Frauen 50+ chancenlos am Arbeitsmarkt?

GBW
„Herzlich willkommen“, begrüßt Sibylle Hamann das Publikum. Die Wiener Journalistin und Moderatorin des Abends bemerkt, das Thema 50+ sei ihr zuletzt noch so weit weg „wie eine Auslandsreportage“ vorgekommen. Doch als Gesellschaft betrifft es uns alle.
Einstellungssache 50+.
Zur Einstimmung sieht das Publikum einen Kurzfilm von abz*austria. Die NGO (abz: Arbeit, Bildung, Zukunft) setzt sich seit mehr als 20 Jahren für Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsmarkt, in Beruf, Wirtschaft und Bildung ein. Im Film sprechen Frauen im Alter 50+ übers Bewerben. Sich nur in Unterlagen zu präsentieren, sei suboptimal, meint eine. Eine andere berichtet, sie bekomme aufgrund ihres Alters keine Rückmeldungen auf Bewerbungsschreiben. Die Frauen erzählen, was sie bisher gearbeitet haben, wo ihre Stärken liegen, welche Jobs sie suchen. Sie präsentieren sich offen und selbstbewusst, sind eloquent und qualifiziert. Sie möchten arbeiten und es bleibt die Frage, warum Firmen ihr Potential nicht erkennen oder haben wollen. „Einstellungssache 50+“, sagt abz*austria-Geschäftsführerin Manuela Vollmann am Ende des Films. Abz*austria unterstützt Personalisten bei der Perspektivenänderung: weg vom Blick aufs Alter hin zu Arbeits- und Ressourcenkompetenz von Frauen über 50.
Role Models.
Nach dem Film bittet Hamann zuerst Manuela Vollmann um einen Kommentar: „Was war der Anlass für diesen Film?“ Die Geschäftsführerin erklärt, es kämen immer mehr Frauen im Alter 50+ zu abz*austria, um sich beraten zu lassen. Die Frauen seien „höchstqualifiziert“ und hätten dennoch Schwierigkeiten Arbeit zu finden. Die Frauen im Film seien bei abz*austria in Beratung und sollen als Role Models dienen. Der Film sei erst seit 12 Tagen fertig und mit Unterstützung des AMS gedreht worden.
Gesundheit.
Laut Ingrid Moritz von der Arbeiterkammer sei ein Drittel der Frauen in belastenden Hilfsjobs tätig. Unter gesundheitlichem Aspekt sei es schwierig für diese Frauen im Alter 50+ weiterzuarbeiten. Ab 45 würden 15 Prozent der Frauen Angehörige pflegen. Wegen solcher und anderer Mehrfachbelastungen seien auch psychische Erkrankungen im Vormarsch. Nur 60 Prozent der Frauen gingen direkt aus der Beschäftigung in Pension.
Angebot, Nachfrage und Verteilung.
Klaudia Paiha sieht das Hauptproblem darin, dass das Angebot an Arbeitskräften größer sei als die Nachfrage. Die Gewerkschafterin setzt sich für eine Verkürzung der gesetzlichen Arbeitszeit auf 30 Stunden ein. Erwerbsarbeitszeiten seien immer dann zu lang, solange noch jemand arbeitslos ist, sagt sie.
Bräuchten wir nicht auch eine andere Verteilung von Arbeit, fragt Hamann. Insbesondere nach Familiengründung machten Männer häufiger Überstunden, während Frauen in Teilzeit gingen. Dazu Paiha: „Unsere Arbeitszeitverkürzungs-Kampagne zielt auf eine Umverteilung zwischen Geschlechtern, Arbeitslosen und Arbeitenden ab.“ Es müsse mehr Verteilungsspielraum auch für unbezahlte Arbeit geben, etwa in Haushalt oder Familie.
Geförderte Teilzeit fehlt.
„Ein 40-Stunden-Job geht sich mit Familie nicht aus“, bekennt Moritz. Meist arbeite der Mann Vollzeit, die Frau Teilzeit. Moritz spricht sich für eine „geförderte Teilzeit für partnerschaftliche Teilung“ aus. So wie wir bereits Altersteilzeit und Bildungsteilzeit als geförderte Teilzeitarbeit in Österreich hätten.
Diskriminierung.
Laut Ewa Dziedzic arbeiten 55 Prozent der Frauen – oft prekär – in Teilzeit, weil es zu wenige Kinderbetreuungsplätze gebe. Somit beginne Diskriminierung schon lange vor 50. Besonders schwer hätten es Frauen mit Migrationshintergrund. Diese seien oft topqualifiziert und endeten als Putzfrau, etwa weil Ausbildungen nicht anerkannt würden. Auch die Angst der Unternehmen vor Schwangerschaften wirke schon lange vor 50 diskriminierend.
Pflegende Frauen.
Hamann stellt zur Diskussion, man höre immer wieder, ältere Frauen sollten früher in Pension gehen, damit sie sich um die Schwiegereltern kümmern könnten. Vollmann kennt dieses Phänomen vor allem aus dem ländlichen Raum. Die gebürtige Burgenländerin weiß, in ihrer Heimat steigen Frauen sogar aus guten Jobs aus, um zu pflegen.
Dziedzic betont, 90 Prozent der pflegenden Angehörigen seien weiblich. Etwa zehn Prozent der Männer würden pflegen, allerdings meist nur ihre Frau und nicht wie Frauen den erweiterten Angehörigenkreis.
Anonymisierte Bewerbungen?
Ob es Matching-Methoden gebe, die das Alter ausschließen, fragt Hamann. Dazu meint Dziedzic, anonymisierte Bewerbungen seien nicht zielführend, Unternehmen sähen ja ohnedies alles, wenn sie die Bewerberin schließlich vor sich hätten. Moritz stimmt zu, es sei besser das Alter von Anfang an in die Bewerbung hineinzuschreiben, um im Bewerbungsprozess nicht leere Kilometer zu machen.
Frauen im Publikum.
Als das Mikro zum ersten Mal ins Publikum geht, melden sich kritische Stimmen. Einer Juristin gefällt der eingangs gezeigte Film nicht. Ihr fehle die Diskussion: „Wer ist für wen da? Wirtschaft und AMS sollten für die Leute da sein, so war es ursprünglich gedacht!“
Dann macht eine Politologin und Feministin ihrem Ärger Luft: Warum seien „Frauen“ und „Familie“ in der Arbeiterkammer noch immer in einer Abteilung?
Eine dritte Frau kritisiert, Frauen würden vor allem über Kinder und Pflege definiert. „Warum reden wir darüber und akzeptieren das?“
Am Podium bekennt Dziedzic, auch sie wünsche sich eine Trennung von Frauen- und Familienpolitik. Moritz von der AK erklärt, in Österreich habe das Familienthema mehr Macht als Frauenanliegen. Auch sie finde die Trennungsfrage wichtig, aber: „Wer macht dann die Familienpolitik?“ Vollmann merkt an, das Familienbudget sei in Österreich größer als das Frauenbudget. Den Film verteidigt sie damit, die Frauen darin selbst reden zu lassen, sie selbst sagen zu lassen, was sie wollten.
In einer zweiten Publikumsrunde weist eine Frau darauf hin, auch 35-Jährige würden schon keine Jobs mehr finden, das sei kein Phänomen 50+. Zuletzt seien 1200 Trainer*innen vom AMS gekündigt worden.
Eine Trainerin ist zufällig im Publikum. Sie berichtet von immer mehr Trainer*innen aus dem Ausland, etwa Ungarn, die für Trainings mit Migrant*innen eingesetzt würden. Die Bezahlung sei sehr schlecht, die Arbeitsanforderungen seien enorm.
Eine andere, energische Frau meint, Unternehmen suchten ihrer Erfahrung nach „jemand, den sie sich noch richten können“. Sie falle nicht in diese Gruppe.
Schlussakkord.
Zurück am Podium fordert Vollmann: „Wir brauchen mehr Ältere als Personaler!“ Das wirke sich positiv auf das Einstellen über 50-Jähriger aus. Und ja, Frauenarbeitsplätze seien Ausbeutungsarbeitsplätze. Frauen müssten sich mehr auf die Beine stellen!
Paiha sagt, unter 25-Jährige hätten die gleichen Probleme am Arbeitsmarkt wie über 50-Jährige. In ihrem Schlusswort hält sie fest: Das Maß der Dinge sei der Mensch und was er zum Leben braucht.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied der GBW-Redaktion.
Links.
(1) Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/Unabhängige GewerkschafterInnen
abz*austria
AK-Frauen
Grüne Frauen Wien