Islam – ein Sprint durch Raum und Zeit.

Grüne Wieden
Schnell füllt sich der Seminarraum bis zum letzten Platz. Das Mediengewitter der letzten Monate zum Islam und dessen vermeintliche Gefahr hat zu vielen alten und neuen Ängsten geführt. Es hat aber auch Interesse neu entfacht. Der Vortragende Bert Fragner, ehemaliger Direktor des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, stellt sich den Fragen des Publikums, die bereits zu Beginn der Veranstaltung gesammelt wurden: (Wie) kam es zum „kulturellen Niedergang“ der islamischen Welt? Sind Islam und Demokratie vereinbar? Wie steht es um den muslimischen Religionsunterricht an Schulen? Die Spannung war groß, als Fragner um 18:45 Uhr den Vortrag begann.
Der erste und der letzte Prophet?
Wie jede Zeichnung mit dem ersten Strich beginnt, so fängt auch Professor Fragner mit einigen Grundzügen an: der Koran sei nach islamischem Selbstverständnis die letzte Offenbarung Gottes. Sie begann bei Adam und endet beim Propheten Mohammed. Auch Jesus von Nazareth ist aus muslimischer Sicht ein bedeutender Prophet, nicht aber Gottes Sohn. Mohammed und andere Gelehrte kritisierten vorherige Empfänger, die wesentliche Aspekte der Offenbarung falsch verstanden hätten. Der Glaube, Gott habe einen Sohn geboren und sei zudem dreifaltig, stößt auf Unverständnis. Ein strenger Monotheismus wird an seiner Stelle hochgehalten. Der Islam hatte also zwei grundlegende Intentionen: Er sollte das Verständnis der Botschaft Gottes radikal verbessern und den Monotheismus festigen.
Kultureller Niedergang?
Beim Vergleich von Christentum und Islam stellt Fragner fest: Ersteres brauchte um die 300 Jahre, um sich durchzusetzen. Der Durchbruch geschah erst durch die Ernennung des Christentums zur Staatsreligion im römischen Reich. Der Islam jedoch verstand sich als siegreich vom ersten Moment an. Innerhalb weniger Jahre eroberte man riesige Gebiete vom heutigen Iran bis Spanien. Die Gründe für diesen raschen Erfolg sind vielseitig: politisches Geschick und durch Kriege geschwächte Gegner wie Persien und das Byzantinische Reich begünstigten die Etablierung des Islams. Diese Erfolgsgeschichte hielt lange an, was der Glaubensgemeinschaft ein enormes Selbstvertrauen verlieh.
Dies konnte nicht ewig halten: Zu Beginn des 16. Jahrhunderts häuften sich die Probleme des muslimischen Osmanischen Reiches. Korruption, Finanzprobleme, Aufstände, die Expansion christlicher Staaten und neue Handelsrouten schwächten das Reich.
Auch in anderen Teilen der Welt kämpften mächtige muslimische Dynastien vermehrt mit Problemen und gingen schließlich unter. So auch das Mogulreich in Indien, das 1858 durch die britische Kolonialherrschaft sein Ende fand.
Durch diese großen Veränderungen in der Weltgeschichte mussten die muslimischen Glaubensgemeinschaften erkennen, dass es Länder und Kontinente gab, die nicht früher oder später sowieso den rechten Glauben annehmen würden. Es kam sogar noch schlimmer: Die kulturelle und wirtschaftliche Dominanz verschob sich vom südlichen Mittelmeerraum nach Europa. Ein wesentlicher Motor dieser Entwicklung waren die neuen Kolonien und von Europa kontrollierte Handelsrouten.
Diese Entwicklungen erschütterten den Islam und führten, nach Fragner, auch zu dem, was in der Publikumsfrage als „kultureller Niedergang“ bezeichnet worden war.
Demokratischer Islam?
Warum nicht? Ohne näher darauf einzugehen, stellt Fragner fest, dass es viele Konzepte gibt, den Islam und Demokratie in Einklang zu bringen. [Anmerkung: Einer der führenden islamischen Theoretiker für Demokratie und Gewaltfreiheit ist Jawdat Said.]
Ebenso gebe es eine Vielfalt an Lehren: Schon seit der Geburtsstunde der Glaubensgemeinschaft habe es einen Richtungsstreit gegeben. Dabei ging es vor allem um die religiöse Führung nach dem Tod des Propheten. Die größten daraus entstandenen Bewegungen sind die Sunniten und die Schiiten. Die Sunniten sind heute die größte islamische Gemeinschaft. Die religiöse Leitung sollte ihrer Ansicht nach ein Nachfahre Mohammeds innehaben. Daraus entstand das Kalifat.
Bei den Schiiten bildete sich das Imamat heraus. Der Imam ist der politisch-religiöse Führer der Gemeinschaft und ist damit Nachfolger des Propheten Mohammed. Doch auch diese Bewegungen sind in viele unterschiedliche Rechtsschulen aufgesplittert.
Aufgrund der Großzahl an unterschiedlichen Lehren könne niemand den Islam alleine nach außen vertreten. Es wäre also auch eine Anmaßung von außen zu urteilen, welche Meinungen richtig oder falsch sind.
Die Scharia sei aus der Innensicht zudem ein bewegliches Rechtssystem und keinesfalls so fixiert und unveränderlich, wie sie im Westen oft gedacht wird. Ihr Zweck ist es, durch Regeln den friedlichen Zusammenhalt der Gemeinschaft zu garantieren. Dies geschieht nicht einfach durch Verbote und Gebote, sondern auch durch Empfehlungen. So sei der Genuss von Alkohol im Koran nicht grundsätzlich untersagt, nur der Wein werde abgelehnt:
„Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind (ein wahrer) Greuel und Teufelswerk. Meidet es! Vielleicht wird es euch (dann) wohl ergehen.“ (5:90)
Und der Islamunterricht?
Dies sei freilich die schwierigste Frage, meint Fragner. Eine Antwort darauf sei kaum möglich: Der muslimische Religionsunterricht werde oft von Menschen gehalten, die nicht unbedingt den in Europa dominierenden moderaten Islam repräsentieren. Dass Österreich seine Identität auf das Christentum stützt und den Islam allzu oft ausblendet, mache die Angelegenheit nicht einfacher. Der Islam und somit auch der islamische Religionsunterricht kann großteils nur abgeschottet von der Öffentlichkeit gelebt werden und biete so Nischen für zweifelhafte Lehren.
Der Autor Tobias Schlagitweit ist Mitglied der Redaktion der GBW Wien.