Gesundheit und das System.

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Lisa Mittendrein (GBW Bund) organisiert und moderiert die Workshopreihe „Zum Wohl!“ der Grünen Bildungswerkstatt zur Gesundheitspolitik in Österreich. Beim Auftakt am 8. Oktober 2014 leitete Sozialexperte August Österle von der Wirtschaftsuniversität Wien mit vergleichenden Daten in das Thema ein. Der ehemalige Grüne Gesundheitssprecher Kurt Grünewald berichtete von Notwendigkeiten, Defiziten und Schwierigkeiten, die er in seinen politischen Aktivitäten erfahren hat. Eine Kennenlern-Runde zu Beginn zeigte, dass ein Drittel der rund 20 Teilnehmer*innen im Gesundheitssystem tätig sind.
Welcher Faktor bestimmt die Gesundheit mehr? Sachfragen, etwa danach, wie ich mich individuell ernähre? Oder ist es die Politik, die das Gesundheitssystem gestaltet? Oder ist es schlichtweg das Einkommen, und jene mit mehr Geld können sich eine bessere Krankenversorgung leisten?
Die Teilnehmenden waren sich rasch und überwiegend einig: Bestimmender Faktor ist das Geld. Allerdings könne die Politik auf die Verteilung der Gelder einwirken. Wie steht es aber um die österreichische Gesundheitspolitik? Was zeichnet sie aus?
Versicherungsmodelle.
August Österle wies eingangs darauf hin, dass das Gesundheitssystem nicht wie das klassische kapitalistische System funktioniere, in welchem ‚das Geschäft‘ zwischen einem Anbieter und einem Kunden abläuft. Das Gesundheitssystem erweitert diese zwei Gruppen um eine dritte: Hinter Patient und Arzt steht ein Finanzierungsmodell (siehe Abbildung), welches über die Versicherung läuft. Da individuelle Behandlungskosten für Einzelne zu hoch wären, ist die Idee der Versicherung, dass viele jeweils relativ wenig in einen Topf einzahlen und dafür die Versicherung die hohen individuellen Kosten trägt.

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Einige Teilnehmer*innen sahen diese Darstellung kritisch. Mediziner*innen nehmen hier zwei unterschiedliche Funktionen wahr: sowohl die der Diagnose, als auch die der Heilung. Diese Konstellation berge die Gefahr der persönlichen Bereicherung, wie eine Teilnehmerin urteilte.
Die Grundidee der Versicherung kann sich in unterschiedlichen Variationen ausbilden. Österle nennt drei Grund-Modelle: das soziale Krankenversicherungssystem wie in Österreich, das nationale Gesundheitssystem wie in Großbritannien und das private Gesundheitssystem wie in den USA. In manchen Ländern, wie etwa in Deutschland, gibt es auch Mischformen. Die leitenden Fragen sind für Österle dabei: Ist die gesamte Bevölkerung versichert? Was heißt dann „Bevölkerung“? Und wie hoch ist der Grad an Privatisierung oder gar Kommerzialisierung?
Das österreichische System.
Das heutige Sozialversicherungssystem geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Zunächst waren nur Arbeiter*innen versichert. Sukzessive kamen andere Gruppen dazu, zuletzt in den 1960er Jahren die bäuerliche Bevölkerung. Auch heute verfügen laut Österle noch ungefähr drei Prozent der Menschen in Österreich über keine staatliche Sozialversicherung. Meist seien diese zwar privat versichert, aber nicht immer. Der Großteil der Versicherten ist nicht selbst versichert. Kinder und häufig auch Partner*innen sind über die Familie mitversichert.

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Der Versicherungsbeitrag beträgt in Österreich 7,65 Prozent der Bemessungsgrundlage. Das finanziert in Summe 45 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Steuern decken 30 Prozent der Ausgaben, ein im internationalen Vergleich hoher Wert. In Deutschland etwa fließt erst seit kurzem Steuergeld ins Gesundheitssystem. Großbritannien finanziert sein nationales Gesundheitssystem hingegen ausschließlich über Steuern. Die Krankenversicherung bezahlt in Österreich jedoch nicht alles, daher wird ein Viertel der Ausgaben privat getragen – zum Teil auch über private Zusatzversicherungen. Das betrifft Leistungen, deren Umfang über die Kassenverträge hinausgeht oder die gar nicht abgedeckt sind, wie etwa Angebote aus der alternativen Medizin, aber auch Selbstbehalte bei Medikamenten und Behandlungen.

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Trotz häufiger Kritik beurteilt Österle Österreichs Gesundheitssystem im internationalen Vergleich als gut. In einem WHO-Ranking nehme es den achten Rang unter 101 Ländern ein. Auch die Zufriedenheit der Bevölkerung sei bei den meisten Umfragen sehr hoch. Und diese sei, so Österle, sehr wichtig. Das Vertrauen ins System sei zentral und man dürfe es nicht ständig „krank reden“. Dem pflichtet Grünewald bei, kritisierte aber, sich dogmatisch am OECD-Schnitt zu orientieren. Dieser beinhalte viele Länder mit sehr geringen Gesundheitsausgaben. Das drücke den Schnitt und mache ihn damit nicht zu einem ernst zu nehmenden Maßstab.

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Gefordert: Transparenz und Prävention.
Grünewald forderte mehr Transparenz im System: sowohl finanziell, als auch qualitativ. So sollten Statistiken zu Liegezeiten und Heilungsfällen in Krankenhäusern öffentlich zugänglich sein. Einige Teilnehmende meinten allerdings, dass ein statistischer Vergleich kaum möglich sei. Die einzelnen Fälle seien zu individuell, um sie so einfach zu vergleichen.
Eine Teilnehmerin verlangte schließlich, dass Prävention ein wichtiges Standbein der Gesundheitspolitik sein sollte. Grünewald stimmte der Forderung zu und rief ironisch den Aufruf einer früheren Gesundheitsministerin ins Gedächtnis, mehr Stiegen zu steigen: Das sei auf jeden Fall kein Beispiel gelungener Prävention.
Der Autor, Andreas Dittrich, studiert Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaften und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.