Die deutschnationalen Burschenschaften und ihre Netzwerke.
Fragen zu deutschnationalen Burschenschaften stellte sich bei einem Vortrag am 28. Jänner 2013 Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands auf Einladung der Jungen Grünen. Anlass war der Ball des Wiener Korporationsrings (WKR-Ball), der auch heuer wieder – unter dem falschen Namen Akademikerball – in der Hofburg stattfand.
Nicht alle Burschenschaften sind „schlagend“.
Am Beginn unterschied Heribert Schiedel zwei Arten von Korporationen. Auf der einen Seite gibt es so genannte katholische Burschenschaften mit einer Nähe zur Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Sie sind nicht-schlagend, weil das dem christlichen Leitbild widersprechen würde. Diese sind in Dachverbänden wie dem Mittelschüler-Kartell-Verband, dem Cartellverband (CV) oder im Akademischen Bund katholisch-österreichischer Landsmannschaften (KÖL) organisiert.
Auf der anderen Seite gibt es die deutschnationalen schlagenden Burschenschaften, die völkisch und anti-klerikal sind. Auf Mittelschulebene zählen dazu die Pennalen, auf Akademikerebene gibt es die Dachverbände Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG) und die Deutsche Burschenschaft in Österreich (DBÖ). Die meisten Burschenschaften gehören beiden Dachverbänden an, etwa auch die Wiener akademische Burschenschaft Olympia. Man erkennt schlagende Burschenschaften auch an Abkürzungen wie B!B! für Burschenschaften und C!C! für Corps. Sie haben besonders enge politische Bindungen.
Was bedeutet „schlagende Burschenschafter“?
Zwischen Burschenschaftern gibt es ritualisierte Fechtduelle, genannt Mensuren. Durch ihre Schmisse (vernarbte Schnittwunden) heben sich die Burschenschafter auch im Alltag äußerlich von anderen Studenten ab.
Die Mensur ist gleichzeitig auch ein Initiationsritus. Auf der untersten Stufe ist der Student ein „Fuchs“ bzw. „Fux“. In dieser – oft einjährigen – Probezeit wird er durch die höheren Burschenschafter erniedrigt und so auf die Probe gestellt. HC Strache, der selbst in einer pennalen Schülerverbindung war, begründete diese Phase einmal mit den Worten „Wer führen will, muss auch gehorchen lernen“, so Schiedel. Tatsächlich sei es eine Zeit der extremen Erniedrigung. Übersteht man diese Probezeit, wird man zum „Burschen“. „Alte Herren“ schließlich haben ihre Ausbildung bereits abgeschlossen. Sie sind der Burschenschaft nicht nur finanziell verpflichtet, sie bilden auch ein für die Karriere nützliches Netzwerk. Bei einer Burschenschaft handelt es sich also um einen „Lebensbund“, obwohl auch ein Ausschluss „cum infamia“ (mit Schimpf und Schande) möglich ist. Ausschlussgründe sind die Verletzung der Geheimhaltung, Ehrverletzung, schlechtes Benehmen oder Ausbleiben des Studienerfolges.
Welche Funktionen erfüllen heute die Burschenschaften?
Von rund 34.000 Korporierten sind nur etwa 4.000 schlagende Burschenschafter. Diese Minderheit fällt jedoch regelmäßig durch ihre Nähe zum Rechtsextremismus auf. Burschenschaften wie die Olympia des dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf oder die Teutonia bilden ein Scharnier zwischen der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und der Neonaziszene. Das Problem sei, so Schiedel, dass sich dort oft honorige Personen mit ehemaligen Neonazis mischen. Spricht man Burschenschafter auf diese Tatsache an, erhält man häufig die Antwort: „Jeder macht Fehler.“ Es stelle sich natürlich die Frage, ob gerade Burschenschaften ein geeigneter Raum zur Resozialisierung von Neonazis sind.
Eine zweite Funktion sei der Kadernachwuchs für die FPÖ. Jörg Haider hatte versucht, den Deutschnationalismus durch aggressiven Österreich-Patriotismus zu ersetzen und Burschenschafter nicht in die erste Reihe der FPÖ gelassen. Nach dem „Knittelfelder Putsch“ (2002) führte HC Strache die FPÖ jedoch wieder nach rechts außen. Ohne die Burschenschafter hätte die Partei die Spaltung nicht überlebt, so Schiedel, weil sie die notwendige Funktionärsbasis stellten.
Aktuelle Entwicklungen.
Die darauffolgende rege Diskussion drehte sich in erster Linie um aktuelle Entwicklungen bei den Burschenschaften. Ein Diskutant stellte die Frage nach der Rolle des Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), den Heribert Schiedel ganz klar als hochschulpolitischen Arm der Burschenschaften sieht.
Eine Diskutantin stellt die Frage nach der Sozialisierung von Burschenschaftern. Rund 80 Prozent der Burschenschafter, so Schiedel, seien Kinder oder Enkel von Korporierten. Nur wenige werden in der Jugendzeit über pennale Verbindungen „gekeilt“. Deshalb sei es wichtig zu erkennen, dass die meisten Burschenschafter Akademikerfamilien entstammen. Das würde auch die fälschliche Wahrnehmung, dass Neonazis vornehmlich aus bildungsfernen Schichten kämen, revidieren.
Österreichische beziehungsweise „ostmärkische“ Burschenschaften sind weitaus radikaler als deutsche. Warum ist das so? Heribert Schiedel vertritt die These, dass an der Grenze, also in der Ostmark, der Führungsanspruch aus der Frontaufgabe und die Angst, doch nicht so deutsch zu sein, wesentlich dazu beitrugen.
Die letzte Fragenrunde drehte sich vornehmlich um den anstehenden WKR-Ball und ob er wohl wieder ähnliche Aufmerksamkeit wie 2012 erhalten würde. Heribert Schiedel hielt das für unwahrscheinlich, denn nur die Debatte im letzten Jahr habe zu dieser breiten Mobilisierung geführt. Für einige Diskutant*innen stellte sich auch die Frage, warum der Zugang so streng kontrolliert wird. Das Publikum äußerte die Vermutung, dass man nicht nur Angst vor Störaktionen habe, sondern etwas verbergen wolle. Heribert Schiedel untermauerte diesen Verdacht mit seiner Erfahrung, dass auch bei Diskussionen mit Burschenschaftern nur geschulte Mitglieder sprechen dürfen, denen bereits eine „verbotsgesetzkompatible Sprache“ antrainiert wurde. Bei einer Veranstaltung wie dem WKR-Ball könne man das wohl zu späterer Stunde nicht mehr garantieren.
Die Autorin, Daniela Wiebogen, hat Internationale Entwicklung studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Fotos zur Veranstaltung:
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