Gemeinwohl-Ökonomie – für eine solidarische Wirtschaft.
„Eigentlich hätte heute der Heini Staudinger von „GEA“ und „Waldviertler Schuhe“ kommen sollen“, erklärt Oswald Kuppelwieser von den Grünen. „Aber Heini lässt sich entschuldigen, er steht wegen der Finanzmarktaufsicht unter Druck und bekommt kaum Luft.“ Das Publikum zeigt Verständnis, denn Luft genug hat Lisa Muhr. Als Botschafterin der Gemeinwohl-Ökonomie und Unternehmerin fühlt sich die Mitgründerin des ökofairen Textil-Labels „Göttin des Glücks“ den Werten der 2010 entstandenen Bewegung verpflichtet. Seit 2011 erstellt ihr Unternehmen die Gemeinwohl-Bilanz. Die Grünen SeniorInnen werden neugierig. Gemeinwohl-Bilanz, was ist das? Göttin des Glücks? Ein hoffnungsvoller Name in einer Branche, über die man nur wenig Gutes hört.
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„Göttin des Glücks“ – es geht auch anders.
Lisa Muhr berichtet von den Anfängen ihres Unternehmens: „Wir waren zu viert, kreativ und befreundet und haben 2005 mit 200 Euro aus Spaß an der Arbeit damit begonnen, Stoffteile zusammenzunähen. Wir wollten Wohlfühlmode mit positiven Sprüchen unter dem Motto „Danke mir geht´s gut“ produzieren.“ Damals waren alle Vier noch in anderen Bereichen tätig. Muhr, gelernte Architektin, erzählt: „Unser Freizeitvergnügen ist rasch gewachsen und zu wirklicher Arbeit geworden, die immer mehr Zeit in Anspruch genommen hat.“ So stand Muhr 2006 vor der Entscheidung, entweder aus dem Projekt auszusteigen oder sich voll und ganz darauf einzulassen – dann aber nur mit dem Umstieg auf Biobaumwolle und Fairtrade „und zwar in der gesamten Produktionskette“, wie sie betont. Sie wollte Gutes tun, ist dabei geblieben und hat sich mit ihren Kolleg*innen für die Produktion von ökofairer Wohlfühlmode entschieden. „Mit unseren Zertifizierungen FAIRTRADE, GOTS – Global Organic Textile Standard – und dem Handelspartner EZA Fairer Handel haben wir eine lückenlose, transparente, auditierte Produktionskette in Indien und auf Mauritius sicher gestellt.“ Durch diese ausnehmend hohen sozialen und ökologischen Standards zählt die Göttin europaweit zu den Pionier*innen der nachhaltigen Modebewegung. Inzwischen ist sie in sieben Ländern, rund 65 Boutiquen und 90 Weltläden erhältlich.
Warum Gemeinwohl-Ökonomie?
Als Botschafterin führt Muhr die Senior*innen gekonnt an die Gemeinwohl-Ökonomie heran, indem sie auf folgenden Widerspruch aufmerksam macht: „In der Wirtschaft dominieren andere Werte als im Privatleben. In persönlichen Beziehungen zählen Vertrauen, Solidarität, Fairness, Gerechtigkeit, Teilen, Mitbestimmung, Kooperation, während das Wirtschaftsleben von Konkurrenz, Profitmaximierung und oft auch Ausbeutung und Zerstörung geprägt ist.“ Die Folgen: Statt dem Wohl der Allgemeinheit, dem Gemeinwohl, zu dienen, und damit unseren Verfassungswerten, wie Menschenwürde, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Demokratie Rechnung zu tragen, begünstigt das derzeitige System, dass sich immer größere Unternehmen auf Kosten von Menschen und Umwelt bereichern.
„Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie stellt wieder das Wohl der Allgemeinheit in den Mittelpunkt, das gute Leben für alle“, sagt Muhr. „Zweck des Wirtschaftens soll nicht länger Profit sein, sondern Mehrung des Gemeinwohls.“ So wird auch Geld wieder vom Zweck zum Mittel.
Eine sogenannte Gemeinwohl-Bilanz gibt Auskunft darüber, wie sozial gerecht und ökologisch nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. Aber nicht nur Unternehmen, auch Gemeinden und Vereine können eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen, ergänzt Muhr.
Die Matrix zur Gemeinwohl-Bilanz.
Folgende Kernwerte sind für das Erstellen zunächst der Matrix, dann der Bilanz zentral:
1) Menschenwürde
2) Solidarität
3) Ökologische Nachhaltigkeit
4) Soziale Gerechtigkeit
5) Demokratische Mitbestimmung & Transparenz
„Diese Kernwerte treffen vereinfacht gesagt auf sogenannte Berührungsgruppen, wie Mitarbeiter*innen, Lieferant*innen, Kund*innen, Geldgeber*innen, gesellschaftliches Umfeld, Natur.“ Zentrale Frage: Wie verhalten sich Unternehmen in diesen fünf Kernbereichen gegenüber ihren Berührungsgruppen? „Durch Punktebewertung und Zusammenarbeit unabhängiger Auditor*innen mit den Unternehmen samt Mitarbeiter*innen, entsteht dann die Gemeinwohl-Bilanz.“
Gemeinwohl-Bilanz vor Finanz-Bilanz!
„Weil die Gemeinwohl-Bilanz mehr darüber aussagt, wie nahe wir an unseren Verfassungswerten wirtschaften und welchen sozialen und ökologischen Standards wir dabei folgen, sollte sie wichtiger sein als die Finanz-Bilanz“, sagt Muhr. Sämtliche Gemeinwohl-Bilanzen und je nach Unternehmensgröße zehn bis 50-seitige, detaillierte Gemeinwohl-Berichte sollen transparent auf den Firmen-Homepages einsehbar sein. Eines Tages könnten die Bilanzen in vereinfachter Form auch mit Handys von Produkten im Handel abgelesen werden.
Warum Transparenz?
„Diese Art von Transparenz ist ein wesentlicher Wert und Vorteil, weil sie Konsument*innen bei der Kaufentscheidung unterstützt“, sagt Muhr. Denn so sieht jeder sofort, wie sehr ein Unternehmen mit seinen Produkten oder Dienstleistungen zum Gemeinwohl beiträgt oder dieses gar schädigt. Derzeit basiert alles auf Freiwilligkeit. „Doch am Ende soll die Politik den demokratischen Mehrheitswillen umsetzen und Unternehmen dazu verpflichten eine transparente Gemeinwohl-Bilanz zu erstellen.“
Vorteile für Unternehmen.
„Was hat ein Unternehmen nun davon, wenn es die Gemeinwohl-Bilanz erstellt?“, fragt eine Frau aus dem Publikum. Dazu Muhr: „Die Gemeinwohl-Bilanz dient zunächst der Selbsteinschätzung. Viele Unternehmen sind der Ansicht, sie hätten bereits hohe soziale und ökologische Standards. Doch beim näheren Hinsehen erweist sich das häufig als Fehleinschätzung.“ Anhand der Gemeinwohl-Bilanz lässt sich genau ablesen, in welchen Bereichen sich das Unternehmen eigenen Wünschen, Anforderungen und Möglichkeiten gemäß noch verbessern kann. „Oft schon mit geringem Aufwand.“
Außerdem soll es rechtliche Vorteile geben, wie zum Beispiel niedrige Steuern, geringe Zölle, Vorrang beim öffentlichen Einkauf und günstige bis kostenlose Kredite. Zum Beispiel bei der gerade im Aufbau befindlichen Demokratischen Bank. „Je gemeinwohlorientierter ein Unternehmen wirtschaftet, umso mehr kommt es in den Genuss dieser Vorteile.“ Weil Unternehmen die Vorteile an Konsument*innen weitergeben können, werden ethische, ökologische und regionale Produkte und Dienstleistungen endlich billiger als unethische, unökologische und globale.
Und die Politik?
Kommt auch noch zu Wort: Positiv an der Gemeinwohl-Ökonomie findet Martin Margulies das Aufzeigen einer Alternative. Man solle aber nicht glauben, dass die Unternehmen die Welt reformieren könnten. Dann spricht Margulies von der Politik, der mächtigen EU, von gesetzlichen Regeln, „die wichtiger sind als freiwillige Appelle.“ Aktuell werde auf EU-Ebene gerade ein neuer Pakt für Wettbewerbsfähigkeit verhandelt und beschlossen. „Es wäre schön, wenn manche Punkte der Gemeinwohl-Ökonomie umgesetzt würden“, wünscht sich der Grüne Gemeinderat und sagt: „Wir wollen die Gemeinwohl-Ökonomie im Programm!“ Ein Statement zur politischen Umsetzung?
Umsetzungsschwierigkeiten.
Aber dann berichtet Margulies von Umsetzungsschwierigkeiten schon auf unterer politischer Ebene in der Stadtregierung beim Vergabeverfahren. „Dort verlangt das Bestbieterprinzip aufgrund einer zumindest 40prozentigen Gewichtung des Preises im Normalfall das günstigste Angebot zu nehmen.“ Statt eines teureren, dafür aber sozial und ökologisch höherwertigen. Für die öffentliche Hand ist der Preis das höchste Kriterium“, sagt Margulies. Das EU Recht stehe darüber, der Stadt seien hier die Hände gebunden.
Eine Seniorin meldet sich zu Wort. Sie plädiert für eine Ressourcenwirtschaft, die sich am ökologischen Fußabdruck orientiert statt am Preis.
Und Muhr spricht davon, Projekte zu wählen statt Farben und erntet dafür Applaus. Ein wählbares Projekt wäre die Gemeinwohl-Ökonomie.
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein partizipatives, entwicklungsoffenes und internationales Projekt. Sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen aller Branchen und Größen können sich einbringen, unterstützen und mitgestalten. Nähere Infos hier:
Links.
Gemeinwohl-Ökonomie in 20 Punkten
Beispiele für Gemeinwohl-Bilanz-Berichte
Göttin des Glücks
Demokratische Bank
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.