Feministische Perspektiven auf die multiple Krise.
Am 24. Oktober wurden weitere Dimensionen der Vielfachkrise aus feministischer Perspektive im Alois Wagner Saal des C3 - Centrum für Internationale Entwicklung in Wien diskutiert. Im Anschluss an Vorträge und Diskussionen vom Vortag richteten die Vortragenden am Freitagnachmittag den Blick auf die kritische Analyse aktueller Krisendiskurse im Zusammenhang mit Geschlecht.
Die katastrophale Lage der Männer.
Das Nachmittagsprogramm eröffnet Stefan Sulzenbacher, Doktorand im Fachbereich Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien, mit seinem Vortrag zu Krise(n) der Männlichkeit. „Wer diskutiert wie über Krise oder die Krisen? – daran möchte ich hier anknüpfen“, betont Sulzenbacher in Bezug auf Diskussionsinhalte vom Vortag. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Frage nach der Umkämpftheit von Krisenbegriffen. „Seit der Jahrtausendwende hat der Diskurs um die Krise(n) der Männlichkeit verstärkt Konjunktur“, so Sulzenbacher. Ein bedeutendes, diskursives Ereignis war die Veröffentlichung der Pisa Studie im Dezember 2001. Die Studie hat zu einer verstärkten Diskussion über das geschlechtsspezifische Abschneiden von Schüler*innen geführt. Sachbücher, Artikel und Ratgeber*innenliteratur der letzten Jahre nehmen auf Diskussionen im Zusammenhang mit der Studie Bezug. Im aktuellen Krisennarrativ wird je nach Stoßrichtung eine befürchtete, diagnostizierte oder angezweifelte Krise der Männlichkeit zum Thema gemacht. Die dabei vorherrschenden konservativen und antifeministischen Argumentationsmuster beinhalten Klagen über einen vermeintlichen Status- und Bedeutungsverlust der Väter und Söhne. Behauptet wird eine „katastrophale Lage der Männer insgesamt“, so Sulzenbacher.
Das Familienernährermodell in der Krise?
„Das ideale Vergangenheitsbild männlicher Krisenerzählungen stellt die historische Phase des Fordismus dar“, betont Sulzenbacher. Eine Phase, in der die monogame Kleinfamilie und das maskuline Bild des berufsorientierten Familienernährers noch unhinterfragt gelten konnten. Im Diskurs um die Krise der Männlichkeit definieren sich die Männer sodann als „Opfer siegreicher feministischer Strategien“, betont Sulzenbacher. In diesem Zusammenhang lässt sich beobachten, wie die Männerrechtsbewegung teilweise Bezug auf Veröffentlichungen einer Neuen Rechten nimmt. Diese macht sich den Krisennarrativ verstärkt zur Rehabilitierung patriarchaler Ordnungsmuster zunutze. In Bezug auf den Diskurs, wie er geführt wird, und aktuelle Entwicklungen im Zuge der multiplen Krise diagnostiziert Sulzenbacher jedoch abschließend: „Die Männerwelt befindet sich keineswegs im Hintertreffen“.
Die Aufteilung des Emotionalen in der Krise.
In ihrem Vortrag „Zum Regieren über Emotionen in der Krise“ diskutiert Brigitte Bargetz, Wissenschafterin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Aufstände als Ausdruck von Emotionen aus feministischer Perspektive. „Die globalen Proteste im Zuge der multiplen Krise vereint eine Politik der Gefühle“, so die zentrale These von Bargetz. „Emotionale Aufstände werden im Rahmen medialer Reaktionen regiert und brauchbar gemacht“, betont diese. Dabei verweist sie auf die Medienberichterstattung über die Londoner Aufstände aus dem Jahr 2011, die Proteste in Griechenland und das Movimiento 15-M in Spanien. „Die multiple Krise ist als umkämpfter Prozess zu betrachten, in dem eine Aufteilung des Emotionalen erfolgt“, so Bargetz. Die mediale Berichterstattung erkannte die Wut der protestierenden Spanier*innen als legitim an und beschrieb die Aufstände als friedfertig, während die emotionalen Aufstände in Griechenland als irrationale Wutausbrüche erfasst wurden. Am Beispiel Londons lässt sich zudem erkennen, dass Medienvertreter*innen Wut nicht als Ausdruck legitimer Politik betrachteten. Die Forderungen der Subalternen fanden in London keine mediale Bestätigung. Neue Formen des Politischen und die Herausforderungen hegemonialer Konstellationen wurden in Spanien bestätigt, während dies im Falle Londons zur medialen Delegitimierung der Aufstände führte. Dort fanden Kritiken an patriarchalen Errungenschaften der Moderne keine mediale Anerkennung. „Die emotionale Darstellung von Krise ist angesichts eines wieder erstarkten anti-feministischen Diskurses umso relevanter, schlussfolgert Bargetz. Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag drehte sich ebenfalls um Beispiele emotionaler Aufstände in Europa. Debattiert wurde über die Frage nach jenen Punkten, die bei realen Aufständen überschritten werden müssen, damit die mediale Umstellung umschwenkt und Forderungen delegitimiert werden. „Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um Klassen- und Eigentumsfragen handelt“, betont eine Person im Plenum.
Widerstand und Organisation als zentrale Momente.
In der Abschlussdiskussion werden zentrale Thesen und Argumente der Tagung noch einmal aufgegriffen. Es besteht Einigkeit darüber, dass Formen von Widerstand in Gestalt linker feministischer Perspektiven und Strategien ein zentrales Element der Tagung darstellten. Im Mittelpunkt der Tagung stand auch die Frage, ob es einen neuen Marsch durch Institutionen braucht, oder der Wandel durch die Bildung eines neuen, politikunabhängigen Movements erreicht werden wird. Als gemeinsamer Tenor verbleibt letztlich vor allem ein Aspekt: an der Bewältigung der multiplen Krise gilt es gemeinsam zu arbeiten, jenseits geschlechtsspezifischer Zuschreibungen.
Die Autorin, Meike Siegner, hat Sozioökonomie an der WU Wien studiert und ist Mitglied im Redaktionsteam der Grünen Bildungswerkstatt Wien.