Der Weg zu nachhaltigen Lebensmitteln.

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Trotz des schönen Wetters sind viele Interessierte zu dieser Kooperationsveranstaltung von Wirtschaftsuniversität (WU), Universität für Bodenkultur (BOKU) und Bank Austria ins Oktogon gekommen. Fred Luks, Leiter des WU-Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit und Moderator des Abends, begrüßt das Publikum: „Wirtschaft und Umwelt gehören programmatisch zusammen. Ernährung und Landwirtschaft betreffen jeden von uns.“
Am Podium: Tina Wakolbinger, Professorin am Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der WU, und Thomas Lindenthal vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der BOKU.
Supply Chain-Perspektive.
Wakolbinger beginnt ihr Referat mit einer „enkerltauglichen“ Nachhaltigkeitsdefinition der Brundtland Commission aus dem Jahr 1983. Danach bedeutet Nachhaltigkeit die „Befriedigung gegenwärtiger Bedürfnisse, ohne die Möglichkeit zukünftiger Generationen zu beschränken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“
Für nachhaltige Produktion müssten Waren-, Geld- und Informationsflüsse zusammenpassen, sagt Wakolbinger. Sie unterscheidet zwischen vorwärtsgewandter Wertschöpfungskette, Lieferant – Produktion – Distribution – Kunde, und rückwärtsgerichteter: „Hier steht das Abfallmanagement im Vordergrund.“ Die einzelnen Prozessschritte müssten sozialen, ökologischen und ökonomischen Anforderungen gerecht werden. Im globalisierten Lebensmittelbereich sei dies aber wegen der zahlreichen und weltweit verstreuten Akteure und Lieferanten eine besondere Herausforderung.
Stellenwert von Nachhaltigkeit in Betrieben.
Im Rahmen seiner Masterarbeit hat der WU-Student Paul Brehovsky eine Umfrage zu Nachhaltigkeit in oberösterreichischen Lebensmittelbetrieben durchgeführt. Laut Wakolbinger stellte Brehovsky fest, dass Nachhaltigkeit in den Betrieben einen zunehmend höheren Stellenwert genießt. Wichtigstes Motiv dafür sei, das Image bei Konsumierenden zu verbessern, aber auch bei eigenen Mitarbeiter*innen und in der Öffentlichkeit – um als attraktiver Arbeitgeber zu gelten. Ferner gaben die Unternehmen an, sich von nachhaltiger Wirtschaftsweise höhere Marktanteile und Wettbewerbsvorteile zu versprechen. Aber auch rein ökonomische Motive führten sie ins Treffen: Durch weniger Energieverbrauch etwa erwarteten sie geringere Kosten.
Als Maßnahmen für Initiativen in der Lebensmittelverarbeitung nennt Wakolbinger den Einkauf lokaler Produkte, Reduktion von Verpackung, Einkauf bei zertifizierten und biologischen Herstellern sowie Abfallreduktion.
CO2-Black Box Konsumierende.
„Damit CO2-Emissionen aussagekräftig sind, müssen sie für das gesamte Produkt durchgerechnet werden und nicht nur für einzelne Teilprozesse“, sagt Wakolbinger. Dazu gehörten auch Fragen, die im Bereich der Konsumierenden angesiedelt sind: „Wie fährt der Konsument zum Supermarkt? Wie lagert er die Produkte? Was wirft er weg?“ Diese Fragen seien bislang ungeklärt und daher in der CO2-Rechnung nicht berücksichtigt.
Transporte überschätzt.
Lindenthal macht in seinem anschließenden Vortrag darauf aufmerksam, dass CO2-Emissionen von Transporten – mit Ausnahme der Flugtransporte – überbewertet würden. Land- und Forstwirtschaft würden im Klimawandel bedeutend mehr Schaden verursachen als Transporte: „Den Großteil macht die Tropenwaldzerstörung aus, nicht der Transport.“ Österreich importiere jährlich immer noch 600.000 Tonnen Soja-Futtermittel. Fleischproduktion koste vor allem Fläche und Wasser. Der CO2- und Wasser-Rucksack einer Fleischmahlzeit sei um ein Vielfaches höher als jener einer vegetarischen Mahlzeit. „Fleisch hat einen 20mal größeren Wasserrucksack als Vegetarisches“, sagt Lindenthal. „Die WHO empfiehlt den Fleischkonsum nicht nur zu halbieren, sondern ihn auf 30 Prozent herunterzufahren.“
Ist „regional“ auch nachhaltig?
„Regionalität von Lebensmitteln sagt nichts über ihre ökologische und soziale Nachhaltigkeit aus“, betont Lindenthal. So seien etwa österreichische Tomaten aus dem Glashaus weniger nachhaltig produziert als spanische konventionelle Freilandtomaten. Weil es sehr viele Nachhaltigkeitsindikatoren gibt, werde es für Konsumierende immer schwieriger, sie gegeneinander aufzuwiegen. „Ist nun die spanische Biogurke gesünder und nachhaltiger als die österreichische konventionelle?“, bringt es eine Stimme im Publikum auf den Punkt. Lindenthal meint dazu, Bio sei innerhalb der EU zwar einheitlich geregelt, allerdings seien die Kontrollen in einigen Ländern laxer als in Österreich. Italienischen oder griechischen Biogurken etwa würde er österreichische konventionelle vorziehen. Bei regionalen und saisonalen Produkten sei die Einhaltung der Standards leichter, ergänzt Lindenthal. „Außerdem schafft Regionalität Identität und Beziehung.“
Ferner gehe auch Zentralisierung von Unternehmen auf Kosten von Rückverfolgung, Transparenz und Lebensmittelsicherheit: „Der Schokoladenhersteller Zotter kann seine Lieferkette leichter managen als zum Beispiel ein Riese wie Nestlé, der tausende Lieferanten hat.“
Verantwortung der Konsumierenden oder der Politik?
Luks wirft in der anschließenden Diskussion die Frage auf, inwieweit die Politik durch Gesetze Verantwortung für Nachhaltigkeit übernehmen müsse oder inwieweit diese den Konsumierenden zufalle. Wakolbinger meint, Konsumierende könnten durch ihr Nachfrageverhalten Nachhaltigkeit von Unternehmen einfordern. Dazu brauche es aber Transparenz und Wissen um die Herstellung und den Transport von Lebensmitteln. Mit immerhin bis zu 30 Prozent beziffert Wakolbinger die Verantwortung der Konsumierenden.
Lindenthal meint, sowohl Gesetzgeber als auch Konsumierende seien gefordert. Weil Bedrohungsszenarien immer weniger ziehen, müssten veränderte Lebensstile vorgelebt werden. Urban Gardening etwa schaffe Bewusstsein und Verhaltensänderung.
Bildung, Junge und soziale Netzwerke.
Hoffnungsvoll geht die Veranstaltung zu Ende. „Der Fleischkonsum bei den Jüngeren geht schon zurück“, sagt Lindenthal. Im Bereich Bildung gebe es aber noch Aufholbedarf: „In der Schule lernen wir zwar Differentialgleichungen lösen, was die meisten nie wieder brauchen, aber nichts über Lebensmittel.“
Wakolbinger hebt die heutigen Vernetzungsmöglichkeiten Konsumierender positiv hervor: „So können die Unternehmen weniger geheim als früher agieren.“
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Chefin vom Dienst des GBW-Redaktionsteams.