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David gegen Goliath - Stadt als umkämpftes Terrain.

Der Interessenkonflikt zwischen dem Streben nach Gemeinwohl und kommerzieller Verwertung von Raum zeigt sich selten so deutlich wie vor dem Hintergrund urbaner Entwicklung. Ein Streifzug durch städtische Selbstbestimmung.

Am Abend des 19. Novembers 2015 lud die Grüne Bildungswerkstatt gemeinsam mit den Büchereien Wien im Rahmen des Projektes "" zur Diskussion. Im gut besuchten Veranstaltungssaal der Hauptbücherei debattierte ein bunt besetztes Podium zum Thema „Stadt zwischen Eignung und Aneignung“. Moderatorin Elke Rauth, Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung, führte durch den Abend.

Während das neoliberale Dogma als ökonomisches Diktat mittlerweile in sämtlichen Lebensbereichen Ausdruck findet, regt sich vor allem in den Großstädten Europas immer mehr zivilgesellschaftlicher Widerstand. Hier, an diesen neuralgischen Punkten moderner Gesellschaften, trifft „neuer Urbanismus“ auf wirtschaftliche Verwertung von städtischem Raum. Die aufblühende Kultur des „Stadt selber machen“ steht in Opposition zur kommerziellen Nutzung urbaner Räume.

Animatoren und ihr gutes Leben.
Was passiert, wenn Bürger*inneninitiativen gegen politische Kapitulation vor ökonomischen Sinnkrisen aufbegehren, zeigt die Kulturtheoretikerin Angelika Fitz mit ihrem Vortrag zum Projekt „“. „Ziel dieses Projekts ist es, Beziehung zwischen Wert, Profit und Gemeinwohl in europäischen Städten neu zu definieren“, so Fitz. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die beiden Prinzipien Top-down und Bottom-up miteinander verbunden werden können. Wie kann politisches und zivilgesellschaftliches Tun gemeinsam fruchtbar für Städte in Krisen gemacht werden? Im Spannungsfeld von Ökonomie, Kultur und Finanzkrise präsentieren sich von Berlin bis Lissabon viele Initiativen als erfolgreiche Modelle: Wochenlange Protestbewegungen mit Zeltstädten als reproduktive Zentren in Madrid oder soziale Wohnbaugenossenschaften in Berlin zeigen kollektive Strahlkraft. Sie sind Beweis für eine aufgeklärte Bevölkerung, die sich über ein „gutes Leben“ Gedanken macht und sich dafür proaktiv einsetzt. Immer mehr Menschen widersetzen sich dem Wunsch der Investoren nach einer fast ausschließlich merkantil genützten Stadt. Stattdessen greift eine Hands-on-Mentalität um sich.

Dieses Selbst-Anpacken ist Ausdruck einer emanzipierten Stadtbevölkerung. Die Menschen wollen nicht mehr auf die Politik warten. Im Gegenteil, die Bevölkerung animiert die Politik, holt sie mit ins Boot. Sie nehmen die Dinge selbst in die Hand. Die „“ in Berlin ist nur ein Beispiel dafür. Sie gestaltet ihr Wohnen nach ökologischen, nachhaltigen und partizipativen Prinzipien selbst, ist damit nicht der ökonomischen und ästhetischen Willkür einer gesichtslosen Investorengruppe ausgesetzt. Selbstverwaltung ist das Ziel, „Mieter im eigenen Haus“ will man sein.

Der tägliche Kampf um unser Wohnzimmer.
Doch was passiert diesbezüglich in Wien? Gibt es Ideen und wer hat sie? In der anschließenden Diskussion befürwortet Architekt Jörg Wimmer in Verbindung mit inklusivem Konsum. Seine Idee sieht vor, öffentliche Räume in kommunalem Besitz zu belassen. So sollen weniger finanzstarke Konsumierende und Unternehmer*innen in neu entstehende Wohnviertel sozioökonomisch inkludiert werden. Orientieren sich Preise von Geschäftslokalen jedoch ausschließlich am freien Markt, sind Mieten nur für finanzkräftige Betreiber*innen leistbar. „Für inklusive Konsumformen ist der Zugang zu leistbaren Geschäftslokalen notwendig. Bauträger aber errichten vorrangig Geschäftsflächen für Mieter, denen keine finanziellen Hürden gestellt sind“, sagt Wimmer.  Auch der Ökonom Sebastian Bohrn Mena beobachtet . Während NGOs, Sport- und Kulturvereine verzweifelt nach leistbaren oder freien Räumlichkeiten suchen, liegen . Dahinter ist durchaus machtpolitisches Kalkül zu vermuten, birgt doch künstliche Verknappung Gewinn durch steigende Mieten. Solange ökonomische Verwertung von Räumen als Hauptmotiv gehandelt wird, bleibt der Wunsch nach Austausch, persönlichen Beziehungen, Entwicklung und Entfaltung von Menschen in diesen Räumen auf der Strecke. Sind es doch genau jene Dinge, die nicht unmittelbar im wirtschaftlichen Sinne verwertbar und messbar sind, so Bohrn Mena. Judith Wittrich, Referentin für Kommunalpolitik/Arbeiterkammer Wien, sieht öffentlichen Raum als „Wohnzimmer für Stadtbewohner“. Das öffentliche Wohnzimmer als Ideal stehe jedoch seit seiner modernen Entstehung unter gehörigem Druck. Es unterliegt der Doktrin einer Jahrzehnte alten Automobilisierung, ist quasi für selbige gemacht worden. Doch Begegnungszonen und neue Schanigärten sind erste Zeugen eines beginnenden Umdenkens.

Öffentlicher Raum als Wahlkabine.
Die Vortragenden sind sich einig; es gibt sie, die Menschen mit den Ideen. Der Nährboden, das Substrat, die Keimlinge, fast alles ist da. Die Beispiele der Protagonisten des Abends zeigen es uns:
In einigen Gewächshäusern gedeihen und sprießen die Gedanken schon, werden zu Taten und Beispielen. Bürger*innen dieser Städte, Aktivist*innen auf den Straßen dieser Städte, wer sich als politischer Teil einer Gesellschaft versteht, kann sie mit Eigeninitiative auch mitgestalten: Teilhabe durch Aktion, das Wort der Stunde heißt „Urban-Citizenship“. Der Weg zum Erfolg führt über radikale Öffentlichkeit: Sichtbarkeit durch verstärkte Präsenz in Medien und Presse; an öffentlichen Orten laut und auffällig sein, ist die Devise. Denn Stimmen im öffentlichen Raum sind wie Stimmen in Wahlkabinen: Sie gelten nicht nur einer breiten Öffentlichkeit, ihre Adressaten sind immer auch Politiker*innen und deren Handeln.

Der Autor, Tobias Natter, hat in Wien Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied der Redaktion der Grünen Bildungswerkstatt Wien.