Junge Grüne im Parlament.
Karina Böhm
„Jung“ ist nicht ausschlaggebend.
Gleich nach den einführenden Worten von GBW Wien-Obmensch Oswald Kuppelwieser kritisiert Maurer „den Hype um junge Abgeordnete“. Damit seien große Erwartungshaltungen an die Jungen verbunden. Ihr gehe es aber vor allem darum, an ihrer inhaltlichen Arbeit gemessen zu werden, daran, was sie weiterbringen kann und wird. „Kapuzenpulli“ und die Diskussion um „angepasst oder rebellisch“ sei für die inhaltliche Arbeit jedenfalls nicht relevant.
Weg ins Parlament und politischer Anspruch.
„Sehr lange“, rund ein halbes Jahr, habe sie überlegt, ob sie ins Parlament gehen wolle, sagt Maurer. Denn das Soziologie-Studium sei immer noch nicht abgeschlossen und es war von Anfang an klar, die Aufgaben als Abgeordnete würden sie voll in Beschlag nehmen. Entscheidend seien letztlich der Wunsch und die Überzeugung gewesen, etwas bewegen zu können, vor allem in ihrem Bereich, der Wissenschaft. Die ehemalige ÖH-Vorsitzende möchte Wissenschaft nun stärker thematisieren. Auf ihrer Agenda stehen unter anderem: „Die Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung, die Möglichkeit für alle, studieren zu können was sie wollen, die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse an den Universitäten sowie für alle freier Zugang zu Hochschulen – unabhängig vom Alter.“
Gerechtigkeit.
Bildungsfragen seien zentral für Gerechtigkeit. „Wer hat welche Chancen auf eine Uni zu gehen“, betont Maurer. Immer noch gebe es paternalistische Strukturen und Elite und Bürgerliche seien auch heute noch überrepräsentiert. „Nervig und unbequem“ sei sie mitunter in Debatten um Gerechtigkeit – auch in der eigenen Partei. Maurer kämpft auch für bessere Rahmenbedingungen, die bereits lange vor der universitären Bildung greifen: „Das kulturelle, soziale und finanzielle Startkapital ist bei uns immer noch ungerecht verteilt.“
Mauerers Demokratieverständnis beinhaltet eine gerechte Verteilung von Chancen insgesamt. Jeder solle die Möglichkeit haben zu verstehen, was abends in den Hauptnachrichten berichtet wird. Wer wisse denn schon zum Beispiel so genau, was sich hinter dem oft gehörten Begriff „Familienlastenausgleichsfonds“ verbirgt? Zum Glück war das eine rhetorische Frage.
Unabhängigkeit von Wissenschaft und Forschung.
Wie Maurer die Situation zur Unabhängigkeit der Wissenschaft und Forschung in Österreich beurteile, fragt eine ältere Frau im Publikum. Indirekte Wirtschaftsförderung durch angewandte Forschung, sei ein Problem, antwortet Maurer. Aber zu glauben, Wissenschaft und Forschung seien jemals frei und unabhängig gewesen, sei sowieso ein Irrtum. „Firmen haben immer schon Forschungsaufträge gesponsert.“ Trotzdem streicht Maurer klar heraus: „Wissenschaft und Forschung sind Staatsaufgaben!“
Wissenschaft ist international.
Im Publikum meldet sich eine andere Frau zu Wort. Sie kritisiert, dass Menschen in Österreich zwar eine universitäre Ausbildung auf Kosten der Allgemeinheit genießen, viele von ihnen aber nach Abschluss ins Ausland abwandern. So würden dem Staat wertvolles Wissen und Steuereinnahmen abhanden kommen. Dazu erklärt Maurer: „Wissenschaft war schon immer international. Gute Leute müssen weg, um sich zu entwickeln.“ Der Staat habe kein Recht darauf, dass jemand in weiterer Folge in Österreich arbeitet und das Geld fürs Studium zurückzahlt. Kritisches Bewusstsein, Reflexionsvermögen und Persönlichkeitsentwicklung seien wichtiger „als für die Volkswirtschaft etwas zu leisten.“ Außerdem gehe der Wissenstransfer nicht einseitig in Richtung Ausland, sondern „auch wir haben internationalen Zuzug.“
Open Access – leistbare Wissenschaft für jeden.
Derzeit gebe es das EU-Programm für Forschung und Innovation „Horizon 2020“, informiert Maurer. Dieses knapp 80 Milliarden schwere und weltweit größte transnationale Programm beinhalte die Verpflichtung, „open access“ zu publizieren. So müssten interessierte Menschen wissenschaftliche Publikationen nicht mehr extra kaufen, sondern bekämen online Zugang zu Forschungsergebnissen. Top gerankte Magazine wie etwa „Nature“ oder „Science“ seien teuer, und nicht jeder könne sich alle relevanten Magazine zu seinem Spezialgebiet leisten.
Zeit- und Ressourcenmanagement als Abgeordnete.
Eine Stimme im Publikum möchte wissen, ob Maurer von den Aufgaben als Parlamentarierin überrascht worden und was derzeit ihre größte Herausforderung sei. „Ich war nicht neu in der Politik“, antwortet Maurer und verweist auf ihre Zeit als ÖH-Vorsitzende. Nein, von den politischen Prozessen, dem Alltagsgeschäft, den Aufgaben als Abgeordnete sei sie nicht überrascht worden.
Ihre derzeit größten Herausforderungen allerdings seien „Zeit- und Ressourcenmanagement“. Zwar habe sie zwei Mitarbeiter*innen, jedoch sei selbst damit die Arbeit nur schwer zu bewältigen.
Wissenschaftsfeindliches Österreich?
Im internationalen Vergleich sei Österreich eher wissenschaftsfeindlich zu bewerten, moniert Maurer. „Wir haben oft zu wenig Forschungsdaten“, kritisiert sie weiter. „Bei uns heißt es immer gleich: Wozu brauchen wir das?“ Darüber müsse man reden. Aber auch darüber, was mit Forschungsergebnissen geschehe. Dieses Thema sei an den Hochschulen unterbelichtet.
Maurer beklagt auch den intellektuellen Diskurs in Österreich insgesamt. Im Vergleich zu Deutschland sei das Niveau unserer Leitartikler*innen aber auch jenes im Parlament oft eher mau.
Lobbyismus.
Gefragt nach Lobbyismus im Parlament erklärt Maurer: „Die Lobby-Diskussion wird einseitig geführt.“ Lobbyismus per se sei nichts Negatives, dürfe nicht schwarz oder weiß gesehen werden. Als ÖH-Vorsitzende habe sie auch lobbyiert, nämlich für die Studierenden. Viel wichtiger seien Machtfragen: „Welcher Lobbyist hat wie viel Macht?“ Dabei gehe es natürlich um Geld. Welche Rolle spiele beispielsweise der Raiffeisenkonzern bei manchen Abgeordneten?
So geht die Veranstaltung an diesem Nachmittag mit dem schwarzen Schatten eines mächtigen Konzerns zu Ende. Während draußen immer noch die Sonne scheint, eilt Sigi Maurer weiter zu ihrem nächsten Termin. Das Publikum hat eine spannende, interaktive Diskussion mit frischem Wind erlebt. Dank einer ambitionierten und engagierten Parlamentarierin, die vor allem an ihrer Arbeit gemessen werden will – und nicht an ihrem Alter. Und das ist gut so.
Die Veranstaltung fand in Kooperation von Grüner Bildungswerkstatt Wien und IGS (Initiative Grüne Senior_innen Wien) statt.
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Links.
Sigi Maurer
Horizon 2020