Ein künstlerisches Forschungslabor zu Kooperation und Konkurrenz.
Andreas Dittrich
Der Co-Space Kandlgasse stand am 30. September und 1. Oktober 2014 ganz im Zeichen einer besonderen Versuchsanordnung: In einem „BarCamp“, einer „Unkonferenz“ abseits der festen Regeln wissenschaftlicher Veranstaltungen, spielten Kulturschaffende aus den Bereichen Medienkunst sowie Kunsttechnologie mit- und gegeneinander. Der offene künstlerisch-experimentelle Charakter des Spiels als Form der Diskussion förderte den selbständigen inhaltlichen Austausch der Besucher*innen. Sie waren zugleich Teilnehmer*innen und Hauptakteur*innen einer Auseinandersetzung über die Rolle von Künstler*innen und deren Kooperations- sowie Konkurrenzbereitschaft.
Spielsetting.
Die Teilnehmer*innen verteilten sich an mehreren Tischen und erhielten Spielkärtchen mit Zitaten aus den Bereichen Kunstgeschichte, Psychologie, Soziologie, Wirtschafts- und Spieltheorie. Die jeweiligen Tischgruppen diskutierten die vorgegebenen Zitate und paarten gemeinschaftlich verschiedene Zitate auf kreative Art und Weise zu Sinneinheiten. Entweder verwendeten sie die vorhandenen Zitate, welche theoretische Anrisse über Kooperation und Konkurrenz sowie die Möglichkeit von Gesellschaft heute wiedergaben, oder sogenannte „Blank Cards“, die mit eigenen Aussagen beschrieben werden konnten. Die Spielleitung bewertete solche sinnhaften Zusammenführungen zweier Zitate, sogenannte „Stichsets“, gemäß acht eigens entwickelten Kriterien.
Kriterien und Beurteilung.
Die Bewertung basierte auf Ansätzen aus der Kreativitätsforschung: Welchen (1) Nutzwert hatte ein Stichset bei der Beantwortung der allgemeinen Forschungsfrage und wie viel (2) Kooperations- oder aber (3) Konkurrenzbereitschaft ließ sich in der Gruppendynamik und/oder den Inhalten eines Stichsets erkennen? Ebenso galten (4) Wirksamkeit und Relevanz eines Stichsets in seinem thematischen Feld, sogenannte (5) „Ideenflüssigkeit“, das heißt, die Fähigkeit schnell eine Vielzahl an Ideen zu generieren und die (6) Sensibilität komplexen Fragestellungen gegenüber als Maßstäbe. Auch (7) Originalität und Innovation sowie das Ausmaß, in dem sie den Diskurs dadurch in eine neue Richtung lenkten, waren Kriterien; ebenso die (8) Konsistenz und Konstruktivität einer Aussage und das Maß, in dem sie die Diskussion in Folge einen Schritt weiter gebracht hatte.
Zur Beurteilung vergab die Spielleitung Kärtchen mit einem Barcode, ähnlich einer Wertmarke, als fiktive Belohnung. Diese Barcodekärtchen konnten die Spieler*innen in ein interaktives Sound- und Lichtsystem einspeisen, welches über Musik- und Lichtstimmungen eine verzögerte atmosphärische Rückwirkung in den Raum erzeugte. Versteckte Joker-Karten ermöglichten, dass ein Stichset auf jeden Fall als gewonnen galt, sogenannte „Trickster Cards“ erlaubten die Veränderung eines Zitats oder aber einer Spielregel. Da die Spielleitung nicht jede Einzeläußerung und Diskussion mitverfolgen konnte, war die Beurteilung der Stichsets in jedem Fall fiktiv. Vielmehr handelte es sich um einen zusätzlichen performativen Provokationsfaktor, welcher die Besucher*innen verstärkt in eine Konkurrenzsituation versetzen sollte.

GBW
Künstlerisches Forschungslabor.
In diesem titelgebenden „Haifischpool“, ein künstlerisch erzeugtes Feld der Konkurrenz, lenkte eine auch als „Solo Trickster“ bezeichnete fiktiv-autokratische Moderationsführung. Unter streng vorgegebenen Regeln wurden menschliche Zusammenarbeit oder Nicht-Zusammenarbeit, gruppendynamisches Verhalten sowie das Zusammenspiel von Mensch und Technologie erprobt. Die meisten Spieler*innen akzeptierten dabei die Spielleitung schnell als autoritäre Instanz. Der Laborversuch setzte zur Beantwortung der Frage „Sind wir wirklich alle so kooperativ wie wir es vorgeben zu sein?“ einen künstlerischen Forschungsprozess in Gang, welcher in sich selbst als Ergebnis und als Kunstwerk verstanden werden kann. Das in seiner Ausformung niederschwellige Spiel konfrontierte seine Teilnehmer*innen mit höchst komplexen, philosophischen Inhalten der Spieltheorie, Kognitionstheorie, Kreativitätstheorie sowie Neurotechnologie und forderte zur gemeinsamen Denkleistung heraus. Je nach Zusammensetzung gingen die Gruppen mit dem geschaffenen Konkurrenzsetting auf unterschiedliche Weise um. Dies resultierte fallweise in Kooperation in höchstem Maße, in anderen Fällen jedoch auch in boykottierenden Isolationsäußerungen und destruktiven Beitragshaltungen bis hin zu über das Spielsetting hinaus persönlich genommenen Feindschaften. Dieses Forschungslabor kann auch als eine demokratische Übung verstanden werden, als ein künstlerisches Angebot zur Auseinandersetzung damit, wie es möglich ist, sich als Gruppe zu formieren, als Gesellschaft zu ordnen und zusammenzuarbeiten. Die Spielregeln, welche das künstlerische Labor überhaupt erst zu einem solchen machten, sollten von den Teilnehmenden dabei auch als Aufforderung zum Brechen selbiger verstanden werden – eine Einladung, die von so manchen Besucher*innen gerne angenommen wurde.
Von und mit:
Arthur Denisson, Eargazm, Karl Kilian, Peter Koger, Agnes Peschta, Susanne Schuda, Christian Stefaner-Schmid, Brigitte Wilfing und Alexandra Reill.
Produktion:
kanonmedia
in Kooperation mit:
CO SPACE
Grüne Bildungswerkstatt Wien
Peter J. Fuchs "DIRECT MARKETING“?
pink zebra theatre
mit Unterstützung durch:
Kulturabteilung der Stadt Wien
Kulturkommission 1070 Wien
im Rahmen des kultur.herbst.NEUBAU
Die Autorin Elisabeth Bernroitner ist Kulturarbeiterin im KunstSozialRaum Brunnenpassage und Doktorandin der Kultur- und Sozialanthropologie.