesetz von 1867 stand „Die Freiheit der Auswanderung ist von Staats wegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt.“  Damit war Anwerben von Auswanderern – insbesondere Männer in militärfähigem Alter verboten. Das eröffnete lukrative Geschäftsfelder. Martin Pollack zeigt anhand eines konkreten vor Gericht verhandelten Falles2 wie alle – Bahnpersonal, Gendarmen, Grenzbeamte, Unterkunftgeber  – an die Not der Menschen verdient haben. Das Ausnutzen von Unwissenheit, das profitable Geschäft mit den sogenannte „Zwischendeckpassagieren“ der großen Reedereien in Hamburg, die auch ein Netzwerk an betrügerischen Agenten in Galizien unterhielten, waren gang und gäbe. Die Agenten arbeiteten für Schifffahrtsagenturen und Reedereien und verdienten unter anderem an Pro-Kopf-Prämien – aber auch an Betrügereien an den Passagieren. So wurden spezielle Gebühren für bessere Plätze durch ein Telegramm bestätigt – doch das Telegramm war nur ein Wecker in der Schublade. 


Die Konkurrenz unter den Agenten führte sogar zu Raub und Betrug beim Kampf um die Kopfgeldprämien, wie am Umsteigebahnhof Brzezinka (Birkenau) auf dem Weg nach Hamburg und Bremen.  Die Agenten der Reedereien waren oft auch Menschenhändler. Galizien war Herkunftsland für Mädchen die nach Südamerika in die Prostitution verkauft wurden. Pro Jahr wurden an die 10.000 Mädchen Opfer dieser Machenschaften. 

Im Staatsgrundgesetz von 1867 stand „Die Freiheit der Auswanderung ist von Staats wegen nur durch die Wehrpflicht beschränkt.“  Damit war Anwerben von Auswanderern – insbesondere Männer in militärfähigem Alter verboten. Das eröffnete lukrative Geschäftsfelder. Martin Pollack zeigt anhand eines konkreten vor Gericht verhandelten Falles2 wie alle – Bahnpersonal, Gendarmen, Grenzbeamte, Unterkunftgeber  – an die Not der Menschen verdient haben. Das Ausnutzen von Unwissenheit, das profitable Geschäft mit den sogenannte „Zwischendeckpassagieren“ der großen Reedereien in Hamburg, die auch ein Netzwerk an betrügerischen Agenten in Galizien unterhielten, waren gang und gäbe. Die Agenten arbeiteten für Schifffahrtsagenturen und Reedereien und verdienten unter anderem an Pro-Kopf-Prämien – aber auch an Betrügereien an den Passagieren. So wurden spezielle Gebühren für bessere Plätze durch ein Telegramm bestätigt – doch das Telegramm war nur ein Wecker in der Schublade. Die Konkurrenz unter den Agenten führte sogar zu Raub und Betrug beim Kampf um die Kopfgeldprämien, wie am Umsteigebahnhof Brzezinka (Birkenau) auf dem Weg nach Hamburg und Bremen.  Die Agenten der Reedereien waren oft auch Menschenhändler. Galizien war Herkunftsland für Mädchen die nach Südamerika in die Prostitution verkauft wurden. Pro Jahr wurden an die 10.000 Mädchen Opfer dieser Machenschaften. 


Die Diskussion heute

In der Diskussion wurde die aktuelle Situation erörtert. Migrantinnen und Migranten, Vertriebene werden in den Zielländern oft von den üblichen Bürgerrechten ausgeschlossen oder in ihren Rechten eingeschränkt: Sie haben keine Freiheit der Bewegung, eingeschränkte Teilhabe am Arbeitsmarkt und sie erhalten weniger Sozialleistungen.

Martin Pollack spricht sich für mehr Gelassenheit in diesem Zusammenhang aus. Die Diskriminierung von Migranten und Migrantinnen nützt niemandem. Pollack verwies dazu auf die „Communities“, die er bei einer Vortragsreise in Kanada erlebte, und deren Pflege von Traditionen und Sprache ihrer Herkunftsländer.  Hierzulande werden solche „Communities“ mit Argwohn betrachtet und mit wenig Toleranz wird Assimilation gefordert. Das heißt dann offiziell: „Integration“. Ein Beispiel dazu ist die Forderung nach Deutsch als Pausensprache für alle Schülerinnen und Schüler.  Das befriedigt bestenfalls niedrige Instinkte, löst aber keine Probleme. Es gibt noch viel zu tun.

 

1) Edith Vanghelof ist Mitglied des Vorstands der Grünen Bildungswerkstatt Wien.

2) 1889 fand in Wadowice ein Gerichtsverfahren gegen 65 beschuldigte Agenten in diesem Zusammenhang. Die Agenten der Reedereien waren oft auch Menschenhändler.

 

Photo credits: Edith Vanghelof


Martin Pollack, geb. 1944 in Oberösterreich, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte. Er arbeitete von 1987 bis 1998 Redakteur des “Spiegel” in Warschau und Wien und arbeitet heute als Schriftsteller und literarischer Übersetzer. 2011 erhielt er den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 2012 den Stanislaw-Vincenz-Preis. Die  Veranstaltung  war inspiriert von seinem Buch „Der Kaiser von Amerika. Die große Flucht aus Galizien“ (Zsolnay Verlag, Wien 2010, ISBN 978-3-552-05514-8).   

Flüchtlinge verlassen ihre Heimat nicht auf behördliche Anordnung, sondern um einer – möglicherweise lebensbedrohenden – Gefahr zu entgehen. Sie werden nicht unmittelbar zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen, sondern mittelbar. Falls Flüchtlingen oder Ausgewiesenen die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt wird, unterscheidet sich ihre Lage nicht mehr von der Lage von Vertriebenen.

Vertreibung ist eine erzwungene Form von Migration über Staatsgrenzen hinweg. Die von Vertreibung Betroffenen werden unter mittelbarem oder unmittelbarem Zwang dazu genötigt, ihre Heimat zu verlassen. Vertreibung ist unumkehrbar und endgültig.

Ethnische Säuberung etablierte sich mit der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts bei Juristen und Historikern (und später auch in Medien und der Öffentlichkeit) als Begriff für Maßnahmen, die das Ziel haben, Bevölkerungsgruppen zu entfernen, die der Vorstellung der Behörden oder einer mächtigen Bevölkerungsgruppe von der sprachlichen oder kulturellen Zusammensetzung ihres Gemeinwesens widersprechen. Von den Methoden ist der Genozid mit Abstand die verbrecherischste, die Vertreibung aber auch hochgradig inhuman.

Quelle:

Flucht ist das ungeordnete, teilweise panische Zurückweichen vor einem Feind, Angreifer, einer Gefahr oder einer Katastrophe. 

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