Der Ausverkauf des Regens
Und dann der Regen – der Film.
Geringe Kosten für Statist*innen verschlagen den jungen Regisseur Sebastián (Gael García Bernal) und den Produzenten Costa (Luis Tosar) gemeinsam mit ihrer Filmcrew nach Cochabamba in Bolivien. Sie wollen einen Film über die Ausbeutung und Unterdrückung der indigenen Bevölkerung durch die spanischen Conquistadores drehen. Dass Bolivien hierfür der historisch falsche Drehort ist, ist dabei nachrangig. Parallel zu den Dreharbeiten wird in Cochabamba die gesamte Wasserversorgung auf Druck westlicher Kreditgeber privatisiert. Die weitreichende Wasserkonzession schließt unter anderem Regenwasser und private Brunnen mit ein, wodurch jeder Bürger*in Cochabambas verpflichtet ist, die damit einhergehenden Gebühren zu zahlen. Der Großteil der Bevölkerung kann sich diese zusätzlichen Kosten nicht leisten, die meisten leben ohnehin unterhalb der Armutsgrenze. Schnell formiert sich eine Widerstandsbewegung, die auch von zahlreichen indigenen Statist*innen und Schauspieler*innen, wie etwa dem charismatischen Daniel, mitgetragen wird. Es kommt zum Interessenkonflikt: Während Sebastián und Costa alles daran setzen, dass die Dreharbeiten nicht durch die Proteste gefährdet werden, haben die bolivianischen Mitarbeiter*innen, allen voran Daniel, andere Prioritäten, denn „ohne Wasser kein Leben, verstehst du nicht?" Als die gewaltsamen Zusammenstöße zunehmen, kann der Abbruch der Dreharbeiten nicht mehr verhindert werden. Neue Herausforderungen bahnen sich an.
Icíar Bollaín veranschaulicht Kontinuitäten gewaltsamer Machtverhältnisse und kolonialer Überlegenheitsansprüche mit Hilfe der beiden parallelen Handlungsstränge: der Conquista in der Vergangenheit und des Wasserkriegs in der Gegenwart. Zugleich erzählt der Film nicht die Geschichte von passiven Opfern, sondern vom Kampf und Widerstand gegen Fremdbestimmung und Unterdrückung.
Wasserprivatisierung in Bolivien.
Im Anschluss an den Film hatte das Publikum die Möglichkeit sich näher mit dem politischen Geschehen in Cochabamba auseinanderzusetzen. Bettina Köhler, Lehrbeauftragte am Institut für Internationale Entwicklung und Expertin für Ressourcenkonflikte und Politische Ökologie und Julia Seewald, Vorstandsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt und Bolivien-Kennerin, schilderten die politischen Hintergründe des Films: Im Zuge neoliberaler Strukturanpassungsprogramme forderte der Internationale Währungsfonds (IWF) als Vorbedingung für „frische“ Kredite die Privatisierung des Wassers. In Cochabamba wurde daraufhin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Konzession für die Wasserver- und entsorgung einem Firmenkonsortium namens Aguas del Tunari überschrieben. Die Preissteigerung hatte eine breite politische Mobilisierung zur Folge, die schlussendlich auch die Politik zur Rücknahme der Privatisierung zwang.
Infolge der neoliberalen Umwälzung kam es in Bolivien immer wieder zu Protestbewegungen, wobei der Wasserkrieg von Cochabamba hinsichtlich seines raschen Erfolgs einzigartig blieb. Die Gründe hierfür sind nach Julia Seewald vielfältig: Bolivien, eines der wirtschaftlich schwächsten Länder Lateinamerikas mit über 50 Prozent indigener Bevölkerung wurde seit jeher von einer weißen elitären Oberschicht regiert. Der Staat und der Präsident gerieten zunehmend in eine Legitimationskrise. Zeitgleich etablierte sich eine breite Widerstandsbewegung, die von zahlreichen Akteur*innen getragen wurde. Bauern, Indigene, Gewerkschafter*innen und viele mehr fühlten sich und ihre Interessen nicht vertreten und erzwangen eine politische Kehrtwende. Wie Bettina Köhler betont, richtete sich die Widerstandsbewegung nicht ausschließlich gegen die Privatisierung, sondern stellte eine „Kritik an der gesellschaftlichen Verfasstheit dar“ und beinhaltete auch Forderungen nach mehr politischer Teilhabe und Demokratisierung.
Menschenrecht auf Wasser versus Privatisierung.
Weit über die Grenzen Boliviens hinaus sorgte die Privatisierung und der damit einhergehende, erfolgreiche Widerstand für Aufsehen. Der Protest reihte sich damit in umfassende politische Diskussionen bei den Weltsozialforen und dem „Water Justice Forum“ ein, wo Wasserprivatisierung als Form der Delegitimierung staatlicher Strukturen und des Entzugs von Lebensgrundlagen verstanden wurde.
Hohe Investitionen in das Wasserleitungssystem, mehr Effizienz und entsprechende Kostensenkung, diese großen Versprechen der Privatisierungen konnten nicht eingehalten werden, so Köhler. Es kam zu Rekommunalisierungen einerseits und Privatisierungen einzelner rentabler Teilbereiche der Wasserversorgung andererseits. In dieser Widersprüchlichkeit sehen Julia Seewald und Bettina Köhler eine paradoxe Entwicklung: Während Forderungen nach dem Menschenrecht auf Wasser immer lauter werden, setzt die EU zeitgleich auf Wasserprivatisierung, begleitet von einer europaweiten Widerstandsbewegung. Bettina Köhler betont wie wichtig es ist, bei all diesen Entwicklungen die richtigen Fragen zu stellen: Wer hat unter welchen Bedingungen Zugang zu Wasser und wer hat die Kontrolle? Wer investiert wann für wen mit welchen Interessen? Köhler stellt fest, dass immer mehr Menschen mit diesen und ähnlichen Fragen die Politik der öffentlichen Dienstleistungen und des (neokolonialen) Extraktivismus von Ressourcen hinterfragen und mehr Transparenz und Teilhabe fordern. Abschließend möchte Köhler das Publikum noch dazu motivieren, öffentliche Infrastruktur „als Teil der gesellschaftlichen reproduktiven Basis mitzudenken“ und wünscht sich damit einhergehend mehr Bewusstsein und Mitbestimmung in diesem hochpolitischen Bereich.
Links.
Filmtrailer „Und dann der Regen“
Hintergrundinformation: Der „Wasserkrieg“ von Cochabamba
Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Sie ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien.