Klimawandel und Katastrophen - sich auf der richtigen Seite irren

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Entweder Umweltthemen sind in Mode, oder die geladenen Gäste verfügen über eine große Fangemeinde. Vielleicht auch beides – jedenfalls war der Festsaal berstend voll, als Andreas Novy, Obmann der Grünen Bildungswerkstatt und Moderator des Abends, die Veranstaltung „Klimawandel und Katastrophen“ eröffnete. Mit ihm sprachen die Wissenschaftlerin des Jahres 2013, Verena Winiwarter, WU-Rektor Christoph Badelt, sowie von den Grünen Umweltsprecherin Christiane Brunner und Wissenschaftssprecherin Sigi Maurer darüber, dass sich die Umwelt nicht alles von uns gefallen lässt.?
Es gehe, so Novy, um die Verbindung der ökologischen und der sozialen Frage, um die Verbindung von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Politik. Lösungen für die komplexen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht am Reißbrett erfinden. Nur durch eine breite, öffentliche Debatte können robuste Entscheidungsgrundlagen entstehen – wozu dieser „Dialog der Monologe“ beitragen soll.
Risikospiralen im Zeitalter der Nebenwirkungen.
Sichtlich erfreut nimmt Verena Winiwarter die Aufgabe an, ihre Wissenschaft in eine politische Diskussion einzubringen. „Umweltgeschichte goes parliament“, postete sie dazu auf Facebook. Menschliches Handeln hat großen Einfluss auf die Umwelt und natürliche Phänomene lassen sich von uns Menschen nur ungern gänzlich kontrollieren, waren die beiden Ausgangspunkte ihrer Überlegungen. Wenn wir das akzeptierten, wären wir schon sehr weit. Denn so sehr wir auch versuchen, gewisse Probleme in den Griff zu bekommen, letztendlich sei keine Lösung nebenwirkungsfrei – was Winiwarter als „Risikospirale“ bezeichnet. Um die leidige Existenz von Risikospiralen aufzuzeigen und Hinweise zu geben, wie wir sie bremsen und minimieren können, gibt es die Umweltgeschichte. Dass deren Einsichten zu wenig Gehör finden, beweisen die Diskussion um Fracking, der aufgeschobene Atomausstieg sowie die bloße Verwaltung statt Bekämpfung des Klimawandels.?Mit einem Blick auf die Geschichte macht die Dekanin der Alpen Adria Universität klar, dass wir in einem „Zeitalter der Nebenwirkungen“ leben. So kommen zum Beispiel Tsunamis listigerweise nicht nur in Japan vor, sondern wurden auch in Europa schon öfter registriert. Die Ölplattformen in der Nordsee seien aber wenig tsunamifest, führt Winiwarter eine vorprogrammierte Naturkatastrophe vor Augen.

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Es gibt mehrere Versuche, den menschlichen Einfluss auf die Umwelt zu messen. Betrachtet man die Entwicklung solcher Indikatoren, lässt sich zeigen, dass unser Einfluss sich seit dem Jahr 1900 etwa vertausendfacht hat und etwa seit 1950 einen exponentiellen Anstieg verzeichnet. Dafür nennt Winiwarter zwei Hauptgründe: Technologie und die Verfügbarkeit von relativ billiger Energie. Unser Gesellschaftssystem und Lebensstil wird noch die nächsten 5000 Generationen beschäftigen, so die ernüchternde Prognose. Genau daran will Umweltgeschichte erinnern.
Das Wissen und das Wollen.
Christiane Brunner berichtet aus eigener Erfahrung, dass Umweltpolitik oft zäh sei. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, Sorgen um die Staatsschulden, etc. immer sei gerade etwas anderes im Vordergrund. Eine „verkehrte Welt“, in der selbstdefinierte Gesetze offenbar wichtiger seien als Naturgesetze. Als eine zentrale Aufgabe der Politik sieht Brunner, Beteiligung zu ermöglichen. Denn nur wenn Menschen das Gefühl haben, etwas verändern zu können, interessieren sie sich auch für Politik.

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Christoph Badelt gibt gleich eingangs zu, schon leichter passende Kommentare gefunden zu haben. Als Ökonom könne er auf die Eigenheiten von „öffentlichen Gütern“ verweisen, welche im Grunde genommen hinter den von Winiwarter beschriebenen Problemen stehen: Wenn ein Problem so groß ist, dass es niemand alleine lösen kann, und daher alle auf eine Lösung durch andere warten, wird sich im Endeffekt niemand darum kümmern. Dann, so Badelt, kann nur eine staatliche Intervention helfen. Diese Erkenntnis sei in Bezug auf die angesprochenen ökologischen Probleme jedoch relativ trivial, zumal das Wissen um die Untragbarkeit unseres Gesellschaftssystems seit langem auf dem Tisch liege. Was fehlt, ist der politische Wille und die Beantwortung der Frage, wie das politische System konzipiert sein müsste, um vorausschauende Entscheidungen treffen zu können.
Evidenzbasierte Politik und Kinderuni.
Der Grünen Wissenschaftssprecherin Sigi Maurer fällt die dankbare Aufgabe zu, das Buffet zu eröffnen. Zuvor weist sie jedoch noch auf einige schwer verdauliche Brocken aus ihrem Berufsalltag hin. So etwas wie „evidenzbasierte Politik“ gebe es in Österreich nicht. Expert*innen bekämen maximal zehn Minuten Zeit, um komplexe Sachverhalte darzustellen. „Nichts gegen die Kinderuni“, aber der Vergleich liege oft nicht sehr fern. Die relativ große Wissenschaftsfeindlichkeit in Österreich spiegle sich also im Parlament wider. Ein massives Problem sei zudem die Ökonomisierung der Wissenschaft – wozu die Eingliederung des Wissenschafts- in das Wirtschaftsministerium eine passende Symbolik liefere. „Das darf nicht sein!“ Denn genau durch diese kurzfristige Verwertungslogik entstünden jene Probleme, vor denen Winiwarter so eindrücklich gewarnt hat.
Andreas Novy hat diese Warnung bereits eingangs mit einem Zitat von Winiwarter selbst pointiert zusammengefasst: „Im Sinne einer Verantwortung für künftige Generationen ist es klüger, sich die natürlichen Systeme als fragil vorzustellen. Es ist besser, auf der richtigen Seite zu irren.“ Wie wir das hinbekommen könnten, sagt uns Winiwarter zum Abschluss selbst:?„Ich plädiere dafür, Visionen zu haben.“
Der Autor, Michael Schwendinger, hat Internationale Entwicklung und Volkswirtschaft studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.