Ernährung. Macht. Sicherheit.
Pünktlichkeit wird beim Österreichischen Bundesheer groß geschrieben. Das war auch den rund 200 Interessierten klar, die der Einladung zur hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion gefolgt waren. Um 18:30 war die Sala Terrena voll und GenLt Mag. Erich Csitkovits hob zu seiner Eröffnungsrede an:
Millionen von Gründen.
„Seit 2009 besteht nun schon die Kooperation der Landesverteidigungsakademie mit der BOKU.“ Kern dieser Kooperation sei die interdisziplinäre Zusammenarbeit aber auch der Ausbau von Kompetenz und Beurteilung von Sicherheitsfragen. „Warum sich die Landesverteidigungsakademie und das Bundesheer mit Ernährung und deren Sicherheit auseinandersetzen, kann 80.000 oder 160.000 Gründe haben“, sagt Csitkovits, „aber auch 43 Millionen Gründe“. Dann erklärt er: „43 Millionen Europäer haben nicht genug zu essen, 842 Millionen Menschen leiden an Nahrungsmangel und Unterernährung, vor allem in Afrika und Asien. Und eine Million Menschen sind in Österreich armutsgefährdet.“ Bis Ende 2013 werden hierzulande an 180.000 Menschen Lebensmittel verteilt worden sein, so der Generalleutnant zu den beschämenden und tristen Fakten.
Interdisziplinär.
Sichere Ernährung sei als Herausforderung im Kontext von Klimawandel, Erderwärmung, Dürre, demographischer Entwicklung und Bevölkerungswachstum zu sehen, sagt Csitkovits. Daraus leite sich eine entsprechende Sicherheitspolitik ab. „Moderne Sicherheitspolitik ist heute ein Querschnittsthema, das in beinahe allen Lebens- und Politikbereichen mitgedacht werden muss. Sie muss umfassend und integriert angelegt, proaktiv gestaltet und solidarisch umgesetzt werden.“
Die Frage um Ernährungssicherheit ist nicht nur eine wissenschaftliche, sondern sie ist ein globales Thema. Daher sei es wichtig, dieses Thema mittels Diskussion und Film zu verbreiten, schließt Csitkovits und übergibt das Wort Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Martin Gerzabek, Rektor der BOKU.
Weltbodenressourcen.
Gerzabek weist auf zusätzliche Herausforderungen, wie zunehmende Nahrungs- und Futtermittelproduktion und Energiegewinnung hin. „Heute sind bereits viele Weltbodenressourcen weg“, sagt Gerzabek. Die Urbanisierung steige, fruchtbare Böden gebe es immer weniger. Eine nachhaltige Entwicklung sei hier wichtig, weil die landwirtschaftliche Produktion sich noch steigern wird.
Bezüglich Verteilung der Produktionsflächen könnten Russland, China, USA Zuwachs aufweisen, indes Südeuropa, Asien, Indien nutzbare Flächen verlieren könnten. Bei den Bodenressourcen gelte, es braucht eine bessere Anpassung an lokale Gegebenheiten. Biologische Landwirtschaft, organische Dünger, Präzisionslandwirtschaft, optimierte Bewässerungssysteme, eine Mischung aus Land- und Forstwirtschaft sowie Optimierung von Nachernte- und Lagerungstechnik spielten hierbei eine wichtige Rolle.
Wagenhofer-Filmdoku: „We Feed the World“.
Im Folgenden sieht das Publikum 30 Minuten Filmausschnitte aus der 2005 entstandenen Dokumentation des globalisierungskritischen, österreichischen Filmemachers Erwin Wagenhofer. Die Ausschnitte zeigen die Macht globaler Konzerne wie Nestlé, Profitmaximierung, Urwaldrodung in Brasilien zwecks Soja-Futtermittelanbau, Tierfabriken, einen EU-kritischen und gegen Dumpingpreise wetternden Jean Ziegler, die Zerstörung der Existenzgrundlage von Kleinbauern und „Freihandel“ als Wurzel allen Übels. Viele im Publikum haben den Film bereits im Kino gesehen und man fragt sich: Was hat sich seither gebessert?
Das Podium.
Nach der Filmvorführung begrüßt schließlich der schneidige Moderator Bgdr. Dr. Walter Feichtinger die Diskutanten am Podium: Regisseur Erwin Wagenhofer, Univ.Prof. Dr. Markus Hofreither vom Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung an der BOKU und Dr. Friedrich Sövegjarto, AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit)-Abteilungsleiter für Lebensmittelsicherheit.
„Unser Problem sind die Gebildeten“.
Auf die Frage, was sich denn seit 2005, als We Feed the World ins Kino kam, geändert hat, erklärt Wagenhofer provokant, hinter seiner Doku-Trilogie, We Feed the World (2005), Let´s Make Money (2008) und jetzt Alphabet (2013), stecke ein gemeinsames Problem: gebildete Menschen.
Es seien Menschen mit Studium bis hin zu Harvard-Abschlüssen, Akademiker, wie zum Beispiel Nestlé Chef Peter Brabeck oder Banker wie Josef Ackermann, denen wir es zu verdanken haben, dass sich die Probleme nicht entschärft hätten. Egal ob im Bereich Lebensmittel, Finanzmärkte oder Bildung. Zur Finanzkrise sagt Wagenhofer, sie sei von eben diesen Gebildeten vorsätzlich ausgelöst worden. Ebenso Spekulationen auf Nahrungsmittel. Hinter diesen Entwicklungen stehe dieselbe Haltung: der Glaube an Wohlstand durch Gier, Macht, Profit, Wachstum, Bildung. Daher bräuchten wir eine neue Wertediskussion.
Ein Nichtakademiker zeigt´s vor.
Als positives Beispiel nennt Wagenhofer den österreichischen Schokoladenhersteller Josef Zotter. Dieser stellt fair produzierte Schokolade in Bioqualität her. Nach dem Motto „Essen Sie weniger, genießen Sie mehr“ funktioniere Zotters Idee im oberen Schokoladen-Preissegment, sagt Wagenhofer. Faire Verträge mit Kakao-Produzenten, stabile Beziehungen und nachhaltige Konzepte sorgen dafür, dass die Menschen in ihrem Land eine Existenzgrundlage haben und nicht flüchten müssen. „Zotter“, betont Wagenhofer, „ist übrigens kein Akademiker.“
12 Milliarden Menschen – und Sicherheit?
Wie verlässlich und wie realistisch sind eigentlich sich immer wieder ändernde Zahlen darüber, wie viele Menschen unser Planet ernähren kann? „Können wir wirklich 12 Milliarden Menschen problemlos ernähren, wie der World Food Report der FAO behauptet?“, fragt der Moderator den BOKU Professor.
„Ja, wenn wir den Fleischkonsum reduzieren und die Fragen ins Zentrum stellen: Was produzieren wir und wie produzieren wir es? Aber die wirkliche Frage ist, wer hat welchen beziehungsweise keinen Zugang zu Nahrung?“, antwortet Hofreither. Landgrabbing sei dabei ein Problem. „Die Saudis kaufen sich in Afrika ein, in Äthiopien wird die ursprüngliche Bevölkerung vertrieben.“
Und wie können wir bei unserem westlichen Überangebot an Nahrung Lebensmittelsicherheit gewährleisten? Dazu Sövegjarto: „ Die AGES untersucht Lebensmittelproben. Wir haben ein strenges Überwachungssystem.“ In Österreich werde man nicht krank vom Essen. Problematisch seien vielmehr Fehlernährung und schlechte Ernährungsgewohnheiten.
Macht.
Im Publikum wird moniert, der Machtaspekt im Titel der Veranstaltung sei bis jetzt zu kurz gekommen. Sövegjarto meint, die Macht liege im Bereich der Lebensmittelproduzenten. Die AGES könne nur durch Proben, Untersuchung und Kontrolle auf die Einhaltung der Gesetze achten. Zudem seien vor allem die Konsument*innen verantwortlich dafür, was gekauft würde.
Dem widerspricht vehement eine junge Frau im Publikum: „Die Macht hat der Handel, nicht der Konsument“, sagt sie. „Der Handel entscheidet, was in seine Regale kommt.“ Die Mehrheit der Konsumierenden hätte weder die Zeit, noch das Geld, noch ausreichend Infos und Bildung, erlesene Geschäfte und kleinstrukturierte Lebensmittelkooperativen aufzusuchen, um dort faire, biologische und regionale Produkte zu kaufen. Günstig und vor der Haustüre, das sei entscheidend.
Neue Werte für die Bildung(selite).
Wagenhofer wünscht sich mehr Beziehung statt Erziehung und kritisiert die Wertevermittlung an den Universitäten. Er hat sich den neuen WU-Campus angesehen. „Dort heißen die Hörsäle jetzt Red Bull-Hörsaal oder Siemens-Hörsaal. Wo bleibt da die Freiheit der Wissenschaft?“
Auch Hofreither fordert einen Wandel an den Unis. „Seit 30 Jahren herrscht hier Stillstand.“ Doch Prestige-, Macht- und Geldwerte ließen sich nicht so rasch umdrehen. „Die Neuorientierung wird schwierig“ – und auf sich warten lassen.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
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