Arbeit im Umbruch.

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Am späteren Nachmittag bittet Volker Plass, Bundessprecher der Grünen Wirtschaft, den Soziologen Jörg Flecker (Uni Wien) aufs Podium. Fleckers Key Note „Erwerbsarbeit im Umbruch: Die klassische Arbeitswelt und ihre Alternativen“ wird anschließend mit Barbara Haas (WU-Wien), Wolfgang Kuttner (Uni-Kliniken Kopenhagen) und Marcel Fink (Uni Wien) diskutiert.
Alte und neue Belastungen.
„Die Arbeitswelt hat sich massiv geändert“, beginnt Flecker. Durch technischen Fortschritt und Internet sei sie intensiver, dichter und beschleunigter geworden. Arbeitsunfälle seien zwar zurückgegangen, körperliche Belastungen jedoch nicht verschwunden. Und psychische Belastungen hätten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wichtigste Ursachen: „Zeitdruck, hohe Konzentration, Technik und Lärm.“
Voller Einsatz statt Dienst nach Vorschrift.
In den vergangenen 20, 30 Jahren habe ein Wertewandel stattgefunden. Der Anspruch auf Selbstverwirklichung sei immer wichtiger geworden. Der Mensch werde als emotionales, kreatives Subjekt gesehen und nicht mehr als rationalisiertes Objekt, wie im Fordismus. Flecker: „Von den Leuten wird volles Einbringen statt Dienst nach Vorschrift erwartet.“ Sich einbringen sei zwar grundsätzlich gut, berge aber das Risiko von Selbstausbeutung und Krankheit. Architekturbranche und Projektarbeitende seien davon besonders betroffen. Intensive psychische Anspannung und hohe Konzentration über eine längere Projektdauer hinweg erhöhten das Risiko zu erkranken.
Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten.
Immer längere Arbeitszeiten und der Umstand, dass Grenzen von Arbeit und Freizeit zunehmend verschwimmen, erhöhten laut dem Experten das Krankheitsrisiko. „Bei den Überstunden ist Österreich international spitze“, sagt Flecker. Dabei würden sich von den Vollzeitarbeitenden 32 Prozent der Männer und 41 Prozent der Frauen kürzere Arbeitszeiten wünschen. Und laut einer IFES-Umfrage wollten 75 Prozent jener, die Überstunden machen, weniger arbeiten.
Dabei machen längere Arbeitszeiten nicht unbedingt krank. Vielmehr gehe es um die persönliche Balance zwischen „was bring ich ein und was krieg ich dafür?“, erklärt Flecker. Wobei das „kriegen“ sich nicht allein auf Geld beziehen müsse. „Stimmt diese Balance nicht mehr, steigt das Risiko zu erkranken.“
Arbeitslosigkeit und Nachteile für Frauen in Teilzeit.
„Weil die Konkurrenz am Arbeitsmarkt zunimmt, steigt auch die Bereitschaft mehr zu schlucken“, sagt Flecker. Mit über 400.000 Arbeitslosen hätte Österreich heute die höchsten Arbeitslosenzahlen seit den 1950er Jahren zu verzeichnen. Zudem seien wegen mangelnder Kinderbetreuung viele Frauen in Teilzeit. Flecker kritisiert, durch Teilzeit entstünden Frauen Nachteile bei Aufstiegsmöglichkeiten, Pensionshöhen und sozialer Absicherung.
Angst vor Armut und sozialem Abstieg hätten auch Menschen, die noch einen Job haben, sagt Flecker.
Die Forschung spreche neuerdings von einer „Ausweitung der Zone der Verwundbarkeit“. Damit sei gemeint, dass Menschen mit zu wenig Geld am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen können und dadurch Freunde und wertvolle Kontakte verlieren.
Zielvorstellung 30-Stunden Woche.
Flecker fasst zusammen: „Krank machen Erwerbsarbeitslosigkeit, lange Arbeitszeiten und nicht alternsgerechte Arbeit.“ Er weist auf folgende Entwicklung hin: Trotz Bildungsinvestitionen und immer höherer Qualifikationen schauten für viele nur prekäre, unsichere, schlecht bezahlte Jobs heraus. Um den Herausforderungen von Arbeitslosigkeit, Gesundheitsbelastungen, Alter, Weiterbildung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerecht zu werden, sei eine „andere Arbeitswelt“ nötig. Als Ziel fordert Flecker die gesetzliche 30-Stunden Woche für Männer und Frauen. Ferner plädiert der Wissenschaftler für mehr Gestaltbarkeit im Lebenslauf: Karenzen sollten ohne Angabe von Gründen möglich sein; auch ein Recht auf Teilzeit oder Rückkehr in Vollzeit.
Freiwillig in Teilzeit?
Barbara Haas meint, Männer hätten „zu hohe“, Frauen „zu niedrige“ Arbeitszeiten. Bei Teilzeit stelle sich die Frage nach der Freiwilligkeit: „2007, vor der Krise, war Teilzeit freiwillig.“ Seit der Krise jedoch sei Teilzeit überwiegend unfreiwillig – weil es zu wenig Vollzeitstellen gebe.
Marcel Fink kritisiert den Begriff „Freiwilligkeit“. Denn die Kategorie „freiwillig in Teilzeit“ berücksichtige etwa nicht, wenn Frauen Angehörige pflegten oder die Kinderbetreuung übernähmen. „Wie freiwillig sind diese Frauen in Teilzeit?“ Haas und Flecker räumen hier forschungstechnischen Aufholbedarf ein. Flecker ergänzt, auch aus gesundheitlichen Gründen gebe es unfreiwillige Teilzeit.
Mehr Jobs durch Arbeitszeitverkürzung?
Haas ist der Ansicht, Fleckers Vorschlag für eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung schaffe nicht unbedingt eine fairere Verteilung von Arbeit und mehr Jobs. Sie verweist auf Frankreich, wo das mit der 35-Stunden Woche nicht gelungen sei. Flecker widerspricht, in Frankreich seien durch diese Maßnahme sehr wohl mehr Jobs entstanden, bloß nicht im gewünschten Ausmaß.
„In Dänemark arbeitet man, um zu leben und man lebt nicht, um zu arbeiten“, sagt Wolfgang Kuttner und erntet Beifall. Anspruch auf Kinderbetreuung gebe es ab dem ersten Lebensjahr. Ferner seien Pensionen nicht vom Gehalt abhängig.
Voller Lohnausgleich?
Arbeitszeitverkürzung kann sich Haas nur bei vollem Lohnausgleich vorstellen. Auch Fink betont: „Welche Haushalte könnten sich sonst eine Arbeitszeitreduktion leisten?“ Selbst bei Vollzeit hätten viele nur ein sehr geringes Einkommen. Der Lohnausgleich sei eine „politische Aushandlungsfrage“, sagt Flecker. Sein Vorschlag wäre, voller Lohnausgleich für niedrige Einkommen, mittlerer für mittlere, und für höhere Einkommen solle es gar keinen Ausgleich geben.
Grundeinkommen?
Gegen Ende meldet sich ein Zuhörer zu Wort: „Das Problem ist das Einkommen, nicht die Arbeitszeit.“ Sein Lösungsvorschlag: ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Publikum applaudiert, am Podium gehen die Meinungen auseinander. So sieht Haas im Grundeinkommen eine Gefahr für Frauen, für die es dann heißen könnte: „Jetzt könnt ihr pflegen!“ Weibliche Selbstbestimmung sei nach Haas´ Meinung aber nur über Erwerbsarbeit möglich.
Fink plädiert dafür, zuerst einmal die Verwerfungen im aktuellen System abzuschaffen, statt Energie in ein utopisches Grundeinkommen zu stecken, das politisch nicht durchsetzbar sei.
Aber träumen ist natürlich erlaubt.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und São Paulo studiert. Sie ist Chefin vom Dienst und Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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Grüne Wirtschaft
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