Arbeit und Alter.
GBW
Kurz nach 14 Uhr geht es los. Klaudia Paiha, Bundessprecherin der AUGE/UG (Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen) und Fraktionschefin in der Arbeiterkammer Wien sowie Bundessekretärin der Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB stellt sich dem interessierten Publikum vor. Seit 17 Jahren sei sie im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) beschäftigt, davor habe sie als Tischlerin gearbeitet und später eine Ausbildung zur Akademischen NPO-Managerin absolviert. „Dazwischen habe ich auch Hilfsarbeiterjobs gemacht, journalistisch gearbeitet und Phasen der Erwerbslosigkeit erlebt“, sagt sie, und kommt auf die aktuellen Arbeitslosenzahlen zu sprechen. „Im März 2015 haben wir knapp 430.000 Erwerbsarbeitslose in Österreich.“ Die Gruppe 50 plus sei mit 102.000 Personen besonders stark betroffen. Das sei ein Zuwachs von 10 Prozentpunkten gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. In keiner anderen Gruppe sei die Arbeitslosigkeit so stark angestiegen. Auch Länge und Häufigkeit der Arbeitslosenphasen seien bei den 55- bis 65-Jährigen am höchsten, am allerhöchsten bei jenen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Daher müsse die Frage gestellt werden, ob es angesichts dieser Entwicklungen sinnvoll ist, das Pensionsantrittsalter zu erhöhen.
Pensionsalter rauf? Alternsgerecht versus altersgerecht.
Das Antrittsalter zu erhöhen, sei laut Paiha keine Lösung des Problems. Viel wichtiger sei es, die Menschen gesund im Erwerbsleben zu halten. Das gelinge vor allem durch „alternsgerechte“ Arbeitsplätze, die von kürzer greifenden „altersgerechten“ zu unterscheiden sind.
„Alternsgerechte Arbeitsplätze ermöglichen es von Anfang an, gesund in Erwerbsfähigkeit zu altern“, erklärt Paiha. Es handle sich dabei um gesundheitserhaltende und -fördernde Arbeitsplätze.
Hingegen umfasse „altersgerecht“ lediglich dem Alter angepasste Arbeitsplätze und -bedingungen hinsichtlich Arbeitsanforderungen, -zeit und -inhalten.
Ältere leisten nicht weniger.
Studien zufolge werde die Arbeitsleistung älterer Menschen nicht geringer, sie verschiebe sich nur, sagt Paiha. Unter anderem zeichnen folgende Qualitäten ältere Arbeitnehmer*innen aus: mehr betriebsspezifisches Wissen, größere Zuverlässigkeit sowie Besonnenheit, bessere Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, höheres Qualitätsbewusstsein, mehr Arbeits- und Lebenserfahrung.
Gesundheitsfördernde Arbeitsplätze.
Laut dem HWI – Human Work Index (1) – seien folgende drei Kriterien für gesundheitsfördernde Arbeit ausschlaggebend: Arbeitsbewältigung, Arbeitsinteresse (Sinn!) und die Zusammenarbeitszufriedenheit. „Je besser der HWI erfüllt ist, umso weniger wollen Menschen in Pension gehen oder kündigen.“
Fördern lasse sich die Arbeitsfähigkeit etwa durch ergonomische Arbeitsmittel, einen positiv empfundenen Führungsstil durch Management und Vorgesetzte und eine angenehme Arbeitsumgebung. „Gute Arbeit – gute Gesundheit – gutes Leben“ steht auf Paihas Präsentationsfolien. Gebe es keine oder zu wenig Freiräume für Familie und persönliche Bedürfnisse, würden die Menschen krank.
(Work)-Life-Balance.
Die vielzitierte Work-Life-Balance lasse sich grob in drei Dimensionen unterteilen: erstens persönlichkeitsfördernde Gestaltung der Arbeit und Handlungsspielräume, zweitens lebensfreundliche Arbeitszeiten und drittens lebensfreundliche Arbeitsorte.
„Österreich liegt hinsichtlich Selbstgestaltungsmöglichkeiten im EU-Vergleich an vorletzter Stelle“, kritisiert Paiha, „vor Deutschland.“ Dabei sei individuelle Mitgestaltung am Arbeitsplatz besonders wichtig und gesundheitsfördernd, und zum Beispiel durch geringfügig flexiblere Beginnzeiten oft schon sehr viel gewonnen.
ANDERES ARBEITEN:
Die AUGE/UG setzen sich für anderes Arbeiten ein, mit mehr Mitbestimmung. So sollten Chefs und Vorgesetzte von den Mitarbeiter*innen gewählt werden können. Selbstverwaltung und genossenschaftliche Organisation würden mehr Mitsprache garantieren. Ferner sollte solidarisch statt egoistisch gewirtschaftet werden und Betriebe müssten Sozial-, Umwelt-, und Gleichstellungsbilanzen ausweisen.
Paiha weist darauf hin, dass es neben dem Erwerbsarbeiten auch noch Arbeit im Non-Profit-Bereich (z.B. Vereine, Bürger*innen-Initiativen, Gewerkschaft, politische Gruppierungen, Kultur), Eigenarbeit (z.B. Haushalt, Familie), Arbeit an der eigenen Persönlichkeit (z.B. Lesen, Nachdenken, Zeit in der Natur) und das „Nichts-Tun“ gibt. Letzteres sei vor allem durch die Unterlassung von Zerstörung positiv besetzt.
30-Stunden-Woche bei Lohnausgleich!
Die Gewerkschafterin plädiert für eine lebensfreundliche Arbeitszeit, die sich auch an den unterschiedlichen Lebensphasen orientieren soll. „Wir fordern eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche!“ Eine entsprechende Kampagne gebe es bereits und am 18. Mai finde eine Enquete im Parlament statt. Wichtig sei ihr bei dieser Forderung auch eine tägliche Arbeitszeitverkürzung auf 6 Stunden, „weil jeder Mensch bestimmte Verrichtungen nun einmal jeden Tag machen muss“ und dafür schlicht mehr Zeit notwendig sei. Den zwingend erforderlichen vollen Lohnausgleich müssten die Unternehmen bezahlen. Denn in den letzten Jahrzehnten sei die Produktivität massiv gestiegen – bei gleichzeitig immer weniger Mitarbeiter*innenzahlen, mit immer höherer Belastung und Arbeitsdichte für Mitarbeitende.
750 Euro Grundpension.
Afra Margaretha von der Initiative Grüne SeniorInnen (IGS) und Bezirksrätin sowie BezirksseniorInnenbeauftragte in Wien Neubau erklärt in ihrem Vortrag das Grüne Modell einer Grundpension aus Steuergeldern in Höhe von 750 Euro. Zurzeit gebe es viele Menschen, insbesondere Frauen, die mit ihrer Pension weit unter diesen 750 Euro liegen und davon kaum leben könnten. Sie müssten dann entweder weiterarbeiten oder hoffen, Anspruch auf Sozialleistungen zu haben. Im Grünen Modell würden erworbene Pensionsansprüche zu den 750 Euro Grundpension dazu addiert bis zu einem Deckel bei circa 3.000 Euro.
Ungerecht verteilte Steuerzuschüsse.
„In Österreich haben wir eine Mischform des Pensionssystems aus Versicherungs- und Umlagesystem sowie Steuerzuschüssen“, sagt Margaretha. „Zwei Drittel aller Pensionen werden von der erwerbstätigen Bevölkerung erbracht, ein Drittel wird aus Steuergeldern zugezahlt.“ Doch die Steuerzuschüsse seien „extrem ungerecht“ verteilt. So würden vor allem Beamten- und Bauernpensionen überproportional aus Steuerzuschüssen gespeist, während ASVG-Versicherte davon am wenigsten bekämen.
Im Publikum fragt eine Frau, warum man statt dem Versicherungssystem nicht alle Pensionen zur Gänze aus Steuern finanzieren könnte. Paiha weist hier auf die Gefahr hin, dass rein steuerfinanzierte Pensionen noch viel leichter Budgetkürzungen zum Opfer fallen könnten als im jetzigen System der Fall.
Ageismus (Altersdiskriminierung).
Ein Pensionist wirft die Frage auf, wie man mit dem wiederkehrenden Vorwurf umgehen solle, die Alten würden den Jungen die Jobs wegnehmen. Dazu meint eine Frau, ebenfalls im Publikum: „Bist in Pension, liegst der Gesellschaft auf der Tasche. Arbeitest, heißt es, du nimmst jemand den Arbeitsplatz weg.“ Man könne es sowieso nicht recht machen. Auf derartige Ageismen dürfe man sich gar nicht erst einlassen, vielmehr solle man Solidarität leben.
Damit geht eine spannende Kooperationsveranstaltung zwischen GBW Wien und der Initiative Grüner SeniorInnen zu Ende. Das Thema „Arbeit und Alter“ wird uns noch länger beschäftigen, das nächste Mal am 29. April im Depot.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und São Paulo studiert. Sie ist Mitglied und Chefin vom Dienst des GBW-Redaktionsteams.