Aufbruch der Frauen.

Am späteren Nachmittag begrüßt Ewa Dziedzic, Sprecherin der Grünen Frauen Wien und Veranstaltungsmoderatorin, das interessierte Publikum im Kinosaal. Trotz der ersten Frühlingssonnenstrahlen haben viele den Weg ins Künstlerhaus gefunden, unter ihnen auch Regisseur Walter Wehmeyer. Seine Filmdoku hat heute Kinopremiere in Österreich und wird als Abschlussveranstaltung rund um den Internationalen Frauentag am 8. März gezeigt.
1848-1934: Erste österreichische Frauenbewegung.
Die Doku beginnt mit der Situation der Frauen im vorletzten Jahrhundert: Ende des 19. Jahrhunderts waren gebildete Frauen zuständig für die Kreativität in den Salons, hatten sonst aber kaum Rechte, geschweige denn die Möglichkeit, selbstbestimmt einer Arbeit ihrer Wahl nachzugehen. Bereits 1848 kam es zum ersten politisch organisierten Aufstand von Frauen. Karoline von Perin, die Pionierin der österreichischen Frauenrechtsbewegung, und ihr Gefährte Julius Becher forderten damals demokratische Rechte für Frauen und die soziale Gleichstellung von Arbeiterinnen gegenüber männlichen Arbeitern. Während der „Praterschlacht“ Revolution wurden 18 Menschen getötet und rund 280 verwundet, darunter viele Frauen. Daraufhin gründete Perin den ersten „Wiener demokratischen Frauenverein“. Sie und ihr Gefährte wurden verhaftet, und man entzog Perin die Vormundschaft für ihre Kinder.
Der Film begleitet fortan die Foto- und Performancekünstlerin Irene Andessner während ihrer Arbeit für die Ausstellung „Citylights [Wiener Frauen]“. Durch ihre Portraitfotokunst erweckt Andessner acht prägende Frauen der ersten österreichischen Frauenbewegung und deren Schicksale wieder zum Leben:
Marianne Hainisch (1839-1936) setzte sich als Gründerin von Frauenvereinen und der Frauenbewegung für gleichberechtigte Bildungsmöglichkeiten und Erwerbsvoraussetzungen von Frauen ein. Unter anderem forderte sie Mädchengymnasien, bis 1892 schließlich das erste im deutschsprachigen Raum in der Wiener Rahlgasse eröffnet wurde. Die Schulgründerin Hainisch ermöglichte so durch ihr unermüdliches Engagement Frauen den Zugang zu einem Hochschulstudium.
Irma von Troll-Borostyáni (1847-1912) aus Salzburg schnitt sich mit 17 die Haare ab, mit 23 ging sie nach Wien. Die zukünftige Frauenrechtlerin wollte Schauspielerin werden, aber ihre Brüder verboten es ihr. In Wien hielt sie sich als Journalistin über Wasser und strich in Männerkleidern durch zwielichtige Viertel. Sie kämpfte dafür, Frauen ihre Berufswünsche zu ermöglichen, damit sie nicht unfreiwillig in die Prostitution abdrifteten. Weitere Anliegen waren ihr Frauenbildung und die Gleichstellung zwischen Mann und Frau in der Ehe. Sie schrieb über die Ehe als Besitzverhältnis und ein Buch: „Hunger und Liebe“.
Erst seit 1989 ist in Österreich Vergewaltigung in der Ehe strafbar.
Bertha von Suttner, geborene Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau (1843-1914) war Schriftstellerin, Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin.
1889 erschien ihr berühmter Roman „Die Waffen nieder“. Bereits 1892 propagierte sie auf dem Weltfriedenskongress die Gründung eines Europäischen Staatenbundes und setzte sich damit für die Idee eines vereinten Europa ein. 1905 erhielt sie schließlich als erste Frau einen Nobelpreis. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges starb die Friedensnobelpreisträgerin, deren Forderung war, Krieg als politisches Mittel fallenzulassen.
Bertha Pappenheim (1859-1936) aus Wien widmete ihr Leben dem Kampf gegen Frauen- und Mädchenhandel. 1888 zog sie nach Frankfurt am Main und eröffnete ein Mädchen- und Waisenheim, um Mädchen vor Prostitution und Menschenhandel zu schützen. 1930 erschien ihre umfassende Studie über Mädchenhandel und Prostitution in Osteuropa und dem Orient.
Heute gelten immer noch 140.000 Menschen in Europa als versklavt und verschleppt, informiert die Doku.
Alice Schalek (1874-1956) war Journalistin und erste weibliche Kriegsberichterstatterin. 1915 berichtete sie über die Kämpfe in den Dolomiten, den Serbienfeldzug und die Isonzofront. Sie schrieb 30 Jahre lang für die „Neue Freie Presse“ und wurde als erste Frau in den Presseclub Concordia aufgenommen. Die fremdsprachenbegabte Wienerin traf internationale Feministinnen und hat durch ihre Fotografien unter anderem auf die qualvolle Füße-Verstümmelung von Chinesinnen aufmerksam gemacht.
Adelheid Popp (1869-1939) musste als Arbeiterkind die Schule nach nur drei Jahren verlassen und in einer Fabrik arbeiten. Ihre Brüder nahmen sie zu Arbeiterversammlungen mit, was ihr Interesse für die Sozialdemokratie und die Situation der Arbeiterinnen weckte. Sie war Mitbegründerin der Arbeiterinnen-Zeitung und erste weibliche Parteiangestellte in Österreich. Als Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin saß sie im Nationalrat und forderte gleiches Einkommen für Frauen und Männer.
Ida Pfeiffer (1797-1858) war Weltreisende und Reiseschriftstellerin. Als Kind und junges Mädchen lehnte sie – geprägt vom männlich orientierten Erziehungsstil des Vaters und durch den Umgang mit ihren fünf Brüdern – Mädchenkleidung und -fertigkeiten wie Klavierspiel, Kochen und Handarbeit ab. Lieber verschlang sie Reiseberichte. Als sie und ihr Hauslehrer sich ineinander verliebten, untersagte die Mutter eine Heirat. Stattdessen musste Ida in eine Vernunftehe mit dem situierten Anwalt Mark Anton Pfeiffer einwilligen. Erst mit 44, als ihre Söhne erwachsen waren, konnte sie ihren Lebenstraum verwirklichen: das Reisen in ferne Länder. So bereiste sie Ägypten, Brasilien, Indien, China, Tahiti, Sumatra. Unbedingt wollte sie auch nach Madagaskar, eine enorme Herausforderung, die sie letztlich mit dem Leben bezahlte. Sie starb in Wien an den Folgen einer schweren Malaria.
Über ihre Reisen und Lebenserinnerungen schrieb sie viele, erfolgreiche Bücher – nach damaligem Recht von Brüdern und Ehemann zensuriert.
Irene Harand (1900-1975) lebte bis zu ihrem 27. Lebensjahr apolitisch, bevor sie zur Kleinrentnerbewegung stieß und sich dort für Kriegs- und Inflationsentschädigung der Menschen engagierte. Ihr Kampf galt in der „Österreichischen Volkspartei“ dem Rassen- und Klassenhass sowie dem Antisemitismus. 1933 gründete sie die „Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot“, bald nur mehr als „Harand-Bewegung“ bekannt. 1935 veröffentlichte die unerschrockene Widerstandskämpferin das Buch „Sein Kampf – Antwort an Hitler“. Sie gehörte zu den von den Nationalsozialisten meistgesuchten Menschen (100.000 Reichsmark Kopfgeld). Harand war der Meinung, die Schande sei nicht Hitler, sondern seien wir, die ihn nicht verhindert hätten. Sie starb 1975 in New York.
Frauenwahlrecht 1919.
1911 wurde zum ersten Mal der Internationale Frauentag ausgerufen mit der Hauptforderung des Wahlrechts für Frauen. Doch erst Ende 1918 erhielten Frauen in Österreich das Wahlrecht und konnten davon erstmals bei den Wahlen im Februar 1919 Gebrauch machen. Davor herrschte zur geistigen und seelischen Verfassung von Frauen die Ansicht, diese seien hysterische Maschinen mit geringer, intellektueller Leistung.
Auch Sandra Frauenberger, Wiener Stadträtin für Frauenfragen, kommt im Film zu Wort und bemerkt: Frauen seien heute besser ausgebildet denn je, jedoch spiegle sich das nicht in den Führungspositionen wider.
PODIUMSDISKUSSION:
Nach dem Film übernimmt wieder Ewa Dziedzic und kritisiert: „In Österreich herrschen derzeit immer noch 23 Prozent Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen. In Europa ist damit nur Estland noch schlechter als Österreich.“ Dann leitet sie zur Podiumsdiskussion über und bittet drei Frauen auf die Bühne: Melitta Matousek, Wirtschaftspädagogin und Archivforscherin, Ilse Rollett, Direktorin der AHS Rahlgasse, dem ersten Wiener Mädchengymnasium, und Petra Unger, Genderexpertin, Kulturvermittlerin und Gründerin der Frauenstadtspaziergänge in Wien. Dziedzic fragt, warum Matousek diesen Film an ihrer Schule zeigt. Matousek, die an einer BHS unterrichtet: „Weil Kunst verändern kann und wichtige Anliegen dadurch ins Bewusstsein rücken.“ Außerdem habe sie an ihrer Schule bemerkt, dass sich zu SchulsprecherInnenwahlen immer nur Buben gemeldet hätten. Sie selbst sei dann in die Klassen gegangen und habe Mädchen zur Kandidatur ermutigt. Mit Erfolg.
Rollett erklärt, sie wurde nicht zufällig Direktorin in der frauenhistorisch bedeutsamen Rahlgasse. Vielmehr komme sie ursprünglich aus der feministischen Erwachsenenbildung. Politisches und feministisches Bewusstsein seien ihr wichtig. Leider hielten sich Errungenschaften aber nicht von selbst. Daher sei eines ihrer Anliegen als Schuldirektorin, Bewusstsein für feministische Themen zu schärfen. Zum diesjährigen Internationalen Frauentag am 8. März gab es an ihrer Schule eine Podiumsdiskussion „Feminismus heute“.
„Und wo stehen wir heute?“
Damit wendet sich Dziedzic an Unger. Diese meint, wir stünden am Punkt der „rhetorischen Emanzipation der Männer“: Gebildete Männer wüssten, wie sie tun und reden sollen, aber nach ein paar Bier und in den Firmenhierarchien schaue es anders aus. Dafür erntet Unger vom Publikum Beifall. „Wir müssen ständig darauf achten, Rückschritte abzuwehren.“ Gewalt an Frauen, Sexismus, Schwangerschaftsabbruch, diese Themen seien immer noch schwierig. Ebenso beobachte sie einen Rückwärtstrend in den Religionen. Positiv hingegen sehe sie, dass Institutionen für Frauen strukturelle Fortschritte gebracht hätten und laufend bringen.
Bildung.
Mädchen und junge Frauen seien so gut wie nie zuvor ausgebildet, hätten inzwischen höhere Bildungsabschlüsse als Männer. „Warum spiegelt sich das in Wissenschaft und Wirtschaft nicht wider?“, fragt die Moderatorin. Matousek beobachtet bei den Mädchen einen „Rückgang des Kampfgeistes“. Diese würden immer noch beziehungsweise wieder vermehrt auf den Traumprinzen warten. Damit Frauen auch in gehobenen Positionen sichtbar würden, brauche es vor allem Frauensolidarität.
„Wir müssen weg von Geschlechterstereotypen“, weg davon, was ein „richtiger“ Mann, eine „richtige“ Frau sei, fordert Unger. Die Frauenbewegungsgeschichte müsse verstärkt ins Bewusstsein gerückt werden. Sie gehöre standardmäßig in Büchern verankert, denn zurzeit wüssten nur Historiker und Wissenschaftler Bescheid.
Rollett sieht vor allem nach der Ausbildung, also im Erwerbsleben, Probleme für Frauen: „In der Krise werden zuerst die Frauen wieder heimgeschickt.“
Was ist noch zu tun?
Bei den aktuellen Herausforderungen ist sich das Podium einig: aufklären, hartnäckig am Feminismus dranbleiben, Verächtlichmachungen aufzeigen und mehr Solidarität. Matousek betont zusätzlich den Aspekt von Sprache: (Schul-)Bücher sollten jedenfalls gegendert werden und Textbeispiele alle Geschlechter und Lebenswelten widerspiegeln. Der Wirtschaftspädagogin ist außerdem wirtschaftliche Bildung von Mädchen ein Anliegen: „Mädchen sollen ihre Rechte kennen, einen Mietvertrag verstehen, über Zahlscheine und Steuern Bescheid wissen.“
Damit geht eine lebendige Diskussion zu Ende und Ewa Dziedzic lädt das Publikum ein, einen Stock tiefer bei Musik und kulinarischen Häppchen den Frühling zu begrüßen. Bevor die Hintergrundgespräche mit den Filmschaffenden beginnen.
Hintergrundgespräche.
Die Eindringlichkeit des Themas – das unterstrich Regisseur Walter Wehmeyer – wird durch die Interviews mit den Ur-Enkelinnen von Marianne Hainisch, mit Brigitte Hamann, Gabriella Hauch, Elke Krasny, Christian Klösch, Verena Stagl, Brigitta Strohmaier und Gudrun Wolfgruber einerseits und andererseits durch die Fotos und Tagebuchaufzeichnungen der Protagonistinnen unterstrichen. Hartnäckigkeit – so wie in der Podiumsdiskussion davor angesprochen – führte auch hier zum Ziel, nämlich einer wunderschönen Film-Komposition: Irene Suchy, Vorstand von maezenatentum.at überzeugte Gabriele Proy den Kompositionsauftrag zum Film anzunehmen, Irene Andessner konnte eine Firma als Sponsor gewinnen und Benjamin Epp, der Kameramann, setzte schließlich Walter Wehmeyers Vorstellungen ideal um. Komponistin Gabriele Proy betont den kreativen Schaffensprozess – „besonders Pausen waren Walter wichtig“ – , Irene Andessner brachte durch ihre künstlerische Darstellung bisher unbekannte Frauen ans Licht und Regisseur Walter Wehmeyer sieht den eher ruhig geschnittenen Film dennoch als einen, der die Spannung bis zum Schluss hält. Zur Sprache kamen aktuelle Herausforderungen, die Frauen – und auch Männer – bis heute besonders bei künstlerischen Projekten überwinden müssen: die Finanzierung trotz allgemeiner Sparpolitik auf die Beine stellen zu können, Empfehlungen für nächste Aufträge zu erhalten und zu nützen sowie Menschen zur Mitarbeit bei künstlerischen Performances zu gewinnen. In ihren aktuellen Projekten – Film über Lina Loos, Auftragskompositionen für ein Damen-Quartett und die Performance über KünstlerInnen und Kulturschaffende, die vor etwa 100 Jahren lebten – beschäftigen sich alle drei wieder mit Frauenthemen.
Die Veranstaltung war eine Kooperation der Grünen Frauen Wien, der Grünen Bezirksorganisationen 1, 2, 3, 4, 5, 8, 9 und 22, sowie der GBW Wien.
Links.
Walter Wehmeyer Filmproduktion
Trailer
Irene Andessner
Citylights [Wiener Frauen]
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und São Paulo studiert. Sie ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams. Hintergrundgespräche von Melitta Matousek, Studium der Handelswissenschaften und Wirtschaftspädagogik in Wien und Genf, Forscherin in Archiven, Autorin von Fachbeiträgen.