Der Sieg des Kapitals.
Das Kreisky Forum im 19. Bezirk ist gut besucht an diesem Abend. Während draußen typisches Novemberwetter herrscht, füllen sich die Reihen im Vortragssaal der Kreisky Villa.
Der Autor, Journalist und Moderator des Abends, Robert Misik, heißt im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Genial dagegen“ das Publikum und die „Kollegin und Freundin“ aus Deutschland herzlich willkommen: „Ulrike Herrmann hat zuletzt zwei Bücher geschrieben, die eingeschlagen haben. Nach ‚Hurra, wir dürfen zahlen: Der Selbstbetrug der Mittelschicht’ hat sie nun ein anschauliches und im positiven Sinn pädagogisches Buch vorgelegt.“
Das Buch – wozu?
„Über den Kapitalismus sind schon viele Bücher geschrieben worden“, eröffnet Herrmann ihren Vortrag. Wozu also habe sie noch eines geschrieben? „Weil wir uns in einer neuen Phase des Kapitalismus befinden: In zehn Jahren haben wir in Europa gleich drei Finanzkrisen und ihre Auswirkungen erlebt“, erklärt Herrmann. Um Dotcom- (2001), Immobilien- (2007) und die immer noch andauernde Eurokrise (2010) zu verstehen, müsse man begreifen, „wie der Kapitalismus läuft“.
Außerdem wollte sie „in einer historisch einmaligen Phase“ den Menschen ermöglichen, die Fehler, Irrtümer und Lügen der Politik zu erkennen. Ein gut verständliches Buch sollte dabei zur Mitsprache ermutigen.
Kapitalismus erzeugt Wachstum – Geld allein nicht.
„Kapitalismus“ komme von „Kapital“ und dürfe keinesfalls mit „Geld“ verwechselt werden: „Geld gibt es, solange die Menschen sesshaft sind.“ Schon die Mesopotamier hatten vor 4.000 Jahren Schuldscheine und eine Kreditpolitik. „Geld entsteht immer durch die Vergabe von Krediten“, erklärt Herrmann. Interessant ist daher, dass die Europäer im 18. Jahrhundert immer noch lebten wie die Mesopotamier und Römer: „Mit viel Landwirtschaft und frühem Tod.“ Geld allein schaffe also kein lebensverlängerndes, industrielles Wachstum, wie wir es heute kennen. „Wachstum erzeugt nur der Kapitalismus mit dem Ziel Gewinn zu machen“, sagt Herrmann.
Rätsel Industrialisierung.
1760 wurden in England die ersten Webstühle mechanisiert: „Die Geburtsstunde von Industrialisierung und Wachstum.“ Schon die Römer kannten Dampfkraft und waren eine Massengesellschaft mit Banken, Märkten, Technik und siebenstöckigen Hochhäusern. Doch Menschen durch Maschinen zu ersetzen, war neu. Warum also ausgerechnet im England des 18. Jahrhunderts? „Die Löhne waren dort zu dieser Zeit die höchsten“, erklärt Herrmann. England sei nicht mehr konkurrenzfähig gewesen und weil Maschinen billiger waren als Arbeitskräfte, sei die Rationalisierungsidee entstanden. Durch mehr Produktion und Konsum sei der Reichtum in die Welt gekommen: „Wir sind heute im Schnitt 15-mal so reich wie unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert und wir leben doppelt so lang.“ Maschinen und technischer Fortschritt führen zu Reichtum.
Mystisches Geld.
Geld hingegen könne man durch Kreditvergabe und Spekulation beliebig vermehren. Reichtum jedoch bedeute Investitionen in Technik und Infrastruktur. „Investitionen lohnen sich aber nur, wenn Löhne hoch sind und steigen“, sagt Herrmann. Viele Unternehmen und auch die Politik würden das nicht einsehen. „Mit Ausbeutung, Lohndumping und Niedriglohnpolitik erreicht man kein Wachstum.“ Die Massenkaufkraft fällt aus und auch (Staats)schulden können nicht zurückbezahlt werden.
Tragisch sei auch das Missverständnis vieler linker Kapitalismuskritiker. Diese versuchen etwa das Geldsystem durch Abschaffung der Zinsen zu verändern. „Die Rolle des Geldes wird überschätzt“, sagt Herrmann. „Der Zinseszins existierte schon in Mesopotamien.“ Linke Kritiker würden Geld ebenso mystifizieren wie Investmentbanker. „Investmentbanker glauben, sie schaffen durch ihre Finanzprodukte Reichtum. Das ist falsch.“
Kapitalismus ist keine soziale Marktwirtschaft.
Interessant sei auch der Irrtum von der sozialen und freien Markwirtschaft. Dort heißt es, ein fairer Preis käme durch möglichst viele konkurrierende Unternehmen zustande. De Facto gibt es diesen Wettbewerb im Kapitalismus aber nicht. Stattdessen beherrschen wenige Großkonzerne die gesamte Wettbewerbskette eines bestimmten Marktes. „Bedeutende Kartelle und Trusts gab es schon im 19. Jahrhundert zum Beispiel zwischen Siemens und AEG in der Elektrizitätswirtschaft.“ Die wichtigsten DAX-Firmen seien im 19. Jahrhundert entstanden. „In den Bereichen Stahl, Banken, Chemie, Autos ist der Markt inzwischen zementiert.“
„Kapitalismus ist private Planwirtschaft der Großkonzerne“, sagt Herrmann. Milliardeninvestitionen erfolgen nur, wenn der Absatz gesichert ist, etwa durch Investitionen des Staates. Kapitalismus und Staat seien daher auch kein Widerspruch und neoliberale Rufe nach „mehr privat, weniger Staat“ Unsinn. Mehr zum Verhältnis Kapitalismus und Staat in dieser Leseprobe.
Von einer sozialen Marktwirtschaft könne man nur in der Nische der kleinen und Kleinstbetriebe, wie Gastronomie, Friseur, Installateur oder Taxiunternehmen sprechen. Diese seien aber volkswirtschaftlich nicht relevant. „Die volkswirtschaftliche Wertschöpfung machen Großkonzerne.“
Bankenrettungen und Eigenkapital.
„Die vierte Finanzkrise rollt schon heran“, warnt die Wirtschaftsexpertin der taz. Bankenunion und Bankeneinlagefonds seien reine Makulatur. Aktiva und Gewinne von Banken sollten zurückbehalten werden, „denn ein sicheres Finanzsystem erfordert eine Banken-Eigenkapitalquote von 30 Prozent“. Derzeit liege die Quote aber nur bei knapp über zwei Prozent. Deswegen müsse im Fall einer Bankenpleite dann der Staat mit Steuergeldern einspringen. „Das Lobbying der Banken ist sehr, sehr mächtig“, gibt Herrmann zu bedenken. „Die Bevölkerung braucht hier Mut und Wissen mitzureden.“
Fazit.
Es war eine facettenreiche, teils widersprüchliche Veranstaltung. Am Schluss war nicht klar, ob (für Herrmann) nun die Vor- oder Nachteile des Kapitalismus überwiegen. Aber darum ging es vielleicht gar nicht.
Die wichtigste Frage blieb offen – wahrscheinlich, weil sie auch die schwierigste ist: Wie sieht ein Wirtschaftssystem ohne Rohstoffausbeutung und Umweltzerstörung aus?
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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