Grundeinkommen und Gesundheit.

GBW
Pariser Stadtviertelrätin.
Am 19. September versammelten sich Interessierte in der ksö am Schottenring, um dem Vortrag von Angelika Gross, Mitbegründerin der Arbeitsgruppe „Bedingungsloses Grundeinkommen und Gesundheit“ zu lauschen. Die gebürtige Deutsche ist Kunsthistorikern, Übersetzerin und hat außerdem noch Psychologie studiert. Seit 25 Jahren lebt sie in Frankreich und engagiert sich politisch in Paris. „Seit zehn Jahren bin ich in Paris Stadtviertelrätin“, erklärt Gross. „Viermal im Jahr machen wir eine Bürgerversammlung zu Themen, die Bürger und Bürgerinnen an uns herantragen.“ Die Themen gehen dann zur Umsetzung ins Rathaus. Als Zuständige für Migrant*innen und Menschen mit psychischen und psychiatrischen Problemen kenne sie deren Herausforderungen, zum Beispiel geringes Einkommen und damit zusammenhängend, einen schlechten Gesundheitsstatus. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde die Situation dieser, aber auch anderer Menschen entschärfen, sagt die Aktivistin.
Gesundheit muss öffentlich bleiben.
„Gesundheit ist nicht dazu geeignet, sie dem freien Markt zu überlassen“, betont Gross. „Die Bevölkerung muss in Gesundheitsangelegenheiten mitreden dürfen, zum Beispiel wie in Paris durch Stadtviertelräte“. Gesundheit sei ein Menschenrecht und als solches in Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Gross kritisiert den derzeitigen Abbau sozialer Sicherheitssysteme in Europa unter dem Schlagwort „Strukturanpassungsprogramme“. Gerade Griechenland zeige, dass die geplante und gewünschte ökonomische Wirksamkeit dieser Strukturanpassungsprogramme nicht gegeben sei: „Laut Weltrisikobericht führten die Auflagen dieser Programme nicht zu mehr Wirtschaftswachstum.“ Stattdessen würden bei der älteren Bevölkerung vermehrt neue Zivilisationskrankheiten im Alter auftreten. Diese seien vordergründig auf zunehmende Altersarmut und mangelhafte Versorgung zurückzuführen.
Damit das Recht auf Gesundheit einklagbar sei, müsse Gesundheit innerhalb öffentlicher Strukturen verbleiben statt in private Strukturen überzugehen, plädiert Gross.
Income and Health – 50 Prozent.
Die eigens aus Frankreich angereiste Aktivistin präsentiert den Teilnehmenden einen Film mit dem Titel „Income and Health“. Darin kommt die Ärztin und ehemalige Präsidentin der Kanadischen Ärztekammer, Dr. Anna Reid, zu Wort. Reid erklärt, die Ärztekammer habe herausgefunden, dass soziale Faktoren zu 50 Prozent ausschlaggebend seien für eine gute Gesundheit der Kanadier. Zu den sozialen Faktoren zähle auch das Einkommen. „Das Einkommen ist der wichtigste Faktor für einen guten Gesundheitsstatus“, betont Reid. Während hingegen nur 25 Prozent auf den Zugang zu medizinischer Versorgung rückführbar seien, 15 Prozent auf biologische und genetische Faktoren und gar nur 10 Prozent auf Umwelteinflüsse. Viele von Reids Patient*innen lebten in Armut, an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Ihr Einkommen reichte nicht einmal aus, sich mit dem Nötigsten zu versorgen.
In dieser Studie kam laut Reid auch heraus, dass Kanada zwar sehr hohe Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit habe, jedoch der Gesundheitszustand der Bevölkerung das nicht widerspiegle. Ein weiterer Hinweis für die Bedeutung sozialer Faktoren, unterstreicht Reid. Deswegen engagiert sich die Ärztin politisch für ein Grundeinkommen und kämpft dafür, soziale Initiativen primär als Investition statt als Belastung für die Staatskassen anzusehen. Reid ist überzeugt, das Bedingungslose Grundeinkommen werde bald ein breites Mainstreamthema werden, weit über akademische Zirkel und einzelne Initiativen und Aktivist*innen hinaus. Politiker kämen nicht mehr lange herum um den Themenkomplex und Zusammenhang von Grundeinkommen, Einkommen und Gesundheit.
Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung.
In ihrem Vortrag weist Gross auf die Charta von Ottawa aus 1986 hin, in der die Weltgesundheitsorganisation WHO bereits damals festgehalten hatte, Einkommen sei ein konstituierendes Element für Gesundheit. Wie wurde die Charta bisher in diesem Punkt umgesetzt? Ernüchternde Antwort von Gross: „Auf der Strecke bleiben und blieben jene, die nicht einmal das Existenzminimum ihres jeweiligen Landes als Einkommen haben. Das sind Menschen in Ländern mit schlechter staatlicher Versorgung, Länder, in denen es kaum soziale und gesundheitliche Absicherung gibt, und wo Menschen im Falle von Krankheit die Kosten selbst tragen müssen.“ Das sei für viele Menschen nicht leistbar und daher sei in diesen Ländern die Lebenserwartung gering. „Solche Zustände betreffen immer noch 84 Prozent der Weltbevölkerung!“, alarmiert Gross.
Aber auch andere (abgesehen vom Einkommen) in der Charta festgeschriebene Voraussetzungen für Gesundheit wurden von den Staaten nicht, oder nur mangelhaft umgesetzt. Denn wörtlich heißt es in der Charta: „Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, (Einkommen), ein stabiles Öko-System, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Jede Verbesserung des Gesundheitszustandes ist zwangsläufig fest an diese Grundvoraussetzungen gebunden.“
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert. Sie ist Chefin vom Dienst und Mitglied des GBW-Redaktionsteams.