Kapitalismus ablösen – vom Wunsch zur Wirklichkeit.
„Das Ziel ist, ins Tun zu kommen!“
Die Veranstaltung wird kein Frontalvortrag werden. Dies ist schon zu Beginn deutlich. Auf dem Tisch liegen Papier und Stifte sowie bunte Holzbausteine, die Teilnehmenden fertigen Namensschilder an. „Das Ziel ist, ins Tun zu kommen“, beschreibt die Workshopleiterin Florentine Maier den Zweck dieses Abends. Sie arbeitet an der Wirtschaftsuniversität Wien am Institut für Nonprofit Management und beschäftigt sich seit der Finanzkrise 2008 verstärkt mit Kapitalismus und möglichen Alternativen.
In einer Vorstellungsrunde tauschen sich die Teilnehmenden über ihren persönlichen Hintergrund und ihre Motivation aus. Was ist das Problem am Kapitalismus?
„Die Motivation im System ist falsch. Punktum!“, äußert eine Teilnehmende grundsätzliche Kritik am Kapitalismus. Ein Anderer hält nicht den Kapitalismus als solchen für problematisch, sondern die Rahmenbedingungen, unter denen er sich entfaltet. Eine Teilnehmende fasst die Fragen zusammen: „Was kann man diesem Modell entgegenstellen? Oder muss man es nur anders gestalten?“
Schon in der Vorstellungsrunde zeigt sich, die Hintergründe und Perspektiven der Workshopteilnehmenden sind verschieden, aber es herrscht Einigkeit: So kann es nicht weitergehen und Alternativen müssen geschaffen werden.
„Ich kann euch nicht sagen, wie ihr Veränderungen machen sollt“, betont Maier die Notwendigkeit, ausgehend von eigenen Interessen und Fähigkeiten Andockpunkte zu finden und erste Schritte zu setzen. Der Workshop soll keine allgemeingültige Lösungsperspektive vorschlagen, im Mittelpunkt steht die Entwicklung von eigenen Experimenten des Wandels, die bis zur abschließenden Veranstaltung am 10. Oktober ausprobiert werden sollen. „Es ist offen, was wir gemeinsam lernen aus einem Monat Tun“, beschreibt Maier diesen experimentellen Prozess.
Was ist Kapitalismus und welche Veränderungsstrategien gibt es?
Mit einem kurzen Input über Kapitalismus und Veränderungsstrategien öffnet Maier das Feld für die gemeinsame Diskussion und kreative Prozesse.
Ihre Kapitalismusdefinition basiert auf Marx. Demnach ist Kapitalismus ein Gesellschaftssystem, in dem das Kapital die vorherrschende Ideologie ist. „Kapital ist ein Prozess, in dem aus Geld mehr Geld werden soll“, fasst sie die grundsätzliche Logik und Dynamik unseres Gesellschaftssystems zusammen. Strategien zur Überwindung des Kapitalismus´ gab und gibt es viele. Maier unterteilt sie zur Orientierung in drei Arten: avantgardistisch, präfigurativ und reformistisch.
Im ersten Ansatz soll eine Elite von oben herab ein anderes System etablieren, eine Strategie, die weitgehend diskreditiert sei, so Maier. Die präfigurative Praxis versuche in der alten Welt die neue schon aufzubauen, was eine wichtige Inspirationsquelle sei. „Denn so wird erlebbar: Eine andere Welt ist möglich.“ Allerdings funktioniere dies auch nur in einer Nische, die Makrostruktur würde kaum angetastet, unterstreicht Maier die Begrenzungen dieser Veränderungsstrategie. Demgegenüber setzten reformistische Veränderungsstrategien vor allem an dieser Ebene an.
Wo und wie können wir am meisten bewegen? Beteiligen wir uns an Institutionen, unterwandern wir sie oder versuchen wir sie abzuschaffen? Diese immer aktuellen Strategiefragen werden auch im Workshop leidenschaftlich diskutiert. „Es bringt nichts, sich zu streiten, wer die beste Idee und Strategie hat“, so Maier. Sie weist darauf hin, dass es viele gangbare Wege gibt, jedoch solle im Mittelpunkt das Experiment stehen: „Wie könnte die Versuchsanordnung für diesen Monat ausschauen? Was könnten sinnvolle Schritte der Veränderung sein?“
Bausteine der Veränderung – die Entwicklung von Experimenten.
Der Haufen beschriebener Bausteine auf dem Tisch inspiriert und bietet Vorschläge und Themenfelder für Transformationen: Generalstreik, eine neue Regierung ausrufen, Kampagne, Essen, Finanzmärkte kontrollieren, Recht auf Stadt, Allmende, Zwangsräumungen verhindern oder einen Aufstand planen.
„Es braucht viel Mut etwas zu machen, was 95 Prozent der Leute für verrückt halten, aber es ist nichts zu groß, nichts zu klein“, stimmt Maier darauf ein, sich eigene Experimente des Wandels zu überlegen. Anfänglich zögernd, dann aber voller Elan finden sich die Teilnehmenden in Kleingruppen zusammen und diskutieren mögliche Schritte und Experimente.
So vielseitig die Teilnehmenden sind, so verschieden sind auch ihre Ideen: Mit Hilfe eines Einkaufstagebuches will eine Teilnehmende kritischer konsumieren. Anderen geht es um die gemeinsame Nutzung von Ressourcen. Eine Plattform soll Überschüsse und Räume für viele zugänglich machen, in einer kleinen Grätzelwerkstatt sollen Werkzeuge für alle benutzbar werden. Reparieren statt wegwerfen, teilen, statt selber besitzen ist das Motto dieser Experimente. Mit ähnlicher Motivation sollen Leerstände gemeinschaftlich genutzt und in soziale Orte verwandelt werden. „In einem tanzen, in einem Schach spielen, in einem anderen zusammen Filme schauen, darf ich weiterträumen? Das schaff ich mit links!“, verdeutlicht eine Teilnehmende, dass es an Ideen und Tatkraft nicht mangelt.
Leerstand sei auch auf dem Land ein Thema, begründet eine Diskutantin ihr Interesse am Thema und will mehr Informationen sammeln, wie leistbares Wohnen für alle umgesetzt werden kann. Sie stellt die Frage: „Wie kann nicht-kapitalistisches Wohnen aussehen?“ An diese Frage schließt ein Teilnehmer an und will durch die Verhinderung von Zwangsräumungen – jeden Tag gibt es in Wien über sieben (1) – im Bereich Wohnen den kapitalistischen Logiken entgegentreten.
Andere wollen sich an politischen Kampagnen gegen Freihandelsabkommen (2) beteiligen, bei ATTAC mitwirken und die Fachsprache von politischen Dokumenten übersetzen, so dass sie für alle verständlich werden.
Scheitern erlaubt.
Mit der Vorstellung der Experimente definieren die Teilnehmenden gleichzeitig ihre eigenen Erfolgskriterien. Aber auch bei Misserfolg sollen die Teilnehmenden zur nächsten Veranstaltung kommen. „Denn gerade durch das Scheitern der Experimente, können wir das System besser verstehen“, nimmt Maier die Angst vor dem Scheitern und ermutigt, erste Schritte zur Ablöse des Kapitalismus zu gehen.
Über die Erfahrungen der Experimente werden sich die Teilnehmenden am 10. Oktober beim zweiten Modul der Workshopreihe austauschen.
Links.
Wohnen in Wien – Einblicke ins Verborgene: Teil 1 Delogierungen
Kampagnenseite gegen TTIP/ CETA
Der Autor, Raphael Kiczka, ist Sozial- und Politikwissenschaftler und Mitglied des Redaktionsteams der GBW Wien.