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Dicke Frauen begehren auf!

Am 6. Mai lud die ARGE Dicke Weiber gemeinsam mit der GBW Wien und den Grünen Frauen Wien anlässlich des internationalen Anti-Diät-Tages zur gemeinsamen Diskussion in die Esterházygasse ein. „Dick Sein aus feministischer Sicht – gegen Gewichtsdiskriminierung und Schlankheitsterror“ war das Thema des Abends.

Das Leben genießen – unabhängig vom Körpergewicht.
Zoraida Nieto, Vorstandsmitglied der GBW Wien, leitet die Veranstaltung mit den Worten „ich bin dick und fühle mich wohl in meinem Körper!“ ein. Dieses Körpergefühl spiegelt auch der anschließend gezeigte Kurzfilm der ARGE Dicke Weiber wider: dicke Frauen beim Schwimmen, beim Essen auf der Mariahilferstraße oder beim Tanzen – alles Aktivitäten, die für viele dicke Frauen mit Scham und Unbehagen verbunden sind, insbesondere wenn sie in der Öffentlichkeit ausgeübt werden. Der Film soll dicken Frauen zeigen, was sie statt einer Diät alles machen könnten. Sich und seinen Körper lieben, unabhängig von gesellschaftlichen Normen und Zwängen ist die Botschaft des Kurzfilms.

Dicken-Aktivismus in Wien: Die ARGE Dicke Weiber stellt sich vor.
Patricia Wendling, Gründerin der Aktionsgruppe, entstammt der autonomen Lesbenbewegung, deren politische Ausrichtung und Denkansätze auf viele Aspekte der Dickendiskriminierung übertragbar seien, so Wendling. Die Aktivistin erzählt von einer 30-jährigen Leidensgeschichte, in der sie ihren Körper gehasst, ihn mit Diäten und anschließenden Jo-Jo-Effekten gequält habe, bis sie einen Schlussstrich zog. Inspiriert von dickenaktivistischen Initiativen aus der USA gründete sie 2009 die ARGE Dicke Weiber. Zwei Mal im Monat treffen sich die Mitglieder im Frauenzentrum Wien, um sich auszutauschen, Strategien für den Alltag zu entwickeln und sich gegenseitig zu stärken. Neben „Self-Empowerment“ gibt es noch zwei weitere Standbeine: zum einen die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Dicksein. Gängige (medizinische) Lehrmeinungen, wie etwa dick sein komme von zu viel Essen, werden kritisch hinterfragt und Gegendarstellungen dazu verfasst. Zum anderen betreibt die ARGE Dicke Weiber Öffentlichkeitsarbeit, um die Sichtbarkeit dicker Frauen und ihrer Interessen zu erhöhen.

Dick sein neu denken.
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Dicksein hat sich in klaren Prinzipien niedergeschlagen: Diese fußen auf einem positiven Selbstbild, sie richten sich gegen die Bewertung beziehungsweise Abwertung von Körpern und sehen dick sein als Teil körperlicher Vielfalt. Patricia Wendling verweist dabei auf Parallelen zwischen dicken und behinderten Menschen: beide sind von räumlichen Einschränkungen betroffen, wie etwa dem Drehkreuz im Supermarkt. Während Barrierefreiheit jedoch gesetzlich verankert ist, fehle es dicken Menschen an einer Interessensvertretung. Abnehmen ist für die Mitglieder der ARGE Dicke Weiber keine Option. Sie lehnen Diäten und Übergewichtschirurgie ab. „Es gibt keine Methode um langfristig abzunehmen“, betont Patricia Wendling. Es sei daher wichtig sich einzugestehen, dass die meisten Betroffenen wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang dick sein werden. Entgegen des medizinischen Mainstreams argumentieren die Dicken-Aktivistinnen, dass Gewicht weder mit Ernährung, noch mit Bewegung oder Gesundheit zusammenhänge. Da nur wenige Mediziner*innen den „Health at every Size“- Ansatz vertreten, sucht die Aktionsgruppe Ärzte und Ärztinnen, deren medizinische Empfehlungen für dicke Menschen nicht zwangsläufig Diäten und Gewichtsverlust sind.

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Im Anschluss an die Vorstellung der ARGE Dicke Weiber präsentiert Magda Scheiblbrandner, Mitglied der Initiative, zehn Fettnäpfchen von Freundinnen dicker Frauen. Ein Klassiker unter gut gemeinten Komplimenten etwa ist „Wow, du siehst gut aus, hast du abgenommen?“. Diese Frage suggeriere, dass es keinen anderen Grund gäbe, um gut auszusehen. Ein wahres Kompliment brauche keine Gewichtsklassifizierung, ein einfaches „Wow, du siehst aber gut aus“ reiche. Ein weiteres Fettnäpfchen, mit dem dicke Frauen konfrontiert werden, ist: „Du hast ein sehr hübsches Gesicht, du wärst eine richtige Schönheit, wenn du etwas schlanker wärst“. Für die Mitglieder der ARGE bedeutet dieser Satz übersetzt „ich finde deinen Körper hässlich“. „Eine Frau ist nicht in ihre Einzelteile zerlegbar, sie ist ein Gesamtpaket“, argumentiert Magda Scheiblbrandner. Auch die Aussage „Sicher gibt es Männer, die auf dicke Frauen stehen“ wird von den Mitgliedern der ARGE als verletzend empfunden. Der Wert einer Frau hänge nicht von Männern ab, man müsse für niemanden sexy sein und Männern nicht gefallen. Es folgen sieben weitere Fettnäpfchen.

Dicke Frauen – historisch, politisch, wirtschaftlich.
In der anschließenden Diskussion stellen die Teilnehmer*innen fest, dass die Normierung weiblicher Körper mit dem Erstarken der Frauenbewegung Ende der 50er Jahre einherging. „Kaum war der Kriegshunger vorbei, kam auch schon der Schlankheitshunger“, betont Magda Scheiblbrandner. Zugleich nehmen in den letzten Jahren Vorwürfe, dicke Menschen seien für ihr Gewicht selbst verantwortlich und „selber schuld“ zu. Die steigende Kritik am Dicksein habe auch dazu geführt, dass weltweit Körperpolitik zunehme, so stehe etwa auf der WHO Agenda Übergewicht auszumerzen. Auch die US-Initiative von Michelle Obama gegen dicke Kinder wurde in diesem Zusammenhang kritisiert. Neben den politischen Aspekten der Körpernormierung wurden auch wirtschaftliche Faktoren diskutiert. Der Schlankheitswahn sei eine kapitalistische Wirtschaftskraft, der den Konsum am Laufen halte. „Wenn alle ihre Körper lieben würden, ginge es mit der Wirtschaft bergab“, so eine Teilnehmerin, „dann würden wir merken wie mächtig wir sind.“ Zur Diskussion steht auch die Frage nach der Solidarisierung mit dicken Männern. Für Patricia Wendling gibt es hier kaum Parallelen, die Unterdrückungsverhältnisse seien nicht vergleichbar. Dennoch gäbe es vereinzelt Solidaritätsbekundungen.

Was ist Schönheit?
„In Mali“, erzählt eine Teilnehmerin „werden Frauen von Männern geradezu gemästet, weil es dem dortigen Schönheitsideal entspricht“. Schönheitsideale sollen sich nicht an männlichen Wunschvorstellungen orientieren, jede Frau ist für sich schön, so der Tenor. Kunst könne dabei helfen, seine eigene Schönheit zu entdecken und seinen Körper lieben zu lernen, etwa durch ästhetische Aktfotografie. Eine Künstlerin und eine Visagistin aus dem Publikum betonen in diesem Zusammenhang, dass Schönheit unabhängig vom Gewicht sei - das Individuelle, Einzigartige mache Menschen schön und interessant.

Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft und ist Redaktionsmitglied der GBW Wien.


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