Landraub.

GBW
Im Zuge der Finanzkrise 2008 hat das Finanzkapital die Äcker dieser Erde als gewinnträchtiges Geschäftsfeld entdeckt. Statt Bäuer*innen bestimmen Profitinteressen über Grund und Boden. Auf der Londoner Konferenz für Agrarinvestments schwärmen die Redner vom „huge potential in Africa“. Viel Land, dort liege die Zukunft ...
Bitterer Zucker.
Die Doku startet in Kambodscha. Dort treibt der Zuckerkonzern des Magnaten Ly Yong Phat sein schmutziges Geschäft jenseits der Menschenrechte. Hunderte Häuser wurden niedergebrannt, mit Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, die Familien vertrieben, damit dort Zuckerrohr-Plantagen entstehen konnten. Für Zucker, der auch nach Europa kommt. Was mit den einstigen Kleinbauern und ihren Familien passiert, wovon sie ohne Äcker leben sollen, das interessiert den Konzern nicht. Profit geht vor. Um jeden Preis.
Die Kambodschanische Regierung hat 65 Prozent der Ackerböden an Investoren vergeben. Der Grüne Bundestagsabgeordnete Martin Häusling kommt im Film zu Wort: Leider verbiete die EU den Import solcher Produkte nicht, von deren Äckern Bauern vertrieben wurden. Im Gegenteil: EU-Förderungen, Entwicklungshilfegelder und Zollerleichterungen unterstützen großflächige Agrarinvestitionen und somit den Anbau und Import unethischer, auf Raub basierender Lebensmittel. Und es sind auch Entwicklungshilfegelder aus Österreich, mit denen Superreiche ihre Investitionen absichern!
Die Mär vom nachhaltigen Palmöl.
Ein weiterer schauderhafter Schauplatz der Doku sind Ölpalmen-Monokulturen auf Indonesien, imposant aufgenommen mit Filmdrohnen. Palmöl gilt als meistverwendetes Pflanzenfett auf Erden. Es ist ertragreich, billig, vielseitig und macht Lebensmittel länger haltbar. So dient es als Speise- und Frittieröl, steckt in Agrartreibstoffen, kommt in Seifen und Kosmetika vor, wird aber auch bei der Herstellung von Putz- und Waschmitteln verwendet, erklärt ein Mitarbeiter des US-Investors Cargill. Mit der RSPO (Roundtable on Sustainable Palm Oil)-Zertifizierung habe man die Nachhaltigkeit von Palmöl nun Schwarz auf Weiß. Doch handelt es sich dabei um einen Etikettenschwindel, wie Häusling aufzeigt. Er spricht von einer „Zertifizierungsindustrie“; Düngemittel und Pestizide seien erlaubt. Auch würden Bauern und Indigene weiterhin von ihrem Land vertrieben und der Klimaschutz komme bei den RSPO-Zertifizierungskriterien gar nicht erst vor. Der deutsche Agrarwissenschaftler Felix Löwenstein warnt vor den negativen Folgen des Plantagenbaus für das Weltklima und vor den „enormen Klimakosten“, welche die Allgemeinheit zu tragen haben werde.
Einen Tank voll Nahrung, bitte!
In Sierra Leone macht der Film Halt bei den Zuckerrohrplantagen der Firma Addax Bioenergy. Löwenstein sagt: „Biosprit ist extrem flächenineffizient.“ Den Tank mit Nahrung anderer zu füllen, sei „pervers“ und habe nichts mit Ernährungssouveränität zu tun.
Ein Addax-Mitarbeiter erklärt, die Bewässerung der Felder laufe über Pumpstationen aus dem Fluss. Die Dorfbewohner indes klagen an, das schlechte, chemikalienverseuchte Wasser bleibe für sie. Ihre Tiere würden sterben, wenn sie das Unkraut am Feldrand fräßen. Die Bewohner*innen wollen ihr Land zurück. Sie fühlen sich über den Tisch gezogen, der Konzern habe seine Versprechen nicht gehalten. Es fehlen Brunnen, Schulen, Straßen, Jobs. Nur für einzelne habe Addax eine soziale Besserstellung gebracht. Eine Frau berichtet, sie habe dort immer noch ihren Job, der sie und ihre Familie ernährt, aber andere seien längst gekündigt worden. Sie stünden nun ohne Feld und Frucht, ohne Lebensgrundlage, da.
Das Podium.
In der anschließenden Podiumsdiskussion bittet Moderator Florian Klenk, Chefredakteur der Stadtzeitung „Falter“, diese Gäste auf die Bühne:
Den Filmregisseur Kurt Langbein, Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann, Brigitte Reisenberger von der NGO FIAN (Food First Information and Action Network; internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren) und Karin Büchl-Krammerstätter, Leiterin der Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22).
Idee und Recherche.
Klenk fragt, wie die Idee zum Film entstanden sei und die Recherchen vor sich gingen. „Eigentlich müsste man 40, 50 Filme über Landraub machen“, sagt Langbein. So viel gäbe es darüber zu recherchieren und berichten. Auf das Thema sei er vor drei Jahren gekommen aufgrund eines Radiobeitrags über Landraub in Kambodscha. „Angetrieben hat uns auch die Frage: Wie funktioniert nachhaltige Palmölwirtschaft wirklich?“ Ein Raunen geht durch das Publikum. Spätestens nach dem Film ist klar, nachhaltige Palmölwirtschaft gibt es nicht. Bei den Recherchen hätte man auf die Hilfe von NGOs wie Oxfam oder FIAN zurückgegriffen.
Gier, fehlendes Bewusstsein und „Wiener Zucker“.
Büchl-Krammerstätter hat der Film sehr betroffen gemacht: „Was tun wir Erde und Menschen an!“ Klenk möchte wissen, warum das so ist und was wir dagegen tun können. Als Gründe ortet die Leiterin der MA 22 „Gier und fehlendes Bewusstsein“. Langbeins Film könne für mehr Bewusstsein sorgen. Jeder einzelne sei aufgerufen, in seinem Bereich etwas zu machen. So habe etwa die Stadt Wien sich in einem ersten Schritt zu 30 Prozent regionalen und saisonalen Lebensmitteln in ihren Einrichtungen, wie zum Beispiel Kindergärten oder Krankenhäusern verpflichtet. Doch auch Konsumierende müssten darauf achten, welche Produkte sie kaufen. Aus dem Publikum meldet sich mehrstimmiger Protest. Der Grundtenor lautet: Die Politik müsse die entsprechenden Gesetze machen und könne sich nicht immer auf den mündigen Konsumenten ausreden. Dann fragt auch noch eine Frau: „Woher kommt denn eigentlich der Wiener Zucker?“ „Agrana“, sagt irgendjemand, ein anderer ruft „Tullner Feld“. Schließlich erklärt Reisenberger, ihre NGO sei gerade dabei das zu recherchieren. Die Zucker-Import-Spuren würden sich derzeit allerdings in Rumänien verlieren. So wird auch klar: Konsumierende haben gar nicht die Möglichkeit „mündig“ zu entscheiden, selbst wenn sie wollten. Solange Konzerne mit Informationen hinterm Berg halten oder über ihre globalen Lieferketten die Kontrolle verlieren.
Wie bald 10 Milliarden Menschen ernähren?
Dazu meint Langbein, es könne nur in kleinbäuerlichen Strukturen gehen. Dies sei ein Lernprozess, vor dem wir gerade stünden. Er warnt, die großflächige Agrarindustrie führe zu ökologischen und sozialen Verwerfungen. Die panisch heraufbeschworene, gefährdete Ernährung der Weltbevölkerung diene Agrarinvestoren lediglich als Vorwand für ihre Geschäfte. Wie kleinstrukturiertes, ethisches Wirtschaften geht, zeigt Johannes Gutmann im Waldviertel. Sein Unternehmen hat sich auf biologische Tees und Kräuter spezialisiert. 150 Bauern zählt er zu seinen Lieferanten.
An den Universitäten sieht Gutmann „Verbildung“ und die Doktrin der „Gewinnmaximierung“ blühen. Doch das ist ein anderer Film, „Alphabet“, von Erwin Wagenhofer.
Links.
Landraub – Der Film
FIAN
Die Autorin, Karina Böhm, hat Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Wien und São Paulo studiert. Sie ist Chefin vom Dienst und Mitglied des GBW-Redaktionsteams.