Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren?

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Stefan Hinsch, Wirtschaftspublizist und Moderator stellt kurz nach 19:00 Uhr das Podium vor: Michael Smrcka von der Initiative Tatort Hypo, Albert F. Reiterer, Soziologe „in Pension“, wie er hinzufügt, und Martin Mair von den Aktiven Arbeitslosen Österreich.
Hinsch bittet das Podium um fünfminütige Eröffnungsreferate, „damit wir dann noch viel Zeit für Wortmeldungen aus dem Publikum und Diskussion haben.“
Tatort Hypo.
Den Anfang macht Smrcka, einer der Mitinitiatoren von der parlamentarischen Bürgerinitiative Tatort Hypo. Er und seine Mitstreiter – alle beruflich im Wirtschafts- und Finanzbereich verankert – starteten diese Initiative im Februar 2014, weil sie „die abstrusen Argumente“ der Regierung für die Rettung der Hypo Alpe Adria-Bank durch Steuergelder satt hatten. Sie wünschten sich bessere Informationen für die Steuerzahlenden. Prominente Unterstützung bekam die Initiative vom Kabarettisten Roland Düringer. „In einem offenen Brief an den Finanzminister stellten wir nach dem Auskunftspflichtgesetz zehn raffinierte Fragen“, sagt Smrcka. Dank Düringers Prominenz und der Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien fordern inzwischen rund 250.000 Menschen mit ihrer Unterschrift einen Untersuchungsausschuss. „Am 1. Juli findet der Petitionsausschuss im Parlament statt“, sagt Smrcka. „250.000 Unterschriften können nicht ignoriert werden.“
Nebelgranate Hypo-Gesetz.
Das neue Hypo-Sondergesetz zur Abwicklung der Bank sei eine Nebelgranate der Regierung, meint Smrcka. „Der Steuerzahler zahlt drauf.“ Profiteure hingegen seien etwa Finanzindustrie und teure Berater. Das Gesetz bestehe grob aus drei Teilen: „Der Gründung einer Abbaugesellschaft, dem Schaffen einer Holding und dem Auslöschen des Verlustes der Nachranggläubiger.“ Es werde ein künstliches Insolvenzrecht gemacht, die Rechtsunsicherheit trage der Steuerzahler.
Kein Einzelfall, weil Staatsversagen.
Reiterer weist in seinem Vortrag darauf hin, dass die Hypo Alpe Adria kein Einzelfall sei. Im Salzburger Spekulationsskandal etwa hätten der damalige Landesratsvorsitzende David Brenner und seine Untergebene Monika Rathgeber Ähnliches versucht. „Auch andere Provinzbosse gingen in die Falle“, sagt der Soziologe. Voraussetzung sei die Finanzkrise gewesen. Sie entstand laut Reiterer aus Marktversagen, dieses wiederum aus Staatsversagen. „Viele Staaten wollen den Finanzsektor nicht mehr kontrollieren.“ Inzwischen seien ihnen politische und finanzielle Mittel genommen, regulierend in die Märkte einzugreifen. „Diese Mittel wurden umverteilt – von unten nach oben“. Auch die Daseinsvorsorgemittel seien praktisch nicht mehr beim Staat vorhanden. Die politischen Kompetenzen, so Reiterer, seien zur Bürokratie nach Brüssel gewandert.
Aktive Arbeitslose beobachten neue Zwänge.
Mair berichtet von der Gründung der Initiative Aktive Arbeitslose 2009. „Wir sehen uns als neue Form von Gewerkschaftsbewegung.“ In den letzten Jahren beobachte er in allen europäischen Staaten eine Zunahme des „neoliberalen Aktivierungs- und Arbeitszwangsregimes“. In der EU-Agenda 2020 sei beispielsweise das widersinnige Ziel festgeschrieben, die Frauenerwerbsquote zu erhöhen. „Bei gleichzeitig immer weniger Arbeitsplätzen.“
In Wahrheit, sagt Mair, gehe es darum, bei der Sozialquote zu sparen und den Preis der Arbeit zu senken.
2007 wurde der sogenannte Zweite Arbeitsmarkt legalisiert, beschreibt Mair die Entwicklung. Dorthin würden Arbeitslose verfrachtet, die schon länger auf Jobsuche seien. „Vordienstzeiten und besondere Qualifikationen werden am Zweiten Arbeitsmarkt nicht angerechnet“, kritisiert der Aktivist.
2010 wurde dann die Bedarfsorientierte Mindestsicherung eingeführt, während deren Bezug auch Kurse besucht werden müssen. Die Kursindustrie sei in den letzten Jahren explodiert. Mair zur durchschnittlichen Verweildauer: „25 Prozent deiner arbeitslosen Zeit sitzt du inzwischen in Kursmaßnahmen.“
Für Invalide und Menschen mit überdurchschnittlich vielen Krankenstandstagen habe die Regierung die Einrichtung Fit 2 Work geschaffen. „Man hat die Pflicht, gesund zu bleiben und Arbeit um jeden Preis zu machen“, bringt Mair es auf den Punkt.
Existenzen auf Knopfdruck gefährden.
Außerdem kritisieren die Aktiven Arbeitslosen, dass im computergesteuerten Zeitalter und Sozialsystem quasi auf Knopfdruck Existenzen gefährdet, gar ausgelöscht werden können: „Um Bezugssperren durchzuführen, braucht ein AMS-Berater nur eine Taste zu drücken.“ Ferner seien in mehreren Krisenländern ansteigende Selbstmordraten dokumentiert. Die Selbstmorde seien laut Mair letztlich auf Abbau der Sozialstaaten und Ausbau neoliberaler Sparpolitik zurückzuführen.
Hypo-Insolvenz.
Nun ist das Publikum am Wort und ein Herr fragt, was die Insolvenz-Lösung gebracht hätte. Dazu meint Smrcka, man hätte die Hypo-Bank in eine normale Insolvenz schicken sollen. Das neue Sondergesetz sei lächerlich, der Vorteil des Insolvenzrechts sei nämlich, dass bei einer Insolvenz Verbindlichkeiten eingefroren würden. Das bedeute, die Firma müsse keine Zinsen mehr bezahlen. „Wäre die Bank 2009 in die Insolvenz geschickt worden, hätte sich der Steuerzahler bis heute circa zehn Milliarden Euro an Zinsen erspart.“
„Und was ist mit den Beraterhonoraren und der Griss-Kommission?“, fragt eine Frau im Publikum. Hier würden noch einige Steuerzahler-Millionen hinzukommen, meint Smrcka. Durch die Kommission wolle die Regierung Zeit schinden und der Untersuchungsausschuss verschiebe sich nach hinten.
Am 25. Juni haben die Oppositionsparteien im Parlament nunmehr zum 21. Mal einen Untersuchungsausschuss beantragt. Die Regierungsparteien haben ihn wieder abgelehnt.
Inkompetenz?
Als jemand nach der Inkompetenz der Politiker*innen, die das Hypo-Debakel zu verantworten hätten, fragt, gehen die Meinungen ein wenig auseinander. Reiterer glaubt nicht nur an die „pure Inkompetenz Josef Prölls.“ Der Wechsel Prölls zum Raiffeisen-Konzern steht im Raum.
Smrcka berichtet von Gesprächen mit Abgeordneten und Politiker*innen, die teils nicht einmal den Unterschied zwischen Schuldner und Gläubiger kennen – und dann über ein Hypo-Sondergesetz entscheiden. Von echter Kenntnis der Materie könne bei den meisten nicht die Rede sein. „Nichtwissen und Halbwissen regieren.“
Unmut des Souveräns.
„Wohin also mit dem Unmut des Souveräns?“, fragt ein Mann. „Die Politik reagiert nicht mehr auf das, was die Bürger wollen.“ Vielleicht könnte der Unmut Anlass sein für ein verbessertes politisches System mit mehr Macht für Bürger*innen und direkte Demokratie. Denn unsere parlamentarische, repräsentative und indirekte Demokratie hat bei der Hypo versagt: Die Bank mit Steuergeldern zu retten, findet in der Bevölkerung keine Mehrheit.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams, seit 2011 als Chefin vom Dienst.