Gioconda Belli: „Das Irreale als Möglichkeit“.
Es war nicht leicht noch einen Stehplatz in der C3-Bibliothek für Entwicklungspolitik zu ergattern. So groß war der Andrang am 28. Oktober, um Gioconda Belli im Gespräch mit der EU-Abgeordneten und Obfrau der Frauensolidarität Ulrike Lunacek und der ORF-Moderatorin und Journalistin Ines Mitterer live zu erleben.
Das Gespräch fand auf Spanisch mit Simultanübersetzung statt. Untermalt wurde die Unterhaltung durch zwei Gedichte, die Belli auf Spanisch und Mitterer auf Deutsch vortrugen.
Rückblick einer Freiheitskämpferin.
Gioconda Belli stammt aus bürgerlichem Hause in Managua, der Hauptstadt Nicaraguas. Bereits als junge Frau und Mutter stieß sie mit ihren erotischen Gedichten auf Widerstand und Kritik. Als sie die Unterdrückung und Verfolgung politischer Gegner*innen unter der Somoza-Diktatur selbst miterlebte, schloss sie sich der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN), einer linken Guerillabewegung, an. Dass sie bereits Mutter -war, hielt sie nicht davon ab, im Untergrund politisch aktiv zu sein. Im Gegenteil, sie wollte das Land für ihre Töchter verändern und ihre eigene Verantwortung wahrnehmen. Nach der Revolution arbeitete Belli für die sandinistische Regierung, bis sie Ende der 80er Jahre aufgrund zu großer Widersprüche und zu wenig Raum für Diskussion aus der Partei austrat. Ihrem politischen Veränderungswillen hat dies keinen Abbruch getan. Belli ist weiterhin in linken Bewegungen aktiv und setzt sich als lateinamerikanische Künstlerin und Feministin für Basisdemokratie, Gleichberechtigung und eine lebendige Diskussionskultur ein.
Bewaffnet mit Worten.
Das wichtigste Instrument, um die Welt zu verändern, ist für Gioconda Belli das Schreiben von Texten. „Literatur fördert die Träume der Menschen“, so Belli. Die Erweiterung des Horizonts trägt dazu bei, dass die Menschen Wege gehen, die sie sonst nicht gehen würden. In der Literatur sieht Belli auch einen „Motor des Mitgefühls“, denn die Identifikation mit den Romanfiguren fördere Empathie. Mit ihren Gedichten möchte Belli aber auch dem Zynismus gegenüber friedlichen und gerechten Zukunftsvisionen entgegenwirken und gemeinsame Ideen, wie wir die Welt verändern können, stärken. Dabei ist es ihr wichtig, durch neue Medien auch junge Menschen zu erreichen.
Wie Mitterer feststellt, hat Belli das Private immer auch als politisch verstanden und gelebt. Davon zeugt sowohl ihr künstlerisches Schaffen, als auch ihr politisches Engagement. Für Belli ist klar, dass es Frauen leichter fällt, diese beiden Bereiche zusammenzudenken.
Utopie der Geschlechter-Gerechtigkeit.
Besonderen Veränderungsbedarf sieht die Dichterin weltweit bei den Geschlechterverhältnissen. Bereits ihre Mutter habe ihr die Wertigkeit des Frau-Seins vermittelt, sie ist eines ihrer großen Vorbilder.
„Die Arbeitswelt“, so Belli, „versklavt Frauen, da sich Mutterschaft auf ihre Stellung im Berufsleben negativ auswirkt“. Daher pocht sie auf eine Veränderung der Mentalität, jede und vor allem jeder muss von klein auf Mutterschaft lernen. Dieser Ansatz stößt bei Lunacek auf große Zustimmung. Im EU-Parlament hat sie sich vergeblich für eine stärkere Einbindung der Männer in die Karenzzeit eingesetzt.
Warum sich Geschlechterverhältnisse nur langsam ändern, führt Belli unter anderem darauf zurück, dass auch Frauen die machistische Mentalität verinnerlicht haben. In ihrem Roman „Republik der Frauen“ nimmt sie auf humoristische Weise die geschlechtsspezifische Rollenverteilung aufs Korn, da in ihrem fiktiven Land Faguas Frauen das Ruder übernehmen und Männer den Haushalt führen.
Utopie der politischen Mitbestimmung.
Neben Geschlechterverhältnissen ist Demokratieabbau einer ihrer zentralen Kritikpunkte an diesem Abend. Proteste und andere Formen des Widerstands haben kaum noch politischen Einfluss in Lateinamerika, wie etwa das Abtreibungsverbot in Nicaragua zeigt. Lange Zeit war es Frauen unter bestimmten medizinischen Voraussetzungen möglich, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Inzwischen herrscht in Nicaragua trotz zahlreicher Proteste ein totales Abtreibungsverbot. Ebenso unter Kritik steht das Machtstreben vieler lateinamerikanischer Parteien, die sich als einzig legitime Repräsentanten des Volkes ausgeben und damit einen autoritären Führungsstil aufweisen. Auch linke lateinamerikanische Regierungen werden von Bellis Kritik nicht verschont. Als Intellektuelle sieht sie es als ihre Aufgabe Kritik zu üben, wo auch immer sie Ungerechtigkeit sieht, auch wenn sie dafür immer wieder als Verräterin beschimpft wird.
Der Abend endet mit einem Gedicht über Nicaragua, dem „Land meiner Träume und meiner Qualen“.
Eine Veranstaltung der: Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE), Frauensolidarität, Grüne Bildungswerkstatt Wien, Südwind, Grupo Sal, Katholische Frauenbewegung der Erzdiözese Wien und Dreikönigsaktion.
Links.
Webseite von Gioconda Belli
Partei der erotischen Linken
Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Sie ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien.