Gleichviel Netz für alle.
So selbstverständlich wie das Wasser aus dem Wasserhahn, oder der Strom aus der Steckdose, ist das Internet per Kabel oder Mobilfunk. Damit es jedoch alle gleichberechtigt nutzen können, muss Netzneutralität garantiert sein. So wie der Strom, unabhängig vom Anbieter, aus der Steckdose bezogen wird, sollte auch das Internet, unabhängig vom Inhalt, für alle frei und unzensiert nutzbar sein. In Österreich, wie in den meisten anderen EU-Ländern, ist Netzneutralität jedoch nicht gesetzlich geregelt. Umso wichtiger wäre eine Regelung auf EU-Ebene.
Gewinn frisst Netzneutralität.
Netzneutralität werde immer wieder verletzt, sagt Marco Schreuder, Netzpolitischer Sprecher der Grünen. Etwa durch einen Vertrag, den die Deutsche Telekom 2012 mit dem Musik-Streaming-Dienst Spotify abgeschlossen hat: Musiktitel, welche die Anwender*innen über Spotify herunterladen, werden von deren Datenvolumen ausgenommen. Für Telekom-Kund*innen ein guter Grund ihre Musik bei Spotify zu streamen. Denn selbst bei Flatrate-Angeboten wird die Internet-Geschwindigkeit meist ab einem gewissen Download-Volumen gedrosselt. Vor allem beim Streamen von Musik ist das Volumen rasch erschöpft. „Andere Musik-Anbieter werden dadurch klar benachteiligt“, sagt Schreuder, das verletze die Netzneutralität.
Der Verkauf solcher „Überholspuren“, bevorzugte Behandlung bestimmter Dienstleitungsangebote, ist für Provider*innen ein lohnendes Geschäft. Netzneutralität werde aber auch verletzt, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, sagt Thomas Lohninger. Als A1 das I-Phone auf den Markt brachte, war Skype auf den neuen Geräten zunächst nicht nutzbar. A1 sprach von technischen Problemen. Der eigentliche Grund aber sei gewesen, dass A1 Skype als Konkurrent für das eigene teure Roaming-Angebot ausschalten wollte.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob Internet-Provider*innen, die Pakete mit unterschiedlichen Download/Upload-Geschwindigkeiten anbieten, gegen die Netzneutralität verstoßen. Nein, sagt Lohninger. Denn, bildlich gesprochen, legt der Vertrag nur fest, mit welcher Geschwindigkeit die Kund*innen die Autobahn befahren können. Was sie auf dieser Strecke transportieren, bleibt ihnen überlassen. Netzneutralität sei erst gefährdet, wenn Provider*innen die Geschwindigkeit vom Inhalt abhängig machen.
Netzneutralität weltweit.
Als weltweit erstes Land hat Chile 2010 per Gesetz die Netzneutralität verankert. Vorreiter in der EU in Sachen Netzpolitik sind Slowenien und die Niederlande. Beide haben ein Netzneutralitätsgesetz, das eine gute Vorlage für ein europaweites Gesetz abgebe, so Lohninger.
Ein Beispiel, wie wir es in Europa nicht machen sollten, sind die USA. Die US-Regulierungsbehörde (Federal Communications Commission) garantiert Netzneutralität nur für Festnetz. Der gesamte Mobilfunk-Bereich bleibt ausgeklammert. Netzneutralität gilt daher nur für einen Teil der Bevölkerung, erläutert Lohninger.
Netzneutralität auf EU-Ebene.
Im Mai 2013 hat die zuständige Kommissarin Neelie Kroes ein Paket zur Regulierung des Telekommunikationsmarktes vorgelegt. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderen vor, dass innerhalb der EU bis 2016 die Auslandsaufschläge fürs Telefonieren verschwinden sollen. Das wird auch von Expert*innen positiv aufgenommen. Von dem hundert Seiten starkem Paket ist aber nur ein kleiner Teil der Netzneutralität gewidmet. Und dieser beinhalte eine Reihe an Schwachpunkten, erklärt Lohninger. Zum Beispiel werde Provider*innen ermöglicht, zahlungswilligen Endverbraucher*innen "Überholspuren" im Internet zu verkaufen. Außerdem mache es Provider*innen zu Hilfssheriffs, indem die Verordnung diese anhalte, schwere Kriminalität zu verhindern oder zu erschweren. Wobei „schwere Kriminalität“ nicht näher definiert ist und einen großen Interpretationsspielraum zulasse - eine Hintertüre, um spezifische Internet-Inhalte zu blockieren oder zu drosseln. Das Internet soll kein rechtsfreier Raum sein, sagt Lohninger. „Aber die Durchsetzung der Gesetze soll nicht auf Private ausgelagert werden.“
Funktionale Trennung.
Spricht man über Netzneutralität stellt sich die Frage, wer die Infrastruktur für das Internet zur Verfügung stellen soll. Private Provider*innen oder der Staat? Ein Blick in die USA kann hier weiterhelfen. Dort wurden in den 80ern viele kleine Firmen aufgekauft und zu wenigen großen zusammengeschlossen, die sich heute den Markt teilen. „Will ich in New York Kabelfernsehen haben, gibt es genau einen Anbieter“, sagt Lohninger. Kaum Wettbewerb bedeute wenig Innovation. Die Leitungen werden ausgereizt, solange es irgendwie geht.
Schreuder stimmt dem zu. So wie die Infrastruktur für Strom und Wasser vom Staat zur Verfügung gestellt wird, sollte das auch beim Internet geschehen. „Die Antwort auf die Netz-Ausbau-Frage ist: funktionale Trennung“, ist Lohninger überzeugt. Der Ausbau der Leitungen solle unabhängig von jenen privaten Firmen geschehen, die Strom, Gas oder Bits verkaufen. Der Staat garantiere im öffentlichen Interesse eine funktionierende Infrastruktur. Der freie Markt regle den Wettbewerb Privater, die ihre Leistungen als Provider*innen anbieten. Geht eine Firma bankrott, wechseln die Kund*innen zu einer anderen. Das Kabel in der Wand bleibt dasselbe.
Wie weiter?
An einem Gesetz zur Netzneutralität auf europäischer Ebene führe kein Weg vorbei, sind sich Schreuder und Lohninger einig. Damit wäre Netzneutralität für 500 Millionen Menschen gesichert. Die Telekommunikationsverordnung der EU-Kommission sei jedoch der falsche Weg. Diese müsse dringend überarbeitet werden. Hier könnte auf nationaler Ebene bereits vorgearbeitet werden, um einer positiven Regelung auf EU-Ebene vorzugreifen.
Links.
European Digital Rights: Liste europäischer Organisationen, die sich für Netzneutralität einsetzen
Unser Netz: Argumente für Netzneutralität
Der Autor, Markus Schauta, studierte Geschichte und Religionswissenschaft. Er ist Redaktionsmitglied der Grünen Bildungswerkstatt Wien und Redakteur beim Magazin über.morgen.