Das kleine Protest-Einmaleins.

Karina Böhm
Kurz nach 17:30 Uhr geht es los. Gerd Valchars vom Vorstand der GBW begrüßt das zahlreich erschienene Publikum „zum zweiten Termin der vierteiligen Veranstaltungsreihe zu politischem Aktivismus“. Er bittet Antje Helms sich selbst vorzustellen.
Kampaignerin.
Seit 1989 ist sie bei Greenpeace, sagt die gebürtige Deutsche Helms. „Die letzten 15 Jahre in Österreich.“ Viele globale Kampagnen hat die studierte Meeresbiologin inzwischen begleitet und umgesetzt. Auf Helms Wissen und Erfahrungsschatz freut sich das interessierte Publikum, in dem unter anderem Menschen von Grünen Bezirksorganisationen, klassischen NGOs aber auch private Aktivist*innen sitzen. In einer kurzen Vorstellungsrunde wird rasch klar: Einige Teilnehmer*innen stehen kurz vor der Planung einer Kampagne. Sie wünschen sich fachliches Rüstzeug für deren Umsetzung.
Begriffe und Ziele.
„Kampagne“, erklärt Helms, komme ursprünglich vom militärischen Begriff „Campus“, der so viel wie „Schlachtplatz“ bedeute. Kampagne ist definiert als „ein strategisch geplantes Bündel von Aktivitäten, um ein klar definiertes (politisches) Ziel zu erreichen und eine nachhaltige Veränderung zu bewirken.“ Jede Kampagne habe einen Anfang und ein Ende. Dazwischen gebe es Aktivitäten und Meilensteine. Gemeinsam sei allen Kampagnen, egal ob politischen- oder reinen PR-Kampagnen, „das Schaffen von Aufmerksamkeit, ein Mobilisieren von Menschen und das Abarbeiten mehrerer Schritte“, so die Kampaignerin.
Sechs Schritte und SMARTE Ziele.
Diese Schritte lassen sich in sechs Teilschritte aufgliedern:
1) Analyse: Worum geht es? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? Recherchephase.
2) Ziel definieren.
3) Strategie überlegen.
4) Taktiken überlegen.
5) Aktivitäten: zum Beispiel Demo, Flyer, Infostand, Veranstaltung.
6) Kontrolle.
Während die Punkte vier bis sechs im Laufe einer Kampagne immer wieder angepasst und flexibel adaptierbar sind, sollten laut Helms die Punkte eins bis drei bis zum Ende fix bestehen bleiben. Für das Definieren von „smarten“ Zielen gibt es eine wortspielerische Hilfe. Die Ziele einer Kampagne sollten sein:
S-pezifisch
M-essbar
A-chievable (erreichbar)
R-ealistisch, relevant
T-imed (zeitlich begrenzt)
Themenfindung.
Schluss mit der Theorie, jetzt sind die Teilnehmenden gefragt. Helms möchte anhand eines konkreten Kampagnenthemas ausgewählte Schritte vertiefen. Ein Teilnehmer schlägt eine politische Kampagne vor, die junge Wähler*innen für die bevorstehende EU-Wahl mobilisieren soll. Eine Teilnehmerin möchte eine Kampagne im Bereich Soziales mit dem Thema „Reduktion der Arbeitslosigkeit bei über 50-Jährigen“ durcharbeiten. Nach längerem Hin und Her stimmen alle über diverse Vorschläge ab. Das Thema „Stadtgärtnern“ setzt sich mit knapper Mehrheit durch. „Der langwierige Prozess der Themenfindung war Teil eins der Übung“, erklärt Helms.
Beispiel „Stadtgärtnern“.
„Zur Situationsanalyse gehört zunächst eine möglichst genaue Problembeschreibung“, sagt Helms. Für das Beispiel „Stadtgärtnern“ bedeutet das laut der Teilnehmerin, die das Thema vorgeschlagen hat: „Vereinfachung und transparentere Rahmenbedingungen für Stadtgärtnern im öffentlichen Raum.“ Als übergeordnetes Ziel nennt sie, mehr Stadtgärten zu ermöglichen.
In der Analysephase gehören noch weitere Fragen geklärt. Zum Beispiel: Welche Behörden, welche Politiker*innen sind für Stadtgärten zuständig? Gibt es Zahlen, Karten oder Flächennutzungspläne? Wie sieht die rechtliche Situation aus? Warum ist das Thema ausgerechnet jetzt aktuell und relevant? Steht vielleicht gerade eine wichtige Entscheidung an, oder sind von einem bevorstehenden Vertragsabschluss viele Menschen betroffen? Gibt es im Vergleich zu anderen Städten bei Wiener Stadtgärten einen Nachholbedarf? Sind dazu schon wissenschaftliche Studien angefertigt worden? Von wem und welche Ergebnisse lieferten diese? Gab es bereits frühere Versuche, vielleicht in anderen Städten, mehr Stadtgärten zu forcieren? Falls ja, wie erfolgreich waren diese beziehungsweise woran sind sie gescheitert?
Emotionen und Lösungen.
Eine Kampagne müsse emotionalisieren, sagt Helms, damit sie möglichst viele Menschen anspricht und mobilisiert. „Die Emotionen können positiv oder negativ sein.“ Beim Stadtgärtnern wäre eine positive Emotion, eigene Nahrung selbst anbauen zu können und mehr Eigenverantwortung zu bekommen. Eine negative wäre, über Angst vor Gesundheitsschäden durch pestizidbelastetes Gemüse im Supermarkt zu mobilisieren.
Ferner müsse eine Kampagne eine Lösung anbieten. „Wer profitiert von der Lösung? Welche positiven Folgen hat sie für welche Menschen und Gruppen?“ Die Lösung sollte möglichst einfach und klar verständlich sein. Von mehr selbstverwalteten Stadtgärten würden Nachbar*innen, die Stadt Wien und Migrant*innen profitieren, sagt die themenvorschlagende Teilnehmerin. Kommunikation, gesellschaftliches Miteinander, Gesundheit und soziales Klima würden sich laut Studien verbessern. Die Lösung eines Problems löst hier also gleich andere Probleme mit. Auch das solle positiv aufgezeigt und kommuniziert werden, ergänzt Helms.
Stakeholder- und Power-Analysen.
Nach einer kurzen Pause geht es im zweiten Teil der Veranstaltung frisch und interaktiv weiter. Bei der Stakeholder-Analyse wird laut Helms gefragt: „Wer macht mit wie viel Einfluss, also Power, bei einer Kampagne mit?“ Unterschieden werden Menschen oder Organisationen „mit großem Einfluss, mit wenig Einfluss, Verbündete und Gegner“. Für das Beispiel Stadtgärtnern schreiben die Teilnehmenden zur Visualisierung Konkretes zu Politik, Bezirksvorsteher*in, Behörden, Industrieunternehmen, NGOs, Gewerkschaften, Forschung, Wissenschaft, Medien und Journalisten auf bunte Kärtchen: So ist etwa Umweltjournalist Mark Perry von der „Kronen Zeitung“ als jemand mit großem Einfluss und als Verbündeter zu verorten. Ähnlich die „Bezirkszeitung“ oder das Stadt-Land Magazin „Servus“, nur mit etwas weniger Einfluss. Unter Forschung und Wissenschaft notiert eine Teilnehmerin die Universität für Bodenkultur, deren Einfluss bedeutend geringer eingestuft wird. Ulli Sima hingegen, Wiens Umwelt-Stadträtin, verorten die Teilnehmenden im Bereich großer Einfluss, aber derzeit eher als Gegnerin statt Verbündete.
Alles visualisiert stellt sich am Schluss die Strategie-Frage: „Wen will ich wohin bewegen? Wen möchte ich zum Verbündeten machen?“, erklärt Helms. „Und möchte ich dabei mit meinen Gegnern konfrontativ oder kooperativ umgehen?“
Tipps zum Umgang mit Journalist*innen.
Bezüglich Kommunikationsstrategie erläutert Helms, wofür das KISS-Prinzip steht: „Keep it short and simple.“ Damit könne man Journalist*innen erreichen und im Rahmen der Kampagne für eine Berichterstattung gewinnen. Je einfacher die Botschaft, umso eher werde sie von Medien aufgegriffen. Auch Vorher-Nachher-Bilder würden sich gut machen und seien Erfolg versprechend.
Die Veranstaltung endet mit einem kleinen Spiel. Die Teilnehmenden sollen sich folgenden vier Aktivist*innen-Rollen zuordnen: „Bürger, Reformer, Veränderer, Rebell“. Nur eine Teilnehmerin stellt sich in die eher farblos scheinende Bürger-Ecke. Doch damit eine soziale Bewegung erstarkt, am Leben bleibt und nicht scheitert, brauche es Vertreter*innen aus allen vier Ecken, sagt Helms.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Greenpeace
Chris Rose, Kampagnenstrategie
Bill Moyer, Movement Action Plan