Der Mensch im Lebensmittelsystem.

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Moderatorin Karin Okonkwo-Klampfer von der BOKU eröffnet die Vorlesung mit den Worten: „Wo kommt Essen her und wie wird es produziert? Unter welchen Bedingungen wird unser Essen verarbeitet und verteilt?“ Sie verweist auf die globale Produktion und fragt weiter: „Wie können wir Produktion organisieren, sodass sie gut und fair abläuft?“
Diesen Fragen stellen sich: Maria Vogt, Biobäuerin und Mitglied bei der Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_Innen Vereinigung (ÖBV) Via Campesina, Sebastian Nessel, Soziologe an der Uni Graz und Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich.
Strukturwandel und Konzentration.
Die ehemalige Bankangestellte Maria Vogt ist seit rund 30 Jahren in der Landwirtschaft. Als Biobäuerin bewirtschaftet sie einen Hof mit Milchschafen, Getreide, Gemüse und Weinbau in Wolkersdorf im Weinviertel. „In den letzten 50 Jahren hat es in der österreichischen Landwirtschaft einen massiven Strukturwandel gegeben“, berichtet Vogt. „Die Höfe werden mit 100 bis 200 Hektar immer größer.“ Konzentration und Spezialisierung hätten Einzug gehalten. Vor allem in ihrer Region gebe es fast nur mehr Weinbau: „Tierhaltung gibt es bei uns in Wolkersdorf eigentlich nur mehr in Biobetrieben.“ Dabei wäre die Nachfrage nach Spezialprodukten von kleinen Betrieben durchaus groß. Aber meistens werde Biogemüse für „Ja Natürlich“ produziert. „Mit den gleichen Knebelverträgen, wie sie auch die konventionelle Landwirtschaft hat“, meint Vogt. Daher sei es wichtig zu fragen: „Wer hat die Macht und wer macht das Essen?“ Sie selbst findet für ihre Produkte die Direktvermarktung im Speckgürtel von Wien „relativ einfach“.
Vergrößern, Hofübergabe, Verkauf?
An den landwirtschaftlichen Schulen werde auf die Schüler*innen Druck ausgeübt, beobachtet Vogt: „Oft treiben die Nachkommenden dann die Väter an, noch größer zu werden.“ Bei Hofübergaben würden Betriebe immer häufiger aufgelassen oder gingen in größeren auf. Bemerkenswert sei, dass ausgerechnet Söhne und Töchter von Landwirt*innen meist einen anderen Beruf als ihre Eltern ergreifen. Dafür interessieren sich „gesättigte“ Städter*innen zunehmend für Höfe und Hofgemeinschaften. Vogt sieht darin einen positiven Trend mit Potenzial – auch für ein sinnerfülltes Berufsleben.
Globaler Handel, fairer Handel.
Nessel berichtet von Veränderungen im Lebensmittelhandel: In Industrieländern habe es in den letzten Jahren eine zunehmende Internationalisierung von Produktions- und Handelsketten gegeben. So sei es zu einer höheren Konzentration gekommen: „In Österreich liegen 90 Prozent des Lebensmittelhandels in den Händen von nur drei marktbeherrschenden Konzernen.“ Das bedeute einen Preiskampf nach unten, insbesondere für kleine Betriebe. Die Macht verschiebt sich von den Herstellern zum Handel. Nessel: „Was in den Regalen landet, bestimmt der Handel.“
Was nun fairer Handel genau sei, darüber gingen Definitionen und Meinungen auseinander. Schwammige Begriffe würden den Anliegen eher schaden. Nessel unterscheidet zwei Systeme für fairen Handel: „Erstens das zertifizierte System und zweitens das alternative System.“ Zu letzterem gehörten Direktvermarktung, Demokratisierung und Stärkung von Produzierenden sowie Organisationen im Globalen Süden. Laut dem Soziologen könne fairer Handel durchaus zur Demokratisierung des Handels beitragen. So seien lokale Machtverhältnisse durch Produzentenorganisationen beeinflussbar. Das habe er jedenfalls in Mexiko bei seiner Arbeit im Kaffee-Handel erlebt.
Fairer Preis und gerechte Arbeitsstrukturen.
„Fairtrade agiert im Rahmen des derzeitigen Marktwirtschaftssystem“, erklärt Kirner seine Organisation. „Fairtrade ist ein Handelssystem, kein Charity-Unternehmen, auch keine Bio-Organisation.“ Klare Worte. Trotzdem „steht bei Fairtrade der Mensch im Mittelpunkt“. Fairtrade fördert Genossenschaften bei Krediten oder Vermarktung. So stellt das Unternehmen Beteiligung, Demokratie und Mitsprache der Bäuerinnen und Bauern sicher. „Ein garantierter Mindestpreis für die Waren bedeutet existenzielle Absicherung für die Produzierenden.“ Ferner gebe es Prämien, über deren Verwendung die Genossenschaften auf demokratische Weise selbst entscheiden könnten. „Vor allem in Lateinamerika funktionieren Genossenschaften sehr gut.“ Auch in Afrika sei man relativ gut unterwegs, nur in Asien gebe es Probleme: „In China sind Genossenschaften verboten.“ Auch in Indien sei es zurzeit noch schwierig.
„Die Haupthandelswaren von Fairtrade sind in Österreich Bananen, global liegt Kaffee an erster Stelle“, informiert Kirner. „Dahinter rangieren Kakao beziehungsweise Schokolade, Rosen aus Afrika, Fruchtsäfte und Baumwolle.“ Laut dem Geschäftsführer war es bei der Gründung von Fairtrade vor über 20 Jahren erklärtes Ziel, fairen Handel in den Massenmarkt zu bringen. Bislang sei das aber nicht gelungen. Der Marktanteil von Fairtrade-Produkten liege weltweit im niedrigen einstelligen Bereich.
Öffentliche Wahrnehmung und Realität.
Laut Kirner gibt es nur wenige Branchen, in denen öffentliche Wahrnehmung und Realität so extrem auseinanderklaffen wie in der Landwirtschaft. „Niemand ist gerne Bauer“, sagt er, der mit vielen über die Anforderungen dieses, ihres Berufes gesprochen hat. „Die Landwirtschaft mit Wein und Tieren ist Knochenarbeit.“ Produktionszyklen von zwölf Monaten seien von Unsicherheit, Risiken und Abhängigkeit geprägt. „Deswegen werden weiter Menschen vom Land in die Städte drängen.“ Für Kirner ist es „verständlich“, dass indische Bauern ihren Söhnen eine andere Zukunft wünschen. An westliche Konsumierende appelliert er, einen geringen Mehrpreis für Lebensmittel zu bezahlen: „Das spürt bei uns niemand.“
Ist Klein gut und Groß schlecht?
Nessel äußert seinen Unmut über die Vorurteile „Klein ist gut, Groß ist schlecht und Export ist auch schlecht“. Der Soziologe plädiert für eine differenziertere Betrachtungsweise. „Für einen Kleinbauern ist Export eine wichtige Möglichkeit für ein Einkommen abseits seiner Subsistenzwirtschaft. Er braucht dieses Zusatzeinkommen, um seinen Kindern zum Beispiel eine Ausbildung finanzieren zu können.“ Nicht der Export sei schlecht, sondern die sinkenden Marktpreise. Für Nessel fallen Export und Handel unter Solidarität.
Ausblick.
Um Verhältnisse für Menschen im Lebensmittelsystem zu ändern, gibt es laut Nessel folgende Möglichkeiten: Solidarität und selbstverwaltete Kooperativen sollten vor Ort gefördert werden. Soziale Bewegungen könnten vor allem bei großen Konzernen etwas bewirken: „Die haben nämlich Angst vor schlechter Reputation.“ Und Konsumierende könnten mehr Geld für faire Produkte ausgeben. Außerdem könnten Bürger*innen die Politik in Richtung wünschenswerter Lösungen beeinflussen.
Vogt sieht Food-Coops (selbstverwaltete Lebensmittelkooperativen) und CSA (community supported agriculture) als rettende Lösungsvorschläge. Denn Ziel der EU sei es leider, die Landwirtschaft in Europa auszudünnen. Ferner müssten Bäuer*innen verstärkt als vereinte Gruppe auftreten und Verbesserungen selbst vorleben. Nur so könne man wichtige Forderungen an die Politik herantragen.
Sie selbst tauscht sich seit einigen Monaten mit Gleichgesinnten an einem Bio-Stammtisch im Dorf aus.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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