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Das Ende der Natur, die Herrschaft der (privilegierten) Menschen?

Von wegen im selben Boot; vergesst CO2-Emission; Kampf den Eliten! Nur welchen Eliten? Klimawandel und Postdemokratisierung nach Prof. Erik Swyngedouw.

Ein „furioses Ende“ der Ringvorlesung „Klimapolitik“ versprach Moderator Ulrich Brand einem bis zum letzten Platz gefüllten Hörsaal im Wiener NIG und sollte damit Recht behalten. Erik Swyngedouws Vortrag zu Klimawandel und Post-Demokratisierung „Anthropo-(obs)cenic Promises“ war an diesem Dienstag dem 26. Jänner 2016 tatsächlich imposant. Vortrag greift bei der elektrisierenden Performance des Belgiers eigentlich zu kurz. Der Professor für Geographie an der Manchester University verlieh  seinen Inhalten mit körperlicher und stimmlicher Akrobatik Nachdruck.

Der Fetisch, die Religion und der Untergang der Titanic.
Das Anthropozän gilt als jene Epoche, in der der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Dieses noch junge Zeitalter seit Beginn der Industrialisierung hinterlässt also seine Spuren oder besser gesagt, jagt sie gen Himmel und findet gleichzeitig das darin, was manche als Opium fürs Volk bezeichnen: CO2–Ausstoß als neuer Fetisch unserer modernen Gesellschaft, Natur- und Umweltschutz als zeitgemäße (Ersatz)Religion. Sie sind Ergebnisse eines globalen Diskurses, der gut und recht ist, aber am eigentlichen Grundübel vorbei zielt, so Swyngedouw. In Zeiten, in denen eine bemerkenswerte Anzahl an Krisen sich um die Gunst der Medien balgt, sind Schlagwörter wichtig, um der jeweiligen Lobby und deren Interessen zu dienen. Der Begriff „Klimawandel“ macht dabei seinen Job hervorragend. Die Gegner sind aber auch nicht schlecht. Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise, Eurokrise – um nur die ganz prominenten zu benennen – geben sich auf den Titelblättern in aller  Welt die Klinke in die Hand. Und doch, eines haben sie alle gemein: einen entfesselten Kapitalismus, dessen Entscheidungen nicht gewählte Politiker*innen für Bürger*innen fällen, sondern Banken und Konzerne für sich selbst. In diesem Sinne thematisiert Swyngedouw nicht den Klimawandel per se, denn die Katastrophe hat schon begonnen; ihm geht es um einen anderen Wandel. Einen politischen Wandel, einen Systemwandel. Wenn die gleichen Eliten, die immer gleichen Entscheidungen treffen, kann keine der Krisen gezähmt werden, sagt er. Oder um es mit Einsteins Definition von Wahnsinn auszudrücken: „Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. Ist es doch die überwiegende Mehrheit aller Menschen, die auf ein Einlenken der regierenden Eliten hoffen muss, ohne entscheidend Einfluss nehmen zu können. „Präsident Obama, unterschreiben Sie bitte das Kyoto-Protokoll!“, verleiht Swyngedouw seinem Standpunkt Nachdruck. Und wer jetzt meint, wir säßen alle im selben Boot, und wenn wir untergehen, dann alle gemeinsam, also inklusive herrschender Eliten, denen begegnet Swyngedouw mit folgender Allegorie: „Hast du jemals den Film „Titanic“ gesehen?“ Die Eliten werden es sich schon richten, meint er. Der Klimawandel ist also ungleich, selbst er verteilt sich auf diesem Planeten ungerecht. Nahrung, Wohlstand und Macht sind ungerecht verteilt, der Klimawandel ebenso: Er trifft die Armen zuerst und intensiver. Wer sich die Miete der oberen Stockwerke leisten kann, dem macht die Flut keine nassen Füße.

Die Dystopie der Grünen und Al Gores Gnaden.
Besonders der Grünen Politik wirft Swyngedouw vor, den Untergang der Natur schon besiegelt zu haben, der Menschheit bleibe außer einer düsteren Zukunft nichts mehr übrig. Warum also noch etwas unternehmen gegen ein drohendes Ende, das in Stein gemeißelt ist. Resignation, Frustration und Desinteresse an Politik sind das Ergebnis dieser grünen Apokalypse, die Al Gore und andere prophezeien und zur Postdemokratisierung beitragen oder zumindest nicht das Gegenteil bewirken. Diese Politik der Angst dient nur einem Ziel, so Swyngedouw: dem Erhalt der Machtverhältnisse und dem Überleben des Kapitalismus der Mächtigen, wie wir ihn kennen. Von deren Gnaden hängt unser Begehren ab. Sie besitzen die Technologie und das Know-how. „Status Quo und Machterhalt in Namen des Neoliberalismus.“ Die Marktwirtschaft wird es für uns schon wieder richten. Eben nicht, sagt Swyngedouw, aber die Eliten, die werden es sich richten. Die sozio-ökonomischen Verhältnisse müssen gewahrt bleiben. Der Klimawandel als Objekt des Begehrens. Wer die Lösungen hat, der sitzt an den Hebeln der Macht und will im Grunde genommen genau gar nichts ändern. „Nachhaltigkeit im Sinne der Postdemokratisierung.“ Und wieder beim Grundübel angelangt: Es geht nicht um Klimawandel, es geht um Systemerhalt. „Oder hat ein Klimaflüchtling jemals in Kyoto am Tisch gesessen?“, fragt Swyngedouw.

Das trojanische Pferd.
Aber so richtig glauben wir eigentlich alle nicht daran. Wir, die wir global betrachtet in den oberen Stockwerken wohnen, kennen das Armageddon nur vom Fernseher. Mit Bruce Willis als robuste Glatze, die es für alle zum Guten wenden wird. Würden wir angesichts unseres Untergangs sonst sonntagabends noch ins Kino gehen, statt  die Demokratie wieder an uns zu reißen? Wohl kaum. Aber die Katastrophe hat schon begonnen und sie wird sich ihren Weg bis knapp unter die Stockwerke der Wohlhabenden brechen, oder vielleicht ein bisschen weiter. Das Pferd ist schon geparkt, sagt Swyngedouw. Der Kampf gelte also nicht dem CO2 sondern den Eliten und ihrem zügellosen Kapitalismus, der dieses Gas in großen Mengen in die Atmosphäre schleudert. Es bleibt nur die Frage, ob Swyngedouw mit seinen Prognosen nicht auch selbst Teil der in Stein gemeißelten Apokalypse ist, die er so kritisiert, und ob wir alle in Europa nicht auch Teil dieser Eliten sind?

Der Autor, Tobias Natter, hat in Wien Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied der Redaktion der Grünen Bildungswerkstatt Wien.