Ausspioniert – zum „Schutz“ der Bürger*innen.
„Seit NSA und Edward Snowden ist das Thema Staat und Überwachung wieder verstärkt ins Zentrum gerückt“, eröffnet Marco Schreuder, Bundesrat und netzpolitischer Sprecher der Grünen, die Veranstaltung. Er wird als Moderator durch den Abend führen und stellt sogleich das Podium vor:
Michael Renner, unschuldig Betroffener von staatlicher Überwachung, Albert Steinhauser, Parlamentsabgeordneter, Justiz- und Datenschutzsprecher der Grünen, und Twister (Bettina Hammer), Journalistin und Bürgerrechtsaktivistin.
Die Amtshandlung.
Am 26. Jänner 2012 klopft es in der Früh an der Wohnungstür des Wiener Informatikers Michael Renner. Ein dreizehnköpfiges Einsatzkommando – uniformierte, maskierte und zivile WEGA-Beamte, BVT-Beamte und ein fingiertes Installateurs-Duo – steht mit einem Hausdurchsuchungsbefehl vor der Tür. „Als ich das Aufgebot an Beamten gesehen habe, habe ich mich gleich wieder sicherer gefühlt“, sagt Renner, aus der Distanz bemüht um Humor. Doch lustig war all das nicht. „Anfangs wusste ich gar nicht, was mir vorgeworfen wurde. Erst einen Monat nach der Amtshandlung bekam ich Akteneinsicht.“ Renner wurde Wiederbetätigung vorgeworfen. Darauf stehen ein bis zehn Jahre Gefängnis. „Ich habe mir einen Anwalt besorgt.“
Seine IT-Arbeitsgeräte hatten die Beamten übrigens nicht beschlagnahmt. „Nur meine Telefonkontaktliste sollte ich ihnen auf einen USB-Stick kopieren.“
Zufällig Pech gehabt?
Warum Wiederbetätigung und wie war der Verdacht auf Renner gefallen? Die Behörden dachten, Renner sei „the dude“, ein führender Kopf von Anonymous Austria, dem man vorwarf, Ziele der NSDAP beziehungsweise ihrer Einrichtungen propagiert und somit gegen das Verbotsgesetz verstoßen zu haben. „Ein sieben Jahre altes Bild von mir fand sich in der website-Bildgalerie von the dude“, sagt Renner. Ferner hatte the dude behauptet, Kontakte zur Polizei zu haben. Zufällig ist Renner auf google + mit einem Polizisten befreundet. Das reichte im Wesentlichen aus, ins Visier der Behörden zu geraten. Pech gehabt.
Letztlich wurde das Verfahren eingestellt. Geblieben sind Renner 3.000 Euro Anwaltskosten, Verdienstentgang und Nervenaufreibung. Dieses Erlebnis habe ihn politisiert, sagt Renner. Er ging mit seinem Fall an die Öffentlichkeit.
Vernetzung.
Schreuder weist darauf hin, dass weltweit gesehen jeder mit jedem über nur sechs Ecken bekannt sei. „Welche Probleme ergeben sich daraus?“ Dazu Twister: „Viele Verknüpfungen und Vernetzungen entstehen durch Zufall.“ Bei den Behörden passiere aber nichts aus Zufall. „Behörden haben Vorurteile, weil sie ja schon nach etwas Bestimmtem suchen“, eine heiße Spur verfolgen. Zudem seien sie technisch nicht versiert. Außerdem gibt Twister hinsichtlich Facebook-Postings, Twitter-Meldungen oder Foreneinträge zu bedenken: „Was heute noch ok ist, kann morgen schon verboten sein.“ Und problematisch werden.
Verzeihen, Toleranz, Kontrolle.
Daher sei auch eine neue Kultur des Verzeihens und der Toleranz wichtig, betont die Journalistin. Sie kritisiert, viele Menschen verstünden gar nicht, wie sie der Datenschutz betrifft und welche psychosozialen Folgen es geben könnte. Zum Beispiel wenn (potentielle) Arbeitgeber auf Twitter-Meldungen, Postings oder Facebook-Partyfotos stoßen. Die Parteien hätten eine öffentliche Diskussion und Aufklärung darüber versäumt – „und zwar bevor einem die Behörden die Wohnung auf den Kopf stellen.“
Besonders kritisch sei, dass niemand die Kontrolle darüber hat, was ein anderer mit E-Mails oder geposteten Fotos, auf denen man vielleicht nur zufällig drauf ist, anstellt. „Schon allein aus Selbstschutz muss man sich um Datenschutz bemühen.“
Die Gesetze zum „Schutz“ der Bürger.
Laut Steinhauser hat sich die Gesetzeslage seit 9/11 massiv verschärft. Immer öfter würden unter dem Titel „Kampf gegen den Terror“ die Grund- und Bürger*innenrechte ausgehöhlt, die Überwachungsmöglichkeiten ausgebaut. „2001 wurde der Lauschangriff ins Gesetz geschrieben, 2002 sind die Antiterrorgesetze – eine scharfe Waffe der Justiz – gekommen“, berichtet der Abgeordnete. Im Dezember 2007 kam schleichend und über Nacht, „um sich die Empörung zu ersparen“, das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) mit Auskunftspflichten für Telekommunikationsanbieter. 2011 wurde das Terrorpräventionsgesetz beschlossen. Und seit April 2012 gibt es die Vorratsdatenspeicherung (VDS) – eine präventive Bürger*innenüberwachung im Rahmen des SPG. Dabei werden sämtliche Handy- und E-Mail-Daten aller Bürger*innen, sprich wann sie mit wem telefoniert oder wem sie wann eine E-Mail oder SMS geschickt haben, präventiv für sechs Monate gespeichert.
Scheinargumente, Evaluierung – eine fragwürdige Bilanz.
Steinhauser zufolge wurde die VDS mit dem Argument eingeführt, es brauche Instrumente gegen Terrorismus und schwerste Straftaten. Nach seinen parlamentarischen Anfragen zeigen die Zahlen aber, dass die VDS vor allem bei Diebstahl zur Anwendung kommt: „Die meisten Abfragen der Vorratsdaten hat es nicht bei den schwersten Verbrechen, Terrorismus oder Mord gegeben, sondern bei Diebstahl (106) oder Stalking (36)“, sagt Steinhauser. Im ersten Jahr nach der Einführung gab es in 312 Fällen Auskunft über die Vorratsdaten. Bei 438 Delikten wurden die Vorratsdaten abgefragt. Bis heute sei nur in einem Fall von Terror abgefragt worden. Daher stehe das Zugriffsrecht auf Millionen Daten in einem starken Missverhältnis zum „Erfolg“ des Eingriffs.
Besonders kritisch beurteilt der Datenschutzsprecher den Terror- und Mafiaparagraph, weil bereits eine Unterstellung genügt. „Wie oft, glauben Sie, wurde der in den letzten zehn Jahren angewendet?“, fragt Steinhauser das Publikum. „Einmal“, sagt jemand, „500mal“ ein anderer, „800mal“, meint eine Frau. Die Antwort: „Über 10.000mal und in 70 Prozent der Fälle wurde das Verfahren eingestellt.“ Insgesamt gab es 26.000 Grundrechtseingriffe in den letzten zehn Jahren „wegen Bildung einer kriminellen Organisation“, ergänzt der kritische Experte.
11.139 Kläger*innen.
Inzwischen befasst sich der EuGH mit der VDS, so Renner: „Es wird geprüft, ob die Vorratsdatenspeicherung mit den Menschenrechten vereinbar ist.“
„11.139 Bürger*innen haben in Österreich beim Verfassungsgerichtshof gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt“, informiert Steinhauser. Dies sei die größte Verfassungsklage der zweiten Republik. Der VfGH hat den EuGH eingeschaltet, weil er Zweifel hatte. „Vor dem Sommer war der erste Verhandlungstag. Die Auseinandersetzung verläuft durchaus kritisch“, bemerkt Steinhauser positiv.
Kritische Schlussworte.
„Man verändert sein Sozial- und Kommunikationsverhalten, wenn man weiß, dass man überwacht wird“, sagt Steinhauser. Das ist kritisch zu sehen, denn die Privatsphäre gehört geschützt.
Renner kritisiert, dass die Gesetze komplett an der Zivilgesellschaft vorbeigeschleust wurden. Das dürfe in Zukunft nicht mehr passieren.
Und Twister verlangt eine exakte und ausführliche Evaluierung: „Was hat´s gebracht? Hilft´s was? Können wir es entsorgen?“
Abschließend betont Steinhauser, Grundrechte müsse man sich erkämpfen. Mit der Einstellung „ich kann eh nichts machen“ könne man auch nichts erreichen.
Links.
Blog Albert Steinhauser
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.