Bericht aus einer anderen Welt, die unsere eigene ist.
GBW
Man sieht Emmanuel Mbolela seine Geschichte nicht an. Freundlich lächelnd sitzt er neben Alev Korun, der Grünen Sprecherin für Menschenrechte, Migration und Integration und seinem Übersetzer Dieter Behr. Mit Behr tourt der gebürtige Kongolese durch Österreich, um sein Buch „Mein Weg vom Kongo nach Europa“ vorzustellen. Auf Einladung des Grünen Parlamentsklubs und der Grünen Bildungswerkstatt Minderheiten gastierten die beiden am 17. Juni im Parlament. Der adrette Mbolela würde zweifelsohne als Staatsgast durchgehen. Seine Geschichte zeugt jedoch von Diskriminierung, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit.
Armut im Reichtum.
Die Demokratische Republik Kongo ist ein großes, reiches Land: Viermal die Fläche Frankreichs, voller wertvoller Bodenschätze und natürlicher Vielfalt. Die Realität der Menschen ist eine andere: bittere Armut, Mangel am Nötigsten und ein nicht enden wollender Bürgerkrieg. Mbolela erklärt diesen Widerspruch mit der Politik.
Als der Kongo 1960 die Unabhängigkeit von Belgien erlangte, wurde der Fürsprecher der Armen, Patrice Lumumba, erster Ministerpräsident. Das Militär verhaftete den Unabhängigkeitskämpfer jedoch schon bald und ermordete ihn nach zwischenzeitlicher Flucht. 1965 putschte sich Joseph Mobutu an die Macht, gab das Zepter in 32 Jahren Einparteiendiktatur und Personenkult nicht aus der Hand. Unter diesem „blutigen Diktator“, so Mbolela, florierte die Korruption, während das Leben der breiten Masse im Argen lag.
Die Situation verbesserte sich kaum, nachdem Mobutu 1997 entmachtet worden war. Seither regierten Laurent-Désiré Kabila und nach dessen Ermordung 2001 sein Sohn Joseph den Kongo.
Der Weg beginnt im Gefängnis.
Emmanuel Mbolela engagierte sich als Student in der Oppositionsbewegung UDPS (Union pour la Démocratie et le Progrès Social). Trotz des Risikos, erzählt er, konnte er nicht einfach die Hände verschränken und nichts tun. 2002 war er im „interkongolesischen Dialog“ aktiv und organisierte Protestmärsche. Sehr zum Missfallen des Staatschefs Kabila, der die Polizei auf seine eigene Bevölkerung schießen ließ. Auf einer pazifistischen Demonstration wurden so zwei Freunde Mbolelas ermordet. Aktivist*innen wurden verfolgt und ins Gefängnis geworfen. Die Haft war katastrophal, nicht alle überlebten. Mbolela selbst kam frei, musste jedoch ins Exil.
Und endet in Ausbeutung.
Seine erste Station war das benachbarte Kongo-Brazzaville. Dort sind Flüchtlinge jedoch permanent von Abschiebung bedroht. Mit Lastwagen und teilweise zu Fuß setzte Mbolela seinen Weg fort, reiste über Kamerun, Benin, Burkina Faso, Mali und Algerien nach Marokko. Der Flüchtling durchlebte unmenschliche Erfahrungen: Von Hunger und Durst gepeinigt, abhängig von der Willkür der Schlepper, malträtiert und bestohlen von bewaffneten Banden. In Algerien war es Flüchtlingen verwehrt, Wohnungen zu mieten. Sie schliefen versteckt im Wald. Sogar als Mbolela in Marokko vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) Asylstatus zugesprochen bekam, verbesserte sich seine Situation nicht. Denn Marokko erkennt diesen Befund nicht an. Obwohl das UNHCR Mbolela das Recht auf Asyl bescheinigte, konnte er selbiges hier nicht erlangen. Ausgerechnet Ex-Diktator Mobutu hatte jedoch seine letzten Lebensmonate in unbehelligtem marokkanischem Exil verbracht. Flüchtlinge wie Mbolela mussten hingegen mit der Angst vor Abschiebung leben und hatten weder Zugang zu Spitälern noch Schulen. Die Polizei führte gezielt Razzien durch und ließ sich weder von UNHCR-Papieren noch von Geboten der Menschlichkeit aufhalten. So erzählt Mbolela sichtlich berührt, dass sogar eine Mutter mit einem Neugeborenen nach einer Razzia „in die Wüste“ geschickt wurde.
Nach vier Jahren fand er über das UNHCR in den Niederlanden Asyl, wo er mittlerweile seit sechs Jahren lebt. Doch auch Europa ist alles andere als rosig. Der Arbeitsmarktzugang ist sehr beschränkt, qualifikationsgemäße Jobs undenkbar. Unternehmen profitieren schamlos. „Man wird in Ausbeutungsverhältnisse gedrängt“.
Die Verantwortung Europas.
Kein gutes Haar lässt der Geflohene an Europa und dessen Politik. Die EU schließe im eigenen Interesse Verträge mit Ländern, die Menschenrechte missachten. Viel Geld wird ausgegeben, um die Grenzen dicht zu machen, um die „Flüchtlingsströme zu bekämpfen“.
Alev Korun pflichtet Mbolelas Kritik bei. Allein der Begriff „Grenzschutz“ sei pervers und erinnere eher an Krieg als an Asylpolitik. Dabei sei auch „Asylpolitik“ in Wahrheit ein Unwort, da Asyl nichts mit politischen Agenden zu tun haben dürfe. Asyl basiert auf Menschenrechten und müsste insofern apolitisch sein. Davon zu unterscheiden sei Migrationspolitik. Anders als öffentlich oft wahrgenommen, gehe es dabei weniger darum, Menschen etwas zu schenken, als darum, ihnen nichts wegzunehmen. So ruinieren EU-subventionierte Agrarprodukte die lokalen Märkte in Afrika und stürzen ganze Regionen in Armut.
Mit seinem Buch will Mbolela vor allem die Menschen in den reichen Ländern wachrütteln. Naturschutz, so scheint ihm, werde hier oftmals höher gewichtet als Menschenrechte. Selbst engagiert sich der friedvolle Kämpfer nach wie vor politisch. In Marokko gründete er eine Organisation für kongolesische Flüchtlinge. Zusammen mit Dieter Behr ist er bei Afrique-Europe-Interact aktiv. Sein Appell, diese zynische Politik zu beenden, richtet sich an die EU, deren Politiker*innen und uns alle. Nur gemeinsam, so Mbolelas Hoffnung, können wir eine Politik der Bewegungsfreiheit für alle erreichen.
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.