Das Recht auf Nahrung: Ernährungssouveränität und Menschenrechte.

GBW
Die von der Grünen Bildungswerkstatt Wien unterstützte, selbstorganisierte Lehrveranstaltung an der Universität für Bodenkultur jährt sich mittlerweile zum dritten Mal. In der neunten Einheit am 21. Mai gaben Brigitte Reisenberger vom Food First Information and Action Network (FIAN) und Anna Korzenszky vom Nyéléni Europe Movement for Food Sovereignty Einblicke in ihre Arbeitswelten.
Theoretisch reicht es für alle.
Theoretisch dürfte es keinen Hunger auf der Welt geben. Aus globaler Perspektive gibt es keinen Mangel an Lebensmitteln, sagt Brigitte Reisenberger von FIAN. Praktisch leiden und sterben trotzdem Millionen von Menschen an Unterernährung. Das liege vor allem an der ungleichen Verteilung. Saatgut und andere Mittel zur Nahrungsmittelproduktion konzentrieren sich ebenso wie der Zugang zu Boden und Wasser allzu oft in wenigen Händen. Auch durch Spekulation schwankende Lebensmittelpreise seien Teil des Problems, genau so wie die Dominanz transnationaler Agrarkonzerne. Landwirtschaft für lokale Märkte und zur Selbstversorgung wird damit zum Ding der Unmöglichkeit.
Vor diesem Hintergrund scheint die Forderung nach einem „Recht auf Nahrung“ (RAN) mehr als legitim. FIAN ist die erste internationale Menschenrechtsorganisation, die Menschen dabei unterstützt, ihr RAN einzufordern. Gegründet 1986 in Heidelberg, ist FIAN mittlerweile in 19 Ländern ansässig und hat Mitglieder und Sektionen in 60 Staaten weltweit.
Mit Recht gegen Kriminalität.
Damit Einzelpersonen und Gruppen Gehör finden, bedarf es Verhandlungsmacht. Diese begründet sich unter anderem in Institutionen wie dem RAN. An zwei völkerrechtlich prominenten Stellen findet sich jeweils ein Passus dazu: in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ (1948) und dem „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ (kurz: UN-Sozialpakt; 1966). Mittlerweile habe dieses Recht in unterschiedlichen Ausprägungen auch Eingang in nationale Gesetze und Verfassungen gefunden, erklärt Reisenberger. Seit dem Jahr 2000 gibt es einen UNO-Sonderberichterstatter. Bis 2008 hat der Schweizer Jean Ziegler dieses Amt bekleidet. Und seit 2013 ist in immerhin zehn Ländern das sogenannte „Zusatzprotokoll“ zum UN-Sozialpakt in Kraft getreten. Damit können Betroffene auf internationaler Ebene ihr RAN einklagen, wenn eine nationale Handhabe fehlt.
Dass es solche Rechtsgrundlagen gibt, mache einen entscheidenden Unterschied, betont Reisenberger. Zum einen können Betroffene ihr RAN gegen Staaten direkt oder indirekt einklagen. „Das passiert auch!“, bestätigt Reisenberger auf Nachfrage aus dem Publikum. Andererseits schaffe es Legitimität für die Forderungen der Betroffenen. Denn wer ein Menschenrecht fordert, kann nicht länger als krimineller Störenfried verunglimpft werden. Dies verstärke die Verhandlungsmacht ungemein und beeinflusst die öffentliche Meinung.
RAN an TTIP.
Organisationen wie FIAN helfen diesem emanzipatorischen Projekt auf institutioneller Ebene. So erstellt FIAN etwa regelmäßig sogenannte „Schatten-“ oder „Parallelberichte“ über die aktuelle Ernährungssituation in bestimmten Ländern für die UNO. Diese Berichte ergänzen und korrigieren offizielle staatliche Berichterstattung und beeinflussen so die Empfehlungen, die der UNO-Menschenrechtsrat für einzelne Länder ausspricht.
Insgesamt sei das RAN trotzdem unbefriedigend völkerrechtlich reguliert. Wenn Rechtskonflikte auf dieser Ebene auftreten, gibt es keine übergeordnete Instanz mehr. So könne nur das eine gegen das andere Recht abgewogen werden. So hat FIAN zum Beispiel das aktuell verhandelte EU-USA Freihandelsabkommen (TTIP) auf konkrete Verletzungen des RAN untersucht. „Wenn man eine wirkliche, gescheite, menschenrechtliche Vorabprüfung machen würde, könnten solche Abkommen überhaupt niemals zustande kommen, weil sie nicht menschenrechtskonform sind“, sagt Reisenberger.
Institutionelle Ernährungssouveränität.
Anna Korzenszky arbeitet für das Nyéléni Europe-Netzwerk, einer 2007 entstandenen Plattform, die sich mit Ernährungssouveränität befasst. Dieses Konzept geht noch ein Stück weit über das RAN hinaus. RAN sei nur ein Teilaspekt, wohingegen Ernährungssouveränität etwa auch Selbstbestimmung in der Herstellung und Vermarktung der Lebensmittel in den Blick nimmt, informiert Korzenszky.
In ihrem Vortrag geht die Aktivistin auf das globale Institutionengefüge ein, in dem sich eine NGO wie das Nyéléni-Netzwerk zurechtfinden muss. Die wichtigsten Player in diesem Kontext sind die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der UN-Welternährungsausschuss (CFS), jeweils mit eigenen Konsultationsmechanismen, um zivilgesellschaftliche Institutionen anzuhören. Die wichtigste mit Bezug auf Ernährungssouveränität ist darunter das „International Planning Committee for Food Sovereignty“ (IPC), eine autonome und selbstorganisierte Vereinigung von über 800 Organisationen und 300 Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.
Auf den Zweifel aus dem Publikum, ob denn diese ganze Diplomatie letzten Endes für die Betroffenen auch etwas bringe, entgegnet Korzenszky bestimmt: „Man muss diese Spielchen mitspielen“, denn so sei nun einmal Diplomatie. Trotzdem brauche es natürlich auch eine aktive Bewegung auf den Straßen, Proteste und Streiks.
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.