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Frauenpower auf Arabisch.

Am 10. Februar lud die Grüne Bildungswerkstatt Minderheiten zu Karim El-Gawharys Buchpräsentation „Frauenpower auf Arabisch“ in das Parlament ein.

El-Gawhary leitet seit 2004 das Nahostbüro des ORF in Kairo und ist Korrespondent für elf deutschsprachige Zeitungen. Mit ihm am Podium saßen Mary Attia, Verein für ägyptische Frauen und Familien, Tyma Kraitt, Publizistin und Viola Raheb, Universitätsassistentin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Moderiert hat Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen.

Der westliche Blick auf die arabische Frau.
„Es gibt eine gewisse Schieflage zwischen den arabischen Frauen, wie ich sie erlebe und wie sie in der Berichterstattung westlicher Medien dargestellt werden“, sagt Karim El-Gawhary über seine Motivation das Buch zu schreiben. Dem Bild der ohnmächtigen grauen Maus, die auf der Straße ihrem Mann hinterher läuft und nichts zu sagen hat, wollte er ein anderes Frauenbild entgegensetzen.

„Es kommt doch nicht darauf an, was wir auf dem Kopf haben, sondern es kommt drauf an, was wir im Kopf haben“, so zitiert El-Gawhary eine Frauenrechtlerin und verweist damit auf die oft allzu starke Fokussierung des westlichen Blicks auf das Kopftuch der arabischen Frau. Zwei Drittel der Frauen, die in seinem Buch vorkommen, tragen zwar ein Kopftuch, erzählt er. Das sei für sie aber kein großes Thema. „Die Kopftuchdebatte, wie wir sie im Westen erleben, ist eine Debatte, die nicht die entscheidende Diskussion in der arabischen Welt ist“, so der Journalist. Es seien soziale und ökonomische Themen, die im Vordergrund stehen.

Was hat der Arabische Aufbruch für die Frauen gebracht?
Um diese Frage zu beantworten, müsse man zwei Ebenen unterscheiden, so El-Gawhary. Auf der politischen Ebene sei in den vergangenen Jahren für die Frauen wenig passiert. Sie waren in Kairo am Midan Tahrir, haben sich in Tunesien engagiert und in Libyen mitgekämpft. Als die Diktatoren gestürzt waren, hieß es: Vielen Dank und jetzt zurück an den Herd! Dementsprechend seien heute auf den politischen Bühnen in der arabischen Welt, in Parlamenten, Regierungen, verfassungsgebenden Gremien, immer noch relativ wenige Frauen zu finden.

„Ich glaube aber, dass sich auf gesellschaftlicher Ebene sehr viel getan hat“, sagt El-Gawhary. Hierarchien wurden aufgebrochen, rote Linien überschritten und Tabus gebrochen. So seien heute politische Streitigkeiten innerhalb der Familie zwischen Mann und Frau möglich, die noch vor Jahren undenkbar waren.

Bei den ägyptischen Präsidentschaftswahlen 2012 fragte er eine Frau vor einem Wahllokal in einem Armenviertel wen sie gewählt habe. Sie habe Ahmed Shafik ihre Stimme gegeben, so die Frau. Ihr Mann hingegen sei Mursi-Wähler. Seit Wochen würden sie daher Zuhause heftig diskutieren, wer zu wählen sei. „Aber das ist Demokratie in der Familie“, so die Frau.

„Pionierinnen, Verliererinnen, Kämpferinnen“.
Den ersten Teil seines Buches widmet El-Gawhary den Pionierinnen, wie er sie nennt. Es sind Geschichten, wie die von Umm Khaled, einzige LKW-Fahrerin Ägyptens, die mit ihrem 30-Tonner durchs Land fährt. Diese Frauen beschreiten neue Wege abseits der üblichen Frauenrollen.

„Der größte Feind der arabischen Frau heute ist die wirtschaftliche und soziale Lage“, so El-Gawhary. Sie leiden unter fehlendem Zugang zu Bildung, einem maroden Gesundheitssystem, schlechter Bezahlung. 30 Prozent der ärmsten Haushalte werden von Frauen geleitet, deren Männer gestorben, oder abgehauen, oder von denen sie geschieden sind. Diese Frauen lässt er im Kapitel über „Bittere Verliererinnen“ zu Wort kommen. Frauen, wie Umm Naama, die mit einem Euro am Tag ihre sechsköpfige Familie durchbringen muss.

Im dritten Teil stellt El-Gawhary Frauen vor, die versuchen politisch etwas zu verändern. Er nennt sie „Die unerschrockenen Kämpferinnen“. Dazu zählen Frauen wie Abier, die die erste Gewerkschaft für Brotverkäuferinnen in Suez erstritten hat.

Podiumsdiskussion.
Bei der anschließenden Diskussion brachten die Expertinnen am Podium ihre Sicht auf die Rolle der arabischen Frau ein. Ergänzt wurde die Debatte durch Fragen und Wortmeldungen aus dem Publikum.

Mary Attia unterstreicht die Analyse El-Gawharys, wonach von einer besseren wirtschaftlichen und sozialen Situation vor allem die Frauen in der arabischen Welt profitieren würden. Allerdings trage auch eine islamisch konservative Gesellschaft, wie etwa in Ägypten, wesentlich zum schlechten Los vieler Frauen bei. So unternahmen die Muslimbrüder im ägyptischen Parlament den Versuch, das Heiratsalter auf neun Jahre herabzusetzen, oder die Beschneidung der Frau zu legalisieren. Attia weist darauf hin, dass das Tragen des Kopftuches in Ägypten immer noch auch unter Zwang geschehe, weil eine konservative ägyptische Gesellschaft das von einer Frau erwarte.

„Die Rolle der ägyptischen Frau ist der Schlüssel zur Demokratisierung“, sagt Viola Raheb mit Blick auf die arabische Welt. Sie weist darauf hin, dass die Debatte um die Emanzipation der arabischen Frau über hundert Jahre alt und nicht erst mit dem Arabischen Frühling aufgekommen sei. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts forderten ägyptische Frauen vehement ihre Rechte ein, etwa in Ehe- oder Scheidungsangelegenheiten.

Tyma Kraitt beobachtet, dass die westliche Perspektive Kopftuchträgerinnen vorschnell als islamistisch oder unterdrückt deutet. Auch werde allzu oft in Kategorien gedacht. Säkular werde als gut, islamisch als schlecht empfunden. Umso wichtiger sei es, Frauen in der arabischen Welt zu Wort kommen zu lassen, wie es das Buch von El-Gawhary tut.

Wer sich also ein differenziertes Bild vom facettenreichen Frau-Sein in der arabischen Welt machen möchte, ist mit Karim El-Gawharys Buch gut beraten. Wer die Buchpräsentation und die anschließende Diskussion im Ganzen nachverfolgen möchte, kann sich die Videoaufzeichnung ansehen.

Der Autor, Markus Schauta, studierte Geschichte und Religionswissenschaft. Er ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien und Redakteur beim Magazin über.morgen.