Ersatz für den Zivildienst: Gedenken im Ausland.
Am Abend des 2. Dezember 2014 luden die GBW Wien und der Verein Gedenkdienst ins Schaltwerk in Mariahilf. Gesprochen wurde über Rahmenbedingungen und Möglichkeiten des Gedenkdienstes, den Männer statt des Zivildienstes machen können. Philipp Bohatschek berichtete von seinem Zivilersatzdienst in einem jüdischen Altersheim in Santiago de Chile. Olivia Kaiser-Dolidze ist stellvertretende Obfrau des Vereins Gedenkdienst und ergänzte den Erlebnis-Bericht durch Informationen zum organisatorischen, politischen und finanziellen Rahmen des Vereins. Peter Schwarz stellte das psychosoziale Zentrum ESRA vor, bei dem der Zivildienst in ähnlichem Kontext, aber in Wien, geleistet werden kann. Moderiert wurde der Abend von Kay-Michael Dankl vom Österreichischen Auslandsdienst.
Der männliche Zivilersatzdienst.
Häufig wissen junge Männer nichts von der Möglichkeit eines Zivilersatzdienstes im Ausland. Statt des Zivildienstes können sie entweder Sozialdienst, Friedensdienst oder Gedenkdienst leisten. Im Rahmen des Gedenkdienstes befassen sich Zivilersatzdiener mit der Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen, deren Aufarbeitung oder der Verständigung mit den betroffenen Opfergruppen und Minderheiten. Die Einsatzorte reichen von Archiven bis zu Altersheimen. Der Verein Gedenkdienst arbeitet in drei Gebieten: Neben der Hauptaufgabe der Entsendetätigkeit bietet er pädagogische Programme und versucht den politischen Diskurs in verschiedenen Medien mitzugestalten, erklärt Olivia Kaiser-Dolidze. Dabei stehen dem Verein keine staatlichen Fördergelder zur Verfügung.
Dem Thema entsprechend war das Publikum großteils männlich. Bisher konnten zwar junge Frauen dank eines Fonds entsendet werden, doch Gedenkdienst befindet, dass der Staat nicht mittels privater Spenden aus der Verantwortung entlassen werden dürfe. Dem 1992 gegründeten Verein gelang es bislang jedoch noch nicht, das finanzierende Innenministerium zu überzeugen, auch junge Frauen in die Gedächtnis-Arbeit einzugliedern.
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Zwischen Spannung und Alltag im Altersheim.
Als Einstimmung auf den Abend las Philipp Bohatschek zunächst aus seinem Tagebuch vor, in welchem er seine ersten Eindrücke nach der Ankunft in Chile festgehalten hatte. Dazu präsentierte er Fotos sowohl von seiner Arbeit im jüdischen Altersheim als auch von seinen Reisen und neu gewonnenen Freundschaften. Später wird er von einer für ihn wichtigen Frage erzählen, welche ihn bis heute nachdenken lässt und ihn schon damals „aus dem Konzept“ gebracht hatte. Nachdem er sich bei den Heimbewohnern vorgestellt hatte, wurde er gefragt: „Fühlst du dich schuldig für den Holocaust?“ Bohatschek hatte kurz nachgedacht und „nein“ geantwortet. Er leiste den Gedenkdienst nicht aufgrund eines Schuldgefühls: Erstens wisse er nicht, was seine Urgroßeltern gemacht hätten – und auch wenn, so glaube er nicht daran, dass Schuld vererbbar sei. Zweitens glaube er nicht an Kollektivschuld. Peter Schwarz warf ein, dass auch er nicht die Taten, sondern die Folgen verantworten könne.
Die Tätigkeiten im jüdischen Altersheim waren also nicht von schlechtem Gewissen motiviert. Ebenso „normal“ sei auch die Arbeit gewesen: „wie in einem österreichischen Altersheim“, wie er meint. Zwar hätte es einige jüdische Bräuche gegeben, die er nicht kannte, wie beispielsweise das Backen von Striezel (Challah). Aber im Grunde hatte die Arbeit ebenso ihre spannenden wie langweiligen Seiten: Einerseits wusste er beim wöchentlichen Stadt-Land-Fluss-Spiel schon beim Nennen des Buchstabens, welche Begriffe die Hausbewohner*innen aufschreiben würden. Andererseits profitierte er beim täglichen Vorlesen aus der Zeitung sowohl von den Erfahrungsschätzen der Bewohner*innen als auch von den regelmäßigen „Politik-Analysen“ eines Universitätsprofessors. Auch seine Fremdsprachenkenntnisse konnte er dank der Heimbewohner*innen verbessern, die ihn auf Fehler in seiner Aussprache des chilenischen Spanischen hinwiesen.
GBW
ESRA: neue Konflikte, neue Traumata.
Wie der Verein Gedenkdienst wurde auch das Psychosoziale Zentrum ESRA in den 1990er Jahren, also nach der Waldheim-Affäre, gegründet. Peter Schwarz erklärte, dass das Zentrum Wert darauf lege, nicht von „Holocaust-“ sondern von „NS-Überlebenden“ zu sprechen. Das schließe alle Verfolgte ein, etwa auch die Kinder vom Spiegelgrund. Mittlerweile betreue ESRA allerdings großteils traumatisierte Menschen aus anderen, aktuelleren Konflikten: 80 Prozent der Betreuten seien heute nicht jüdischen Glaubens. Das Hauptziel bestehe darin, Menschen aus ihrer Isolation zu holen: zwar könne man Traumata vielleicht nicht therapieren, die Situation könne man allerdings verbessern.
ESRA bietet Zivildienern die Möglichkeiten ihren Einsatz bei ihnen zu leisten. Schwarz konnte sich jedoch zwei Bedenken beim Zivildienst nicht verkneifen: Erstens verwies er auf die kurze Dauer von neun Monaten. Nach dem Einarbeiten bliebe zu wenig Zeit für die selbstständige Arbeit. Zweitens gab er zu bedenken, dass junge Menschen eine entsprechende Vorbereitung und Betreuung benötigen. Das biete der Verein Gedenkdienst allerdings, so Kaiser-Dolidze und Bohatschek.
Links.
Österreichischer Auslandsdienst
Verein Gedenkdienst
Psychosoziales Zentrum ESRA
Der Autor, Andreas Dittrich, studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.