Kinderlos & glücklich: Wenn die Uhr nicht tickt.

GBW
Der Andrang von Frauen ist groß, als Sarah Diehl am 8. April 2015 im Wiener Depot ihre Streitschrift mit dem Titel „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich“ vorstellt. Für das Buch hat die Autorin 30 freiwillig kinderlose Frauen interviewt, um mit ihnen über die Gründe für ihre Entscheidung und die Reaktionen aus ihrem sozialen Umfeld zu sprechen.
Mit Kopf und Herz für die Kinderlosigkeit.
Obwohl der Autorin unterschiedliche Gründe für ein Leben ohne Kinder genannt wurden, kam die klassische Karrierefrau, die sich ausschließlich auf ihre berufliche Laufbahn konzentriert, nicht vor. Kinderlose Paare gehen zahlreichen Freizeitaktivitäten nach, sie engagieren sich gesellschaftspolitisch, legen besonderen Wert auf eine gleichberechtigte Beziehung und haben mehr Zeit sich gegenseitig auf intellektueller Ebene zu fordern. Neben dem nicht vorhandenen emotionalen Bedürfnis biologische Nachkommen zu zeugen, sind es oft auch rationale Überlegungen, die gegen Kinder sprechen: Die interviewten Frauen haben laut Diehl ein sehr realistisches Bild von der Mehrfachbelastung, mit der berufstätige Mütter nach wie vor konfrontiert sind und die sie als Einschränkung wahrnehmen.
„Frustrierte Individualistinnen“ – wenn Frau-Sein alleine nicht reicht.
Die Interviews von Diehl zeigen, dass freiwillige Kinderlosigkeit gesellschaftlich nicht akzeptiert wird. Die meisten Vorurteile und Vorwürfe kreisen um die vermeintlich biologisch determinierte Rolle der Frau als Mutter: Über kurz oder lang möchte jede Frau schwanger werden, das liege nun einmal in ihrer Natur. Frauen würden frustriert werden, wenn sie keine Nachkommen zeugen. Es sei egoistisch und der Inbegriff des Individualismus kein Leben schenken zu wollen. Diese Vorurteile machen aus selbstbestimmten Frauen Opfer der Emanzipation, so weit von der “Natur“ entfremdet, dass sie ihre biologischen Bedürfnisse nicht mehr wahrnehmen würden. Es fehle laut Diehl an Vorbildern kinderloser Frauen, denn „früher oder später werden Frauen nach wie vor an Mutterschaft gemessen.“
Die gesellschaftliche Wertung führe dazu, dass sich viele kinderlose Frauen als „anders“ wahrnehmen. Daraus folge eine tiefe persönliche Auseinandersetzung zu ihrem „fehlenden“ Mutterinstinkt oder vermeintlich unterdrückten Bedürfnissen. Diehl betont in diesem Zusammenhang, dass es normal sei sich dann und wann zu fragen, ob man im Leben die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Wichtig sei, zurückblicken zu können und zu sehen, dass man eigene Ziele verfolgt habe – egal ob mit oder ohne Kind.
Mütter – eine Frage der sozialen Sicherheit!
Auch die Politik mischt sich ein, wenn es um Fragen der Reproduktion geht, denn die soziale Sicherheit hängt laut vielen Politiker*innen von der demographischen Entwicklung des Landes ab. Pensionen müssten gesichert, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung durch Kinder gewährleistet werden. Kinder werden laut Diehl dabei zum politischen Allheilmittel erklärt, während die Emanzipation Schuld am gesellschaftlichen Niedergang sei. Das Interesse an diesem Thema komme laut der Autorin von politischen Bestrebungen, Frauen nach wie vor auf ihre reproduktive Rolle zu beschränken. Durch den „natürlichen Mutterinstinkt“ wären Frauen prädestiniert für den Care-Bereich, sei es nun bei unbezahlter Arbeit im Haushalt und in der Familie oder am Arbeitsmarkt im Bereich der Pflege und Betreuung.
Die Kleinfamilie und ihre Tücken.
„Die Kleinfamilie wird oft als Hort der Glückseligkeit inszeniert, von Entbehrung keine Spur“, so Diehl. Dabei würden Schwierigkeiten der Kleinfamilie, wie etwa Scheidungen, Mehrfachbelastung oder Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, zeigen, dass alternative Konzepte notwendig sind. Gemäß dem afrikanischen Sprichwort „Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind zu erziehen“ sieht Diehl in anderen Formen des Zusammenlebens, etwa in Mehrgenerationenhaushalten, in Kommunen oder durch soziale Elternschaft viel Potential. In Kanada ist es gesetzlich möglich, bis zu vier Personen als soziale Eltern für ein Kind eintragen zu lassen. Die sozialen und biologischen Eltern teilen dadurch nicht nur die Arbeit, sondern auch die Verantwortung für ein Kind. Während biologisch kinderlose Frauen dadurch eine sehr enge Beziehung zu einem Kind aufbauen können, reduzieren sie gleichzeitig die Mehrfachbelastung der biologischen Mütter, laut Diehl eine klassische Win-Win-Situation.
Kinder – nicht nur eine Frage der Vereinbarkeit.
Als Frauensprecherin der Grünen kritisiert Berîvan Aslan die Vermischung von Familien- und Frauenpolitik. Diese führe dazu, dass Fragen der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Kindererziehung bei Frauen verortet werden. Aslan verweist dabei auf familienfreundliche Rahmenbedingungen in Skandinavien, die dazu führen würden, dass über 70 Prozent der Frauen berufstätig sind und dennoch zwei bis drei Kinder haben. Die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen, fehlende qualifizierte Teilzeitarbeit und mangelnde Kinderbetreuungsplätze sind dagegen laut der Frauensprecherin wichtige politische Herausforderungen. Diehl stimmt Aslan bei den Forderungen zwar zu, betont aber, dass sich viele Frauen trotz verbesserter Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Kinderlosigkeit entscheiden würden.
Kinderloses Glück im Publikum.
Die offene Diskussionsrunde mit dem Publikum bestätigt viele Thesen von Diehls Recherchen: Vielfalt an Motiven sich gegen Kinder zu entscheiden, intensive persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die auch im Bedürfnis nach Vernetzung und Austausch artikuliert wird, sowie Kritik am Konzept der Kleinfamilie.
Eine Besucherin, die sich bewusst für ein kinderloses Leben entschieden hat, vermisst in der politischen Diskussion die Sichtbarkeit kinderloser Frauen. „Ich möchte Frauen zeigen, dass es für Glück keine Kinder braucht und ihnen Mut zu dieser Entscheidung zusprechen.“
Die Autorin, Lydia Steinmassl, studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft. Sie ist Mitarbeiterin des Österreichischen Austauschdienstes (OeAD).