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Europa, wohin gehst du?

Was für eine Entwicklungsstrategie soll Europa im Angesicht der gegenwärtigen Herausforderungen verfolgen? Am 29. Juni war Margit Schratzenstaller-Altzinger, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), in der Grünen Bildungswerkstatt und stellte das Projekt WWWforEurope vor.

Wie wird die EU dynamischer, sozialer und ökologischer? Wie lässt sich eine Nachhaltigkeitsstrategie in Europa verankern? Das sind die zentralen Fragen, mit denen sich das EU-Projekt „Welfare, Wealth and Work for Europe ? WWWforEurope“ beschäftigte. Schratzenstaller-Altzinger hatte das Projekt von April 2012 bis 2016 zusammen mit Karl Aiginger koordiniert. Anfang 2011 wurde der Antrag geschrieben, was auch erkläre, warum sich das Projekt nicht mit den zunehmenden Zentrifugalkräften, mit Rechtspopulismus in Europa, sowie Digitalisierung und Industrie 4.0 auseinandersetze. „Damals waren diese Themen einfach noch nicht so aktuell“, so Schratzenstaller-Altzinger.

Was für ein Europa wollen wir?
34 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft kooperierten im Zuge von WWWforEurope unter der Leitung des WIFO im Auftrag der Europäischen Kommission. Verschiedene Perspektiven seien wichtig, um große Problematiken zu lösen, so Schratzenstaller-Altzinger. Die Ausgangspunkte des Projekts waren Herausforderungen wie zunehmende Globalisierung, Klimawandel, Ausläufer der Finanzkrise oder die Schuldenbelastung vieler europäischer Länder. Heute kommen Fragestellungen hinsichtlich  hoher Flüchtlingsmigration und zunehmender politischer Polarisierung Europas dazu. Auch ansteigende Jugendarbeitslosigkeit in den EU-Ländern müsse ernst genommen werden. Im Zuge dieser Themen stelle sich die Frage nach der Position Europas. Wie funktioniert die EU zukünftig zusammen? „Die ever-closer-union ist nicht nur für die Briten unattraktiv“, merkt Schratzenstaller-Altzinger in Anspielung auf den Brexit an. Auf der anderen Seite können viele Fragen in Europa nur zusammen und auch nur über europäische Grenzen hinaus gelöst werden. Es sei problematisch, dass die EU derzeit als Austeritätsmodell wahrgenommen werde.

Hinter dem Wachstum.
Die langfristige Vision von WWWforEurope bis 2050 beinhaltet eine hohe und steigende Lebensqualität und implementiert das „Beyond GDP-Konzept“. Diese Initiative rief die Europäische Kommission mit dem Ziel ins Leben, dass das Bruttoinlandsprodukt nicht länger der alleinige Indikator für Wohlfahrt sein sollte, da es verteilungspolitische und ökologische Aspekte nicht berücksichtige. Die Vision 2050 sieht ein dynamisches, offenes, pluralistisches Europa, in dem Einkommensdifferenzen und Arbeitslosigkeit niedrig sind. Dazu brauche man ein flexibles Modell, welches auf länderspezifische Differenzen eingehe.

Das Dreieck der Nachhaltigkeit.
Das Projekt WWWforEurope gründete seine Strategie auf dem Dreieck aus ökonomischer Dynamik, sozialer Inklusion und ökologischer Nachhaltigkeit. Dabei ist es Schratzenstaller-Altzinger wichtig zu betonen, dass diese Themen gleichrangig seien und nicht Wachstum im Fokus stehe. Die ökonomische Dynamik soll nicht mehr an reinem Wachstum gemessen werden, hier gehe es viel mehr um Einkommenswachstum für die Schlecht-Verdienenden. Sie weist auf starke regionale Unterschiede, zum Beispiel das Stadt-Land-Gefälle, hin. Ferner gehörten struktureller Wandel, Mobilität und Aufstiegschancen zu den Themenfeldern. Zur sozialen Inklusion gehöre ganz klar die Arbeitslosigkeit, die aus sozialen und verteilungspolitischen Gründen ein Problem darstellt. „Wir haben in einigen EU-Ländern das Problem einer Lost Generation durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit“, so Schratzenstaller-Altzinger. Da können Extrembeispiele wie Griechenland und Italien genannt werden, „aber auch hierzulande ist jeder Prozentpunkt zu viel.“ Dazu kommt, dass riesige Gender Pay Gaps , also geschlechterspezifische Einkommensunterschiede zum Nachteil der Frauen existieren, die in Österreich sehr ausgeprägt seien. Zudem gebe es Probleme im Bereich der sozialen Mobilität oder der Bildungsvererbung. Bei der ökologischen Komponente verweist Schratzenstaller-Altzinger auf bereits bestehende Initiativen wie das Zwei-Grad-Ziel in der Klimapolitik und Dekarbonisierungsstrategien. Hier müsse man den Einsatz von fossilen Brennstoffen drastisch reduzieren und die Energieeffizienz erhöhen.

Falsche Narrative.
Es gebe auch eine ganze Reihe von „misperceptions“, von falschen Narrativen, die aber sehr verbreitet seien, so Schratzenstaller-Altzinger. Einer dieser Mythen sei, dass Wachstum über kurz oder lang zurückkehre und alle anderen Probleme löse. „Das ist rein ökonomisch schlicht unmöglich“, merkt sie an. Ferner würden oft mangelnde Zukunftsinvestitionen beklagt, weil der Staat kein Geld habe. „Die durchschnittliche Staatsquote in Europa liegt allerdings bei 45%“, so Schratzenstaller-Altzinger. „Es gibt schon Geld, nur wird es für die falschen Investitionen ausgegeben.“ Auch die These der zu langsam steigenden Arbeitsproduktivität hält die Ökonomin für den falschen Ansatz. „Wenn die Arbeitsproduktivität noch schneller steigen würde, dann würde sich ja das Problem der Beschäftigung, welches sich andeutet, noch verstärken.“

Die Motoren des Wandels.
WWWforEurope baut daher auf drei Leitlinien auf: Ziele und Instrumente sollen ineinander greifen, um ineffiziente Einzelstrategien zu vermeiden. Es soll nicht mit Kosteneinsparungen durch Senkung der Standards gearbeitet werden und es braucht eine „Two-Stage-Strategie“. Auf lange Sicht wird das Wirtschaftswachstum niedriger und Europa kann sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem es sich zunehmend auf ökologische und soziale Innovationen konzentriert. Auf kurze Sicht muss Europa jedoch zuerst dynamischer werden, mehr kooperieren oder auch die Arbeitslosigkeit senken. Die sieben Motoren des Wandels sind laut Schratzenstaller-Altzinger: Innovation, um neue Richtungen aufzuzeigen, Dynamik, um Ungleichheiten abzubauen, das Gemeinwohl, Beschäftigung, erneuerbare Energien, der öffentliche Sektor, welcher die Steuern auf Arbeit halbieren könnte und letztendlich auch der Finanzsektor, welcher sich mehr den echten sozialen Bedürfnissen zuwenden sollte.

Die Autorin Sarah Nägele gehört zum Redaktionsteam der Grünen Bildungswerkstatt und hat Internationale Entwicklung und Publizistik an der Uni Wien studiert.