Die letzte Grenze des Kapitalismus?

GBW
Nach über fünf Jahren Finanz-, Wirtschafts- und Staatskrise sitzt das kapitalistische System noch immer fest im Sattel. Es scheint eher, als wäre es noch dominanter geworden, als hätte es seine Logik auf noch mehr Lebensbereiche ausdehnen können und als wären Alternativen in noch weitere Ferne gerückt.
Ein anderes Bild zeichnete Elmar Altvater in seinem Vortrag am 24. und Workshop am 25. Jänner 2014, den die Grüne Bildungswerkstatt Wien zusammen mit den Instituten Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft der Universität Wien veranstaltete. Der emeritierte Professor für Politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin widmete einen großen Teil seines Lebens der Analyse und Kritik des Kapitalismus. Er war Mitbegründer der Zeitschrift PROKLA – Probleme des Klassenkampfs, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC und hat zahlreiche kapitalismuskritische Bücher geschrieben, unter anderem „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (2005, Westfälisches Dampfboot).
Chamäleon Kapitalismus.
Zentrale Elemente des Erfolges des Kapitalismus sind laut Altvater seine Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Dies zeige sich nicht nur in seinen historischen Veränderungen von der Manufakturperiode über die Großindustrie zum Fordismus und Postfordismus, sondern auch in seinen unterschiedlichen geographischen Ausprägungen im Rahmen von Imperialismus und Globalisierung.
Auch aus sozialen, ökologischen und politischen Krisen sei der Kapitalismus bisher dank seiner Wandlungsfähigkeit meist gestärkt hervorgegangen. Und auch die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fast regelmäßige Wiederkehr von ökonomischen Krisen, die je nach Interpretation auf mangelhafter Nachfrage, Überangebot oder schlechten Profitaussichten beruhen, hätte dem kapitalistischen System nie längerfristig geschadet. Dies sei vor allem auch dank neuer Technologien gelungen. Die Erfindung von Dampfmaschine, Eisenbahn oder der modernen Informationstechnologie habe laut Altvater zu immer neuen Wachstumsschüben geführt.
Für den Erfolg des Kapitalismus sei auch seine Fähigkeit verantwortlich, immer neue Bereiche den Sachzwängen des Marktes unterzuordnen. Wichtigste Beispiele seien hier Arbeit, Natur und Geld, die im kapitalistischen System erstmals zu Waren wurden. Allen dreien gemeinsam sei, dass sie nicht von Kapitalist*innen produziert werden müssen. Familien „erzeugten“ mit ihrer Reproduktionsarbeit immer neue Arbeitskraft, die Natur könne sich der Kapitalismus gewaltsam aneignen und Geld würde von Zentralbanken geschöpft.
Der doppelte Charakter der Akkumulation.
Das kapitalistische System stehe laut Altvater gegenwärtig aber Grenzen gegenüber, deren Überschreitung katastrophale Auswirkungen für den Planeten Erde haben würde. Grundlegend für diese Entwicklung sei der doppelte Charakter des Akkumulationsprozesses, also des Vorgangs der Vermehrung von Kapital.
Die Beschreibung des doppelten Charakters der Akkumulation beruhe auf Marx. Demnach sei jeder ökonomische Prozess gleichzeitig ein Prozess der Transformation von Energie und Stoffen in Gebrauchswerte und andererseits ein Prozess der Verwertung von vorgeschossenem Kapital. Diese beiden Prozesse wiesen gegensätzliche Eigenschaften auf, woraus sich ein problematischer Widerspruch im System ergebe.
Die Transformation von Energie und Stoffen sei demnach ein qualitativer Prozess, bei dem sich der Charakter der Inputs verändere. Es entstünden neue Waren, aber auch Abfall und Verschmutzung. Die Verwertung von Kapital sei hingegen quantitativ. Es ginge lediglich um die Vermehrung von Geld und Kapital, ganz im Sinne der Profitinteressen.
Die Transformation von Energie und Stoffen sei nicht umkehrbar, die Verwertung von Kapital könne beliebig oft wiederholt werden. In diesem Sinne sei der Transformationsprozess vor allem auch ein kumulativer Prozess: Nicht-erneuerbare Rohstoffe neigten sich dem Ende zu, wie das etwa bei Öl zu beobachten sei. Andererseits würden Abfallprodukte der Nutzung von Öl, wie etwa CO2, massiv zunehmen. Die Verwertung von Kapital sei hingegen ein zyklischer Prozess.
Die Grenzen des Wachstums.
Laut Altvater erreiche man durch diese Prozesse irgendwann sogenannte Kipppunkte: Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, wolle man ökonomische und planetarische Katastrophen verhindern. Gegenwärtig steuerten wir sehenden Auges auf diese Kipppunkte zu: Rohstoffe würden immer knapper („peak everything“), gleichzeitig würde die Nachfrage dank des Aufstiegs der Schwellenländer immer stärker ansteigen. Doch auf Grund der planetarischen Grenzen, die etwa am Klimawandel und am Verlust der Artenvielfalt klar zu erkennen seien, seien dem quantitativen Wachstum klare Schranken gesetzt.
In diesem Sinne dürften die aktuelle ökonomische und ökologische Krise laut Altvater nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Denn wenn versucht würde, nur eine der beiden Krisen zu bewältigen, hätte das fast immer negative Folgen auf die jeweils andere Krise. Ein gutes Beispiel dafür sei der Versuch, durch neue Formen der Ölgewinnung die drohende Energieverknappung zu verhindern. Denn Tiefseebohrungen, Bohrungen am Polarkreis, Fracking oder die Umwandlung von Nahrung in Treibstoff hätten bekanntermaßen zahlreiche negative und unberechenbare Auswirkungen auf die Umwelt.
Es braucht ein Umdenken.
All diese Analysen zeigten für Altvater deutlich, dass „business as usual“ kein Ausweg sei. Auch die Hoffnung auf grüne Technologien, von denen sich die Grünen und auch das UN Umweltprogramm im Sinne eines Green New Deals eine Fortführung des Wachstumsmodells erwarten würden, sei eine Illusion. Denn die inneren Widersprüche des kapitalistischen Systems seien nicht zu versöhnen.
Für Altvater müssen die politischen Schlussfolgerungen verschiedene Dimensionen einschließen. In Bezug auf die aktuelle Krise gelte es, die Austeritätsdoktrin, die den EU-Staaten das Spardiktat auferlegt, rasch zu beenden, da sie die Krise verschärfe und den sozialen Konsens und den Sozialstaat zerstöre. Weiters müsse man Schulden streichen, wie dies schon seit Anbeginn der Geldwirtschaft üblich sei. Damit einhergehen müsse die Streichung von Vermögen, also die Einführung einer Vermögenssteuer.
Die Wirtschaft als Gesamtes müsse auf neue Grundlagen gestellt werden. Dafür gelte es die energetische Basis auf erneuerbare und dezentralisierte Energien umzustellen. Auch die Warenproduktion müsse dezentralisiert werden. Zu denken sei dabei an Genossenschaften und Formen der solidarischen Ökonomie. Grundlage wirtschaftlicher Aktivitäten dürfe nicht mehr die Profitorientierung sein, sondern eine moralische Ökonomie mit neuen Werten und Prinzipien.
Um diese Ziele zu erreichen sei es laut Altvater unser aller Aufgabe, neue Konzepte und Utopien zu entwerfen und vorzuleben.
Der Autor, Manuel Melzer, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Videoaufzeichnung des Vortrags vom 24.1.2014