Die Internationalisierung der Sexarbeit.

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Mit welchen Problemen sehen sich Migrantinnen in der Sexarbeit konfrontiert? Warum ist es problematisch, Sexarbeiterinnen als Opfer von Frauenhandel und sexueller Gewalt zu definieren? Und was kann gegen die Rechtsunsicherheit migrantischer Sexarbeiterinnen getan werden? Diese und viele weitere Fragen stehen bei der von Faika El-Nagashi, sozialpolitische Referentin des Grünen Klubs im Rathaus, moderierten Veranstaltung im Zentrum der Diskussion.
Transnationale Migration und Sexarbeit
Die Internationalisierung der Sexarbeit fuße laut einer LEFÖ-Expertin auf der seit den 1970er Jahren andauernden neoliberalen Umstrukturierung. Der damit verbundene Anstieg sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheiten habe sich auf Frauen weltweit negativ ausgewirkt. Die Feminisierung der Armut führte zur Feminisierung der Migration, die wiederum einen Anstieg an Migrantinnen in der Sexarbeit bedingt habe. Dabei seien auch geografische Verlagerungen feststellbar: Während in den 1970er Jahren Sexarbeiterinnen häufig aus dem südostasiatischen Raum zuwanderten, verlagerte sich dies nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auf Osteuropa. Seit 2014 stellt LEFÖ einen Anstieg chinesischer Sexarbeiterinnen fest, die nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Hürden für die Organisation nur schwer zugänglich seien.
Von der Rechtlosigkeit migrantischer Sexarbeiterinnen.
Die Erfahrung von LEFÖ zeigt, dass die Verzahnung von Prostitutionsgesetzen mit Fremden- und Arbeitsrecht eine der Kernursachen für die Marginalisierung migrantischer Sexarbeiterinnen ist. Eine Arbeitsbewilligung und einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sei für diese Frauen aufgrund bürokratischer Hürden kaum möglich. Daraus resultieren prekäre Lebensbedingungen und Abhängigkeitsverhältnisse, die es erschweren, gegen Gewalt und Ausbeutung aufzubegehren. Die Probleme beginnen bereits dabei, sich eine Wohnung leisten und sie beziehen zu können. Ohne Meldezettel ist eine Registrierung als Sexarbeiterin nicht möglich. Ohne legales Einkommen können sie sich und ihre Kinder nicht krankenversichern und erhalten keine Sozialleistungen, wie etwa die Kinderbeihilfe. Selbst wenn eine Migrantin als registrierte Sexarbeiterin tätig ist, entstehen bei den Behörden häufig Wartezeiten von über einem Jahr. „Diese Vorgehensweise erweckt den Anschein“, argumentiert eine Mitarbeiterin von LEFÖ, „dass man Migrantinnen vom österreichischen Sozialsystem fernhalten möchte.“ Hinzu kommt, dass lange behördliche Wartezeiten Sexarbeiterinnen in die Illegalität drängen.
LEFÖ fordert daher reguläre Arbeitsverhältnisse für Sexarbeiterinnen, damit sie wie alle anderen österreichischen Arbeitnehmer*innen von ihren Rechten Gebrauch machen können – eine Forderung, die unter den Teilnehmer*innen nicht unumstritten ist: „Selbstbestimmung ist das Wesen der Sexarbeit.“ Die Forderung sei kontraproduktiv und würde den Frauen die Möglichkeit nehmen, frei über sich und ihren Körper zu verfügen und etwa auch Freier ablehnen zu können. Für LEFÖ hingegen stehen Forderungen nach einer Arbeitserlaubnis und einer Aufenthaltsgenehmigung im Zentrum der Argumentation.
Sexarbeit ? Frauenhandel.
Prostitution definiert LEFÖ als freiwillige sexuelle Dienstleistung, die auf einem einvernehmlichen Vertrag zwischen Erwachsenen basiert. Ohne Einverständnis handle es sich um sexuelle Gewalt. Frauenhandel hingegen sei ein internationales Strafdelikt und eine Form genderspezifischer Gewalt gegen Frauen. Unter falschen Versprechungen emigrieren Frauen ins Ausland, wo sie zu Sexarbeit oder anderen Tätigkeiten gezwungen werden. Während Prostituierte ihrer Arbeit selbstbestimmt und freiwillig nachgehen können, leben Opfer von Frauenhandel in Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen.
Die Gleichsetzung von Sexarbeit mit sexueller Gewalt ist nicht neu, bereits im 19. Jahrhundert machten sich Frauen für die Abschaffung von Sexarbeit stark. Diese Bestrebung wurde durch die derzeitige Gleichsetzung von Frauenhandel und Sexarbeit wieder stärker.
Prostituierte pauschal als Opfer von Frauenhandel zu definieren, habe laut LEFÖ zur Folge, dass Sexarbeiterinnen nicht als Subjekte, die eigenständig bewusste Entscheidungen treffen, definiert werden. Im Gegenteil, sie werden als Opfer sexueller Ausbeutung stigmatisiert.
Unter besonderer Kritik steht bei der Veranstaltung die österreichische Gesetzeslage: Betroffene von Frauenhandel können nur dann in Österreich bleiben, wenn sie vor Gericht gegen die Täter*innen aussagen und auch eine reale Chance besteht, dass diese verurteilt werden. Die Drohung von Menschenhändler*innen, sich an der Familie des Opfers zu rächen und die hohe Wahrscheinlichkeit trotz einer polizeilichen Anzeige abgeschoben zu werden, machen rechtliche Schritte gegen Täter*innen reichlich unattraktiv. LEFÖ fordert daher „aus einer menschenrechtlichen Perspektive gegen Frauenhandel zu kämpfen und den Diskurs zum Thema Sexarbeit von Moral und Kriminalität zu entkoppeln.“
Selbstbestimmung. Mitsprache. Empathie.
Auf der Suche nach möglichen Lösungsstrategien sind sich die Teilnehmer*innen der Veranstaltung einig, dass die Rechte von Sexarbeiterinnen gestärkt werden sollten. Statt Sexarbeiterinnen zu marginalisieren, sei es notwendig sie in die Diskussionen und Entscheidungsprozesse miteinzubeziehen. Sexarbeit dürfe nicht mit Frauenhandel und Kriminalität gleichgesetzt werden, um Sexarbeiterinnen als selbstbestimmte Subjekte wahrzunehmen. Derzeit ist das Gegenteil der Fall: In Wien etwa müssen sich Sexarbeiterinnen als einzige Berufsgruppe bei der Polizei registrieren lassen. Sowohl die Mitarbeiter*innen von LEFÖ als auch von sexworker.at haben mit der Polizei negative Erfahrungen gemacht: von fehlendem Willen Opfern zu helfen und Täter*innen zu fassen, bis hin zu Vorverurteilungen, Stigmatisierungen und rassistischen Übergriffen. Obwohl nicht alle Polizist*innen in den gleichen Topf geworfen werden dürfen, seien Maßnahmen zur Sensibilisierung der Polizei für die Lebenswelt von Sexarbeiterinnen unabdingbar. Sogenannte “Vertrauenspolizist*innen“ als explizite Kontaktpersonen für Sexarbeiterinnen und Opfer von Frauenhandel seien ein erster Schritt in die richtige Richtung. Damit Prostituierte eine Anzeige bei der Polizei überhaupt in Erwägung ziehen würden, dürfen sie nicht länger in die Illegalität gedrängt werden. Die Stärkung ihres rechtlichen Status als Erwerbstätige und Zugang zu Arbeitserlaubnissen und Aufenthaltstiteln sind hierfür zwingend. Nur so können migrantische Sexarbeiterinnen von ihren Rechten Gebrauch machen und sich gegen Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt zur Wehr setzen.
Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Sie ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien.
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