Democracía real ya – Wirkliche Demokratie.
Politische Mobilisierung in Spanien.
Asensi beschreibt die sozialen Bewegung ´Democracía real ya´ in Spanien: Sie lässt sich als gesellschaftliche Reaktion auf die erlebte folgenschwere Fremdbestimmung des Landes begreifen. So zeugen die rigorosen sozialen Einschnitte im Zuge der Sparpolitik von massivem Demokratieabbau. Technokratische Politik habe die politische Verantwortung an die Märkte delegiert. Die Regierung vertrete das Volk nicht mehr und es sei völlig unzureichend, in Vierjahresabständen zu wählen. Zahlreiche Plattformen der Grün-, Frauen-, gewerkschaftlichen und globalisierungskritischen Bewegungen schlossen sich daher zu einem gewaltfreien Solidaritätsnetzwerk zusammen. Dieses nutze bewusst Plätze für die öffentliche Diskussion. So sei es auch bezeichnend, dass hunderttausend Menschen vor dem Parlament demonstrierten, obwohl dies dort verboten ist. Dem letzten Generalstreik vom März 2012 folgten im Mai erste Großdemonstrationen in Madrid und in über 70 anderen Städten. Die Aktivist*innen diskutieren und planen seither in wöchentlichen Versammlungen, etwa die Aktion zur Behinderung dutzender Zwangsräumungen.
Das grüne Modell der direkten Demokratie.
Mayer gibt zu bedenken, dass die Kritik sozialer Protestbewegungen zu wenig an den demokratischen Entscheidungsstrukturen ansetze. Er verweist auf das grüne, am Vorbild der Schweiz orientierte, Konzept der Direkten Demokratie: Dieses gesteht dem Volk als Souverän die zentrale Entscheidungsrolle zu: Es darf Gesetzesvorschläge einbringen und darüber entscheiden. Es kann diese Entscheidungen aber auch an das Parlament und dessen Expertengremien delegieren. Die Regierung und ihre Verwaltung hingegen dürfen die Gesetze nur umsetzen. Wesentlich sei, dass die Verfassung zum einen vom Volk abgesegnet werde und zum anderen laufend – analog zur Züricher Verfassung - via Abstimmung über neue „Spielregeln“ weiterentwickelt werden könne. Beteiligung dürfe keine bloße Vorstufe bleiben, sondern müsse in Mitentscheidung münden. Mayer erwähnt in diesem Zusammenhang das von der NGO „democracy international“ verfolgte Ziel, eine europäische Volksgesetzgebung zu etablieren: Beteiligungsbereite Bürger*innen sollten in verfassungs- und gesetzgebenden Versammlungen nationale Verfassungen erarbeiten und zur Volksabstimmung bringen können. Analog dazu sollte im Rahmen eines entsprechenden EU-Konvents eine europäische Verfassung entstehen. Asensi erklärt, dass ihre Bewegung dasselbe Ziel habe und vor allem die noch von der Diktatur geprägte spanische Verfassung ändern wolle.
Musiol beschreibt das grüne Demokratie-Modell in Hinblick auf das Wahlrecht: Ein Volksbegehren soll künftig eine Volksabstimmung zur Folge haben, wenn es sich auf mindestens vier Prozent der Wahlberechtigten stützt. Im Übrigen würden Volksabstimmungen Wähler*innen generell einen Vorteil bieten: Sie können in Einzelfällen für Lösungen stimmen, die vom Programm ihrer jeweils bevorzugten Partei abweichen. Musiol gibt sich schließlich überzeugt, dass Regierende in der Regel nicht abgehoben, sondern gemäß der vermuteten Erwartung ihrer Klientel Wählerstimmen maximierend agieren.
Publikumsdiskussion
Das Publikum thematisiert zunächst die Demokratiefähigkeit der österreichischen Bevölkerung: Mehrere Teilnehmende betonen den Stellenwert der politischen Bildung, zumal Demokratie gelernt werden müsse. Mayer steht diesem Argument skeptisch gegenüber, da die Forderung nach „politischer Bildung als Voraussetzung für politische Teilhabe“ in der Regel einschlägig zur Verhinderung von Direkter Demokratie eingesetzt werde. Ebenso wie Asensi zeigt er sich überzeugt, dass sich politische Bildung durch direkte Mitbestimmung von selbst entwickle. Zwei Teilnehmende unterstreichen jedoch den gleichzeitigen Bedarf an Direkter Demokratie und Förderung von politischer Bildung: Es sollte nur über Konzepte und nicht über Detailfragen abgestimmt werden. Dies erfordere aber eine Vorbereitung, unter anderem durch politische Bildung. Eine Teilnehmerin gibt zu bedenken, dass einige Meinungsbildner*innen Direkte Demokratie regelmäßig mit Verweis auf autoritäre Prägungen und rechtspopulistische Tendenzen ablehnen. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, sich für die Förderung von Beteiligungs- und Bewertungskompetenzen aktiv einzusetzen und dieses Anliegen zu kommunizieren. Zudem gelte es, die Besonderheiten des grünen Demokratiekonzepts zu verdeutlichen und sich dadurch von entsprechenden rechtspopulistischen Vorhaben klar abzugrenzen.
Das Augenmerk gilt in weiterer Folge klassischen Kontra-Argumenten und erforderlichen Strukturänderungen: Bedenken in Sachen Rechtspopulismus hätten auch in der repräsentativen Demokratie ihre Gültigkeit. So sei in diesem System die Freiheitliche Partei auch schon an der Regierung beteiligt worden. Asensi betont, dass sie sich weniger vor Vorurteilen des Volkes als vor jenen der europäischen Entscheidungsträger*innen fürchte. Einige sprechen sich dafür aus, dass über Grundrechte nicht abgestimmt werden sollte. Auch das Argument, dass das repräsentativ-demokratische System überlegen sei, weil es auf Kompromissen gründe, lässt man nicht gelten: Abstimmungen im direktdemokratischen System verlangen den Initiator*innen bereits im Vorfeld viele Kompromisse ab. Der entscheidende Vorteil dieses Systems liege aber in der Befreiung der Politik von aktuellen Systemzwängen (Lobbys, Interessenvertretungen). Neben einer basisdemokratischen Listenwahl und der Aufhebung des Clubzwangs erwarten sich einzelne Teilnehmer*innen einen unabhängigen Medienrat: Dieser muss vor Abstimmungen eine ausreichende und ausgewogene Darstellung von Pro- und Contra-Argumenten sicher stellen.
Die Autorin Gerhild Schütti studierte Politikwissenschaft und ist Mitglied des Redaktionsteams der Grünen Bildungswerkstatt.