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35 Jahre LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen*: eine Festrede

Der in Wien ansässige Verein setzt sich bundesweit für die Rechte von Migrant*innen und die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ein. Wir freuen uns, hier die Rede der Gratulantin Faika El-Nagashi dokumentieren zu können.

Rückblick

Nach der wurden bei der zweiten Online-Diskussion "Wie baut Wien?" Lösungsansätze aus den Bereichen Architektur, Projektentwicklung sowie Politik diskutiert.

Der Video-Mitschnitt kann zusammen mit ergänzenden Infos hier abgerufen werden: https://wohnen-leistbar.wien/video-wie-baut-wien/

Selbstorganisation ist Selbstbehauptung. Und die Selbstbehauptung kann ein richtiger Kraftakt sein. Vor allem, wenn diejenigen, die sich organisieren, das eigentlich gar nicht machen sollten. Migrantinnen – Frauen – aus den Ländern des Globalen Südens, aus Ländern Osteuropas, aus asiatischen und afrikanischen Ländern – im imperialen, kolonialen, neoliberalen Westen, in dem sie überhaupt erst zu Migrantinnen werden. Und als solche in jedem politischen Diskurs und an jedem Tag in der Politik an ihren Platz verwiesen. An einen Platz, der ihnen zugewiesen wird, an dem über sie gesprochen und über sie verfügt wird. Migrantinnen – deren gleichberechtigte politische, ökonomische und soziale Teilhabe das System ins Wanken bringen würde – so die Erzählung. Ein System, das genau darauf aufgebaut ist, dass nicht alle gleichberechtigt sind und das strukturell darauf schaut, dass es auch so bleibt.

Selbstorganisation ist Selbstbehauptung und ein Kraftakt und besonders dann, wenn sie Kraft entwickelt und den Raum schafft für Resonanz und für Bewegung. Der Raum, den LEFÖ mit Kraft geöffnet und befüllt hat und nun seit über 35 Jahren offen hält, ist mehr als die Orte der Organisation, die wir aufsuchen können. Das Lernzentrum, die Notwohnungen, die Beratungszimmer, die Büros, die Räume der gemeinsamen Diskussionen, der Feste und der Abschiede.

Es ist ein politischer Raum, den LEFÖ durch die Jahrzehnte geschaffen hat – kritisch, selbstbestimmt, widerständig. Krisenfest, stimmfest, felsenfest.

Ein politischer Raum vor allem (aber nicht nur) für Frauen und Migrantinnen. Ein Raum, für gegenseitige Wahrnehmung und Wertschätzung der eigenen Existenz. Für die Annäherung an einander. Für das Begleiten. Für die Trauer, den Verlust, den Schmerz. Für die Kraft, die Freude, die Zuversicht.

Den zugewiesenen Platz zu verlassen, das System zu verändern, sich selbst zu behaupten. Die Arbeit von LEFÖ über mehr als 35 Jahre.

Die patriarchalen gewaltvollen Geschlechterverhältnisse, die kapitalistischen ausbeuterischen Ungleichheiten, die rassistischen diskriminierenden Ausgrenzungen. Dies zu benennen und dabei parteilich zu sein mit jenen, die davon direkt und gezielt betroffen sind. Frauen. Migrantinnen. Illegalisierte, Marginalisierte, Stigmatisierte. Hausarbeiterinnen, Sexarbeiterinnen, Erntehelferinnen und Saisonarbeiterinnen, Tänzerinnen und Kellnerinnen, Masseurinnen, Ehefrauen, Au Pairs.

Die strukturelle Ebene aufzudecken und die Betroffenen als Akteurinnen zu zentrieren. Die Unsichtbaren sichtbar zu machen. Die Profite und die Profiteure der Doppelmoral zu entlarven. Die Verhältnisse zu erschüttern.

In den LEFÖ-Arbeitsbereichen ist es den Teams mit den jeweiligen Leiterinnen, den Mitarbeiterinnen, den Beraterinnen, den Betreuerinnen, den Praktikantinnen – und die längste Zeit unter der Gesamtkoordination der Mitgründerin Maria Cristina Boidi – gelungen, Meilensteine zu setzen.

  • ein Lernzentrum ohne Sprachfetisch
  • ganzheitliche muttersprachliche Beratung für Lateinamerikanerinnen
  • kulturelle Mediation mit Sexarbeiterinnen
  • Opferschutz für Betroffene des Frauenhandels
  • Öffentlichkeitsarbeit und politische Bildung zu den Phänomenen der Frauenarbeitsmigration


Und dabei war die Arbeit von LEFÖ immer eine vernetzte. Immer eine gemeinsame. Eine solidarische. Mit den österreichischen Frauenorganisationen, mit den Migrantinnenorganisationen in Österreich, mit den Selbstorganisationen und Vereinen in der Sexarbeit, mit den europäischen Kolleg*innen im Netzwerk TAMPEP, mit regionalen und globalen Initiativen von La Strada über GAATW.

Und dabei war die Arbeit von LEFÖ immer selbstverständlich intersektional: Frauen in all ihren Dimensionen wahrzunehmen und die Strukturen mit all ihren Auswirkungen. Und an den Schnittstellen die Momente der Kreativität, des Widerspruchs und der Ermächtigung zu entfachen.

Und dabei war LEFÖ immer auch von den politischen Gegebenheiten und Machtverhältnissen betroffen. Die Abwertung „den Frauen“ gegenüber traf alle LEFÖ-Frauen. Ganz offen – wie die „Inquisition“ durch den so genannten Euroteam-Untersuchungsausschuss zur Prüfung von Fördervergaben unter Schwarz-Blau I im Jahr 2002. Oder subtil und zermürbend – durch die Kürzung von Förderungen, verspätete Förderzusagen, fehlende Finanzierung für ganze Arbeitsbereiche, Bürokratisierungen und Kontrollen durch so genannte „Professionalisierung“ und „Qualitätskriterien“, Verschlechterungen beim Gehaltsschema, politische Diffamierungen oder das Austauschen gegen genehmere „Auftragnehmer“. Und bei all dem war LEFÖ resilient. Krisenfest, stimmfest, felsenfest.

Die Wertschätzung, die LEFÖ den Migrantinnen, den Frauen und ihren Migrationsgeschichten, ihren Erfahrungen, ihrem Wissen und ihren Entscheidungen, entgegen gebracht hat – auch die Wertschätzung kehrt zurück zu den LEFÖ-Frauen.

Die Spuren, die LEFÖ hinterlassen hat, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in die globale Geschichte feministischer Praxis eingeschrieben. Wir blicken aus verschiedenen Perspektiven darauf und tragen sie mit uns weiter. Eine Haltung und eine Positionierung.

Ich selbst durfte diese elf Jahre lang mit-gestalten, mit-erstreiten, mit-feiern, mit-vertreten, mit-erleben. Heute, zehn Jahre später, freue ich mich, euch als Nationalratsabgeordnete der Grünen und auch im Namen vieler meiner Kolleg*innen zu eurem 35jährigen Bestehen zu gratulieren. Zu eurer Selbstbehauptung. Zu unseren Annäherungen. Und den Spuren, die wir hinterlassen.