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Kommentar zur Subsistenzperspektive - David Löw Beer

Die Frage, was wir wirklich brauchen ist zweifellos eine wichtige, weil sie zur Emanzipation und Selbstbestimmung beiträgt. Im Gegensatz zu den Lebensstilen, die heute in der westlichen Welt üblich sind, muss es um einen Verzicht gehen, der für viele Menschen auch spürbar ist, weil sie sich so an ein bestimmtes Leben gewöhnt haben.

Johanna Biesenbenders, Sigrid Gerls, Johann Strubes und Monika Thuswalds Beschreibung der Subsistenzperspektive als Ansatz zur Lösung der globalen sozial-ökologischen Krise besticht dadurch, dass er sowohl  weitreichend als auch bescheiden ist. Es ist empörend, wie schwierig es ist in Europa ein suffizientes Leben zu führen. Beispielsweise ist es Landwirten, die sich für eine biologische Landwirtschaft entschieden haben, wegen der Agrarpolitik nur sehr schwer möglich, tatsächlich eine große Vielfalt unterschiedlicher Produkte auf kleiner Fläche anzubauen. Oft können den Angestellten in solchen Betrieben keine menschenwürdigen Löhne bezahlt werden. Die Erzeugung von Milch oder anderen tierischen Produkten ist fast immer damit verbunden, dass die Tiere geschlachtet werden müssen, sobald sie nicht mehr produktiv sind. Zugleich wird durch die Abschaffung von Erbschafts- und Vermögenssteuer und durch die Senkung von Steuersätzen Ungleichheit massiv verschärft, so dass für viele Menschen das Gefühl eines Mangels im Verhältnis zu anderen, die eigentlich so naheliegende Frage überdeckt, was man wirklich braucht. Weiterhin fehlt vielen Menschen wegen hoher Arbeitsbelastung und langen Arbeitszeiten der Raum, der nötig ist, um ein suffizientes Leben auszuprobieren. Umso erfreulicher ist es dann von den vielen Beispielen von Menschen zu lesen, die aus diesen systemischen Zwängen ausbrechen und sich nicht die Freiheit davon nehmen lassen selbst darüber zu entscheiden, was zu einem „Guten Leben für alle“ zählt.

Sicher ist es naheliegend bei so einer Vision zu hinterfragen, ob sie tatsächlich in einer Welt mit sieben Milliarden Menschen umsetzbar ist, weil es zwangsläufig Konkurrenz um die Nutzung von Land gibt und nicht alle sinnvollen Nutzungsformen umsetzbar sind. Da es aber den Autor_innen insbesondere um einen „Wandel in uns“ geht und sie Ansatzpunkte für einen „Austausch mit anderen Konzepten suchen“, möchte ich einige Impulse geben, die unmittelbar an den Text anschließen.

Die Frage, was wir wirklich brauchen ist zweifellos eine wichtige, weil sie zur Emanzipation und Selbstbestimmung beiträgt. Zugleich stimme ich aber auch Amartya Sen zu, wenn er beschreibt, dass sich die meisten Menschen zwar weitgehend mit dem Abfinden, was sie haben, sich jedoch wünschen etwas mehr zu haben. Die Frage danach, was wir brauchen, wird unter dieser Perspektive dann schwierig zu beantworten. Braucht jemand der Freunde, Verwandte oder eine Liebe in einem anderen Kontinent hat, regelmäßige Reisen dorthin? Brauche ich regelmäßig neue Kleidung, weil sie eine Form ist mein Inneres auszudrücken? So wichtig die Frage danach ist, was wir brauchen, sie muss immer daran gekoppelt sein, was für die Erde tragfähig ist. Auch weil sie den Einzelnen sonst leicht in der heutigen Welt mit den unendlichen Möglichkeiten überfordert.

Ich kann mich der Überzeugung der Autor_innen anschließen, dass Menschen in einer suffizienten Welt nicht unzufriedener oder unglücklicher sind. Nicht zuletzt zeigt ja die Glücksforschung, dass wir dauerhaft zufriedener sind, wenn wir mehr enge menschliche Beziehungen und Zeit haben. Zugleich erschließt sich mir aber nicht, warum man bei so einem Wandel nicht von Verzicht sprechen möchte. Im Gegensatz zu den Lebensstilen, die heute in der westlichen Welt üblich sind, muss es doch um einen Verzicht gehen, der für viele Menschen auch spürbar ist, weil sie sich so an ein bestimmtes Leben gewöhnt haben. Ich denke auch, dass es möglich ist Menschen von so einem Verzicht zu überzeugen, wenn klar ist, dass ein Existenzminimum für alle gesichert ist und die Lasten für einen Verzicht gerecht verteilt sind. Und wenn dafür gesorgt wird, dass ein Leben mit weniger Konsum möglich ist, weil beispielsweise Regeln dafür sorgen, dass Geräte länger halten und repariert werden können. Dann kann man auch akzeptieren, dass es nicht jedes Jahr ein neues Smartphone sein muss und Urlaub nicht nur dort stattfinden kann, wo Sonne garantiert ist. 

So begrüßenswert ich es finde, dass in einer Community Supported Agriculture – wie von den Autor_innen dargestellt – Menschen ihren Beitrag entsprechend ihrer finanziellen Möglichkeiten, in einem bestimmten Rahmen anpassen können, kann so etwas doch keine Gesellschaftsvision sein. Es sollte nicht von der Spendierfreudigkeit wohlhabender Menschen abhängen, sondern das Recht eines jeden Menschen sein, sich von Produkten ernähren zu können, die in guten Bedingungen für Natur und Menschen hergestellt wurden.

Daneben ein Widerspruch in einem Detail: Man kann vieles an der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre kritisieren (wachsende Ungleichheiten, enormer Ressourcenverbrauch), aber das mehr Menschen hungern stimmt nicht (siehe die Berichte der FAO oder vom World Food Programme).

Unter diesen Anmerkungen soll aber nicht untergehen, dass ich den Text insgesamt inspirierend finde und mir das kämpferische gefällt. Ich hoffe sehr, dass er dazu beiträgt in Österreich und Europa die Möglichkeiten für ein suffizientes Leben (zurück) zu gewinnen.

David Löw Beer hat in Tübingen, in Niterói, Brasilien und in Burlington, USA internationale Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert. Nach dem Studium hat er zwei Jahre an einer Gesamtschule gearbeitet. Gegenwärtig schreibt er seine Doktorarbeit in Landau zu ökonomischer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Mit seiner Forschung und seinen Tätigkeiten in der Bildungsarbeit möchte er dazu beitragen, dass sich Kinder und Jugendliche aktiv an der Gestaltung einer zukunftsfähigen Wirtschaft und Gesellschaft beteiligen können.