Europa im Herzen.

Die Europäischen Grünen starteten 2013 mit Europe at Heart, Europa im Herzen, einen besonderen Wettbewerb. Junge Filmschaffende aus ganz Europa reichten Konzepte für Kurzfilme ein, die von deren ganz persönlichem Blick auf unseren Kontinent erzählen. Die Europäischen Grünen stellten anschließend die Mittel für die Verwirklichung von neun Filmen zur Verfügung. Die Grüne Bildungswerkstatt Wien ergriff die Gelegenheit und holte Gewinnerinnen aus Bulgarien, Schweden und Litauen nach Österreich. Moderiert von Zoraida Nieto, diskutierten sie nacheinander in Wien, Graz und Oberwart.
Drei Blickwinkel, ein Europa.
Drei sehr unterschiedliche Kurzfilme sind da zu sehen: vielmehr Miniaturen, keine länger als fünf oder sechs Minuten. Zu Beginn läuft die Mini-Dokumentation „Satochva“ von Rafie Zekirova Drencheva und Hristina Kirova über das gleichnamige bulgarische Dorf. Dort führten EU-Förderprogramme zu einem Wiederaufleben der Landwirtschaft. Gelder aus Europa, die einem alten Mann einen neuen Traum ermöglichen. Nach einer Entlassungswelle beim Militär hatte er mehr als 20 Jahre als Lehrer gearbeitet. Da selbst Akademiker in Bulgarien kaum genug zum Leben verdienen, baute er gemeinsam mit seinen beiden Söhnen einen bäuerlichen Betrieb auf dem Land seines Großvaters auf. Die EU-Förderungen ermöglichten ihnen den Kauf von Maschinen und damit profitabel zu wirtschaften. Ohne diese Programme hätten die Söhne Bulgarien längst verlassen.
Im Gegensatz zum Realismus des ersten Films entführt „The Darkness Culture“ in das Spiel von Laien-Darsteller*innen, allesamt befreundet mit Drehbuchautorin, Regisseurin und Kamerafrau Magdalena Persson Kjessel aus Schweden. Eindrucksvoll zeigt der Film, wie – aus skandinavischer Sicht – Leute aus dem Süden sich mit dem schwierigen „Leben der kurzen Tage“ im schwedischen Winter anfreunden müssen. Und wie sie schließlich in der Geborgenheit privater Treffs in den Wohnungen der Einheimischen ankommen.
Gabriele Anskaityte aus Litauen schließlich steuert den Gesamtsieger des Wettbewerbs bei: „There Home Here“. Sie ließ junge Menschen zu Wort kommen, die alle etwas gemein haben: Sie kennen das Leben in mehr als einem Land. Da sind die Moldauerin, geboren in Russland, der Schriftsteller aus Las Vegas, der heute in Litauen an der Universität lehrt oder die Kroatin in Italien. Sie alle kennen unterschiedliche Kulturen und Lebensstile. Der Film kann in nur fünfeinhalb Minuten gleich mit zwei tiefen Erkenntnissen aufwarten. Die erste, persönliche, lautet: Daheim ist, wo dein Herz ist. Die zweite hingegen betrifft unseren ganzen Kontinent: Wäre die Europäische Union ein Mensch, so entwüchse sie gerade erst der Kindheit. 60 Jahre europäischer Integration bedeuten gar nichts. Wir stehen erst am Anfang.
Du weißt nie, was du kriegst.
Anschließend an die Filme erwächst eine angeregte Diskussion unter den Filmemacherinnen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass Europe at Heart sie motivierte, sich mit Europa auseinander zu setzen. Und ebenso gemein ist ihnen, dass sie eher zufällig zu dem Wettbewerb kamen. Die beiden Bulgarinnen Rafie und Hristina erfuhren an ihrer Universität in Sophia von dem Projekt und reichten ihr Konzept erst eine halbe Stunde vor dem Ende der Deadline ein, wie Hristina schmunzelnd einräumt. Trotzdem begeisterte das Skript die Jury, doch am Ende bekam diese einen völlig anderen Film geliefert als erwartet. „Die ursprüngliche Idee war“, berichtet Rafie, „in mein Heimatdorf zu reisen und zu zeigen, dass die Europäische Union für niemanden auch nur das Geringste bedeutet.“1 Doch die Bewohner*innen Satochvas belehrten sie eines Besseren. Die EU hat dieser ländlichen Region eine neue Zukunft gegeben. „Aber das ist das Schöne an Dokumentationen“, fährt Rafie fort, „du weißt vorher nie so genau, was du kriegst.“ Vor allem für Rafie sollte sich der Wettbewerb als richtungsweisend erweisen. Schwankte sie davor noch, ob sie Journalistin oder Filmemacherin werden sollte, bewegte sie diese Erfahrung zu einer Entscheidung: Sie studiert heute Film an der North Western University in Chicago.
Erst einmal lernen, wie man die Kamera hält.
Die Schwedin Magdalena lebte gerade in Berlin, als sie ein Freund zur Teilnahme überredete. Nachdem die Jury ihr Konzept zur Verwirklichung ausgewählt hatte, besuchte sie erst einmal Wochenendkurse: Es galt, das kleine Einmaleins des Filmens zu erlernen. Für den Dreh kehrte sie Heim nach Stockholm, wo sie an zwei Wochenenden „The Darkness Culture“ in Szene setzte. „Der Film hat eine ganz unglaubliche Entwicklung zu dem genommen, was er am Ende geworden ist.“ Für Magdalena war es besonders spannend, in Brüssel auf die anderen Teilnehmer*innen zu treffen. Dank deren Filme wären für sie ganz neue Fragen zu Europa aufgetaucht, die sie nun beschäftigen. Etwas bedauernd berichtet sie, dass den meisten Schwed*innen Europa jedoch nach wie vor einigermaßen fremd ist: „Vielleicht liegt es ja auch an der abgetrennten Lage Skandinaviens, aber die bevorstehenden EU-Wahlen haben für Medien und Menschen nicht mehr Bedeutung als Wahlen in Nachbarländern.“
Europa hat Zukunft.
Gesamtsiegerin Gabriele aus Litauen erfuhr von einer Freundin in Brüssel von Europe at Heart. Der Wettbewerb war für sie die bestmögliche Art, ihre filmischen Fähigkeiten in der Praxis auszuweiten. Für einen Teil der Dreharbeiten zu „There Home Here“ reiste sie nach Italien. Dort interviewte sie junge Menschen, die sie zuvor bei ihren Reisen durch ganz Europa kennengelernt hatte. Europas Einigung ist für sie glasklar ein Projekt mit Zukunft. Auch wenn es Rückschläge gibt, und, wie Bulgarin Hristina einwirft, es scheint, als ob die Menschen immer weiter auseinander driften, je weiter die europäische Integration voranschreitet. Gabriele hat für die bleibenden Momente des Abends gesorgt: Die Europäische Union ist noch kaum ein Teenager – und daheim bist du, wo dein Herz wohnt.
Der Autor, Thomas Mördinger, hat Kommunikations- und Politikwissenschaften studiert und ist Redakteur der GBW Wien.
Anmerkungen:
1 Sämtliche Gespräche wurden auf Englisch geführt. Übersetzung durch den Autor.
Links:
Kurzfilme und Trailer von Europe at Heart auf Youtube