Frohes Schaffen – ein Film zur Senkung der Arbeitsmoral.
„Und, schon langweilig?“, fragt eine Erzählstimme die Kinobesucher*innen gleich zu Beginn der Vorstellung, nachdem sie eine Minute lang auf einen nächtlichen Leinwand-Sternenhimmel gestarrt haben. „Dabei ist alles so leicht.“ Stimmt. So einfach und beruhigend funkelnd könnte Muße sein.
Ein Leben ohne Arbeit – denkunmöglich.
Stattdessen die geschäftige Gedankenwelt im Land des Fleißes und der Disziplin. „Können Sie sich ein Leben ohne Arbeit vorstellen?“, fragt Faigle Passant*innen auf Deutschlands Straßen. „Nein!“ Die Menschen bräuchten soziale Kontakte und ob Arbeit als Leid empfunden werde, sei Einstellungssache.
Norbert Trenkle, Ökonom, arbeits- und sozialkritischer Autor, sagt: „Fremdbestimmter Zwang, Leistungsnormen und Disziplin erzeugen Leid. Dieses Leid ist nur aushaltbar, wenn es gleichsam religiös überhöht wird.“
Im 21. Jahrhundert haben wir uns immer noch nicht von Irrglaube und Zwang befreit. Der Wiener Historiker und Publizist Franz Schandl meint: „Wir sind Irre in einem Irrenhaus. Wir können uns nichts anderes als ein Leben mit Arbeit vorstellen. Alles Denken außerhalb erscheint uns verrückt.“
„Jesus war ein glücklicher Arbeitsloser!“
Skandieren Aktivist*innen auf einer Demonstration gegen Hartz IV. Die Demonstrierenden schieben einen Leiterwagen mit einem halbnackten Jesus über den Platz, der mit Lendenschurz und Kranz an das einstige Wiener Original Waluliso erinnert.
Schnitt in die deutsche Bundespolitik. Kanzlerin Angela Merkels Neujahrsansprache: Zu den wichtigsten Aufgaben im kommenden Jahr gehöre, durch Wirtschaftswachstum möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen.
Die britische Evolutionspsychologin Susan Blackmore kritisiert, dass die Politik immer noch mehr Wachstum, mehr unnötige Produkte und mehr Umweltzerstörung fördert, statt in der Krise endlich umzuschwenken. Auch Schandl meint, ein Großteil der Tätigkeiten heute sei unnötig: „Steuerberater, Banker, Versicherer.“
„Aktivierung“: Supermarkt spielen im „Real Life Center“.
Was passiert, wenn künstlich Arbeit geschaffen wird, wo auf natürliche Weise keine ist, zeigt auch ein Augenschein bei einer sogenannten Aktivierungsmaßnahme der Deutschen Bundesagentur für Arbeit.
Kafkaesk geht es im Hamburger „Real Life Center“ zu. Hinter diesem bemüht modern klingenden Namen verbirgt sich sinnlose Arbeit: unfreiwillige Zwangsbeglückung und mehrmonatige Beschäftigungstherapie für Hartz IV-Bezieher*innen. Sie müssen Regale eines eigens errichteten Supermarkts bestücken, um sie am nächsten Tag auszuräumen und am übernächsten wieder einzuräumen. An der Kassa gibt es Übungsgeld. Arbeitslosen werde hier mit sozialen Kontakten und einem strukturierten Tagesablauf geholfen, erklärt eine verantwortliche Mitarbeiterin. „Wir bekommen kein Geld für die Arbeit und was wir eingeschlichtet haben, kauft niemand“, sagen die Arbeitslosen, auf deren Jacken „Real Life Training“ prangt.
Niemand evaluiert diese Maßnahme, aber „das Real Life Center ist von externen Fachleuten zertifiziert“, erklärt eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit.
Michael Schmidt-Salomon, Philosoph und Religionskritiker, sagt: „Die Hartz IV-Ideologie ist: Wir müssen Maßnahmen für Arbeitslose kreieren, auch wenn sie unsinnig sind. Und wenn du keinen Job hast, stimmt etwas nicht mit dir.“ Arbeitslosigkeit werde moralisierend auf das Individuum abgewälzt.
„Call Barack“
Aber auch Spekulant*innen dürften wir nicht verurteilen, meint der Philosoph weiter. Denn wir hätten als Banker*innen unter denselben systembedingten Voraussetzungen der Krise genauso gehandelt. Faigle interviewt zwei junge Wall Street-Banker, die – ob gekünstelt oder echt – so ganz dem Klischee des geldgeilen Finanzyuppies entsprechen. Was sie bewogen hätte, an der Wall Street zu arbeiten? „Fast cars, women, houses in Italy, in Greece, in France.“ Und wie sehen sie die Finanzkrise? Sie sei ein Neubeginn, so wie es nach jeder Krise immer einen Neubeginn gegeben habe. „Aber wie kommen wir da raus?“, hakt Faigle nach. „Call Barack.“
Ersatzreligion.
Mehrere Indizien zeugen von Arbeit als Ersatzreligion, der wir schon seit langem anhängen. Jeremy Rifkin, US-amerikanischer Ökonom: „Im Calvinismus wurde dir versprochen: Wenn du möglichst viel und hart arbeitest, dann bist du der zur Auferstehung Auserwählte.“ Landsmann und Historiker Benjamin Hunnicutt spricht vom Wunsch vieler Menschen, ihre Erwerbstätigkeit ins ewige Jenseits mitzunehmen. Die Kamera hält auf Grabinschriften: Fabrikant, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer. „We believe in work“, lacht Hunnicutt. Arbeit sei eine Religion, die nicht als Religion anerkannt ist. Sie sei ein Glaubenssystem ohne Kirchen. Unsere Glaubenssätze: „Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, und so viel und so lange wie möglich arbeiten.“
Der deutsche Ökonom Hans Werner Sinn ist ein besonders fanatischer Anhänger des Wachstums- und Arbeitsglaubens. Zur Zukunft der Arbeit prophezeit er: „Wir werden immer arbeiten müssen und wollen! Die Menschen wollen immer mehr!“ Der Mensch sei nie befriedigt. Weil jeder nach einer Villa am Starnberger See strebe, werde auch der Wunsch nach Arbeit immer vorhanden sein.
Visionen: Arbeitszeitverkürzung und Muße.
Seit 1820 gab es laut Hunnicutt Visionen zur Arbeitszeitverkürzung. Trenkle sagt: „Auch in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren gab es die Vision einer 20- bis 25-Stunden-Woche.“ Doch passiert sei das Gegenteil.
„Muße bedeutet nicht, den ganzen Tag in der Sonne zu liegen, sondern das Leben so zu gestalten, wie ich will: zum Beispiel mit einer sinnvollen und erfüllenden Tätigkeit“, weiß Erich Ribolits, Professor für Bildungswissenschaften an der Uni Wien. Erst durch die Industrialisierung sei Arbeit zu einem Wert an sich geworden.
Das Leben so zu gestalten, wie er will, scheint Tom Hodgkinson in Großbritannien. Er ist Experte für Muße und Gelassenheit und Herausgeber des „Idler“ (Müßiggänger). An seiner „Idler´s Academy“ lautet die erste Lektion: In den Himmel starren. In der zweiten wird Gras mit einer Sense geschnitten.
Apropos Himmel und Sense: Vom fiktiven Sterbebett aus reflektiert Rifkin: „Unsere größten Momente sind nicht unsere Arbeitsmomente. Es gibt niemand, der am Sterbebett sagt: Ach hätte ich doch nur eine Stunde länger im Büro verbracht.“
Schlussakkord.
Die Doku endet mit einem sonoren Refrain, der zumindest im Kino zum Einstimmen einlädt:
Arbeit, Arbeit – fangt schon mal an.
Arbeit, Arbeit – ich komme dann.
Die Autorin Karina Böhm hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Interview mit Konstantin Faigle
The Idler Magazine
Schikaneder