´La Comuna´ - Gelebte Basisdemokratie in Venezuela.

GBW
Comunas repräsentieren lokale ´Selbstregierungen´ in Venezuela: Bürger*innen, welche gemeinsame Interessen und in der Regel die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht teilen, organisieren ihr Zusammenleben im jeweiligen Stadtteil. Drei bis neun, aus den eigenen Reihen gewählte, kollektive Leiter*innen (Consejos Comunales) vermitteln zwischen Rathaus und Bezirksregierung. Sie sind für die Umsetzung von Projekten verantwortlich, über deren Inhalt die lokalen Bürger*innen vorab kollektiv beraten und entscheiden. Der partizipative, nicht-hierarchische Entscheidungsprozess wird bedürfnisgerecht in Form von interaktiven Diskussionen und Roundtable-Gesprächen im Rahmen von Workshops gestaltet. Nach erfolgten flächendeckenden Alphabetisierungen werden von diesen Comunas im Geiste der „Pädagogik der Unterdrückten“ von Paolo Freire laufend Schulungsangebote bereit gestellt: Sowohl für die jeweiligen Sprecher*innen als auch für die Partizipierenden.
Armutsbekämpfung durch Selbstorganisation.
Der Film vermittelt zunächst einen Eindruck über die vielfältigen Aktivitäten von Comunas. Gezeigt wird eine landwirtschaftliche Kooperative als Unternehmen sozialer Produktion, welches erfolgreich die regionale Versorgung mit Milchprodukten in die Hand nimmt und Einnahmen aus Überschüssen in Produktionsmittel reinvestiert. Eine andere Comuna fordert für sich den verfassungsmäßig garantierten Anspruch auf Telekommunikation und damit den Zugang zum Internet ein. Betroffene Bürger*innen partizipieren hierfür in mehreren Workshops und reflektieren dabei nebenbei über den Appell ihrer Sprecherin: Es gelte die neuen Kommunikationsmittel als Instrument der Befreiung zu nutzen und sich nicht von diesen beherrschen zu lassen. Aufbruchstimmung und Frauen-Power werden auch beim kommunalen Engagement diverser Infrastrukturprojekte spürbar. Etwa, wenn die Sprecherin mit einigen Genossinnen hemdsärmelig die Vermessung von Straßen, Sanierungsarbeiten und Planung von Häusern in die Hand nimmt. Dass es sich dabei um äußerst produktive Arbeit handelt, wird durch ergänzende Schilderungen von Azellini deutlich: Die in den letzten beiden Jahren 1,5 Millionen neu errichteten Häuser beruhen zu 62 Prozent auf der Initiative von selbstorganisierten Stadtteilen. Die UNO bestätigte, dass Venezuela das einzige Land sei, welches in Sachen Verbesserung des Lebensstandards das Millenniumsziel tatsächlich erreichte.
Gerhild Schutti
Von bürokratischen Hürden und der Mühsal kollektiver Entscheidungsfindung.
Betrachter*innen werden allerdings nicht im Unklaren darüber gelassen, dass die sichtlich motivierende und befreiende Selbstorganisation nach wie vor mit dem ´Schatten der Hierarchie´ zu kämpfen hat. Frustration verwandelt sich aber rasch in entschiedene Bereitschaft zum Widerstand. Etwa wenn freiwilliges Engagement durch Schubladisierung von Projektanträgen oder Willkürentscheidungen intransparenter Ministerien abgestraft wird. Dann wird „unwilligen Funktionären mit sicheren Salären“ mit einer Pressekonferenz gedroht. Der revolutionäre Charakter reflektiert sich aber auch im Appell der Sprecherin der Comuna ´Ernesto Che Guevarra“: Sie ruft ihre Bürger*innen dazu auf, 20 Tage im Jahr in den ´sozialen Kampf´ zu investieren.
Trotz motivierter Sprecher*innen und enthusiastischer Grundstimmung in den Versammlungen geben phrasenhaft und obsolet anmutende Wortmeldungen einzelner Workshop-Partizipierender mitunter Anlass zur Skepsis. Der Entscheidungsprozess in den Comunas scheint auf der Stelle zu treten. Klagen über zu geringe Beteiligung verstärken diesen Eindruck. Azellini verweist hierzu auf die evidenten Erfolge der Basisarbeit und lässt wissen: Es gehe weniger um die Beteiligung ausgewählter, sondern betroffener Bürger*innen. Ihr Selbstvertrauen sei enorm gewachsen. Sie sind davon überzeugt, dass repräsentative Demokratie nicht funktioniert und sie haben erfahren, dass sich Marginalisierung durch Selbstorganisation überwinden lässt. Sie kennen ihre Probleme selbst am besten und können diese kollektiv mit professioneller Unterstützung besser lösen als Expert*innen.
Sozialer Wandel und seine Gegner.
Azellini gibt sich überzeugt, dass sich Konflikte mit den Institutionen zwar nicht vermeiden, die beobachtbaren systeminternen Widersprüche aber abschwächen lassen: Einerseits fordern die Consejos Comunales den Abbau von Staat und Bürokratie. Andererseits sind ihre selbstverwalteten Vorhaben wie der Aufbau einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung und die Organisation von Schulungen auf einen wachsenden administrativen Regierungssektor angewiesen. Damit sich das Prinzip ´Selbstorganisation´ weiter entwickelt, wollen Comunas künftig nicht nur bürokratische Strukturen verändern. Mit ihrer Forderung nach Kohärenz, Seriosität und Transparenz wollen sie auch progressiv auf die ministerielle Arbeits- und Kommunikationskultur einwirken. Abschließend gibt Azellini zu bedenken, dass die ´populare Demokratisierung´ zwar zweifelsfrei dem verstorbenen Expräsidenten Hugo Chavez zu verdanken sei. Die Tatsache, dass es sich bei den Partizipierenden aber nicht nur um bekennende „Chavistas“ handle und die politisierten Bevölkerungsgruppen sich erst später der konkreten Basisarbeit anschlossen, zeuge aber vom tendenziell überparteilichen Charakter der venezolanischen Basisdemokratie. Wenig überraschend sehe sich diese neue sozialistische Errungenschaft heute mehr denn je mit den Angriffen oppositioneller Konzerne konfrontiert: Durch die systematische Forcierung von Produktionsengpässen sollte der Öffentlichkeit das Bild von der Mangelwirtschaft vermittelt werden.
Die Autorin, Gerhild Schutti, hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Philosophie studiert und ist Mitglied des GBW-Redaktionsteams.
Buchtipp zum Film: Azellini, Dario (2010) Partizipation, Arbeiterkontrolle und die Commune.